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Ball und Buchstabe

Das Kürzel MV wurde zum Symbol für Machterhalt um jeden Preis

Oliver Fritsch | Donnerstag, 3. Februar 2005 Kommentare deaktiviert für Das Kürzel MV wurde zum Symbol für Machterhalt um jeden Preis

Deutlich! Thomas Kistner (SZ/Meinungsseite 3.2.) kritisiert Gerhard Mayer-Vorfelder hart und fordert seine Ablösung durch Kompagnon Theo Zwanziger: „Mayer-Vorfelder zählt längst zu den peinlichsten Figuren der Republik; seit seiner Zeit als Landesminister und Klubchef des VfB Stuttgart jagt eine Affäre die nächste. Das Kürzel MV wurde zum Symbol für Machterhalt um jeden Preis. (…) Seine präsidialen Alleingänge nach der trostlosen Europameisterschaft hatten zu einem Riss im Verband geführt. Vize Zwanziger erhob sich mit dem Votum der Amateurbasis und stellte dem Sonnenkönig ein Rücktritts-Ultimatum. Wieder rettete der Taktierer seinen Posten. Er bat Bayern München um Hilfe, und der Liga-Primus wie das gesamte Profilager machten über ihre DFL Druck. Sie favorisierten einen geschwächten DFB-Chef, der über alles mit sich reden lassen muss – im Sinne des eigenen Machterhalts. Der Amateur Zwanziger ließ sich in letzter Sekunde übertölpeln und als Doppelspitze neben MV implantieren – eine lächerliche Konstruktion, deren einziger Nutzwert darin liegt, dass sie die zwei Gesichter dieses DFB kenntlich macht. (…) Zwanziger will für neue Redlichkeit im Verband stehen. Den Anspruch kann er nur erfüllen, indem er die Affäre auf sportpolitischer Ebene bereinigt. Am Anfang stünde das Eingeständnis, dass der DFB versagt hat, und nicht länger vorgeben wird, er sei nach den frühen Hinweisen Gefangener externer Zuständigkeiten gewesen. Diese bis heute gültige Darstellung, man sei von Kripo und Wettfirmen in eigenen Ermittlungen gebremst worden, diese Darstellung ist dreist. Mit jedem Tag, an dem sie Bestand hat, wird auch Zwanzigers Glaubwürdigkeit beschädigt. Es muss Konsequenzen geben gegen den Hauptverantwortlichen Mayer-Vorfelder und dessen liebedienerische Verbandsjuristen. Die schützt nur noch dieses System aus Kameraderie und Abhängigkeit, das zu zerschlagen Zwanzigers Auftrag war.“

Schadensbegrenzung betreiben die einen, für Beckenbauer geht es um Schadensvermeidung

Roland Zorn (FAZ 3.2.) hält Franz Beckenbauers Schweigen für ein Versäumnis: „Und Beckenbauer golft. (…) Es gibt nun einmal Situationen, in denen Chefs um ihre Sache, und eine Weltmeisterschaft ist ja keine Kleinigkeit, ebenso wie für ihre Mitarbeiter kämpfen müssen. Schadensbegrenzung betreiben die einen, für Beckenbauer aber geht es um Schadensvermeidung. Eine schwere Aufgabe, über die nicht früh genug geredet werden kann – und sei es auf Kosten einer weiteren Runde Golf.“

SpOn: „Im größten deutschen Fußballskandal seit 1971 halten sich Vereine und Profis mit Kritik am DFB auffällig zurück.“

Ausgerechnet er

Auch die zweite Reihe des DFB wird inzwischen kritisiert; Frank Hellmann (FR 3.2.) zweifelt ob Chefjustiziar Götz Eilers der richtige Aufklärer ist: „In fataler Fehleinschätzung haben Verantwortungsträger wie der 63-jährige Eilers den Fall bisher behandelt. Behördenmensch und Rechtsanwalt, seit über 30 Jahren an der Spitze der Direktion Recht-Personal-Verwaltung. Gralshüter für Recht und Ordnung – schon in Einstellungsgesprächen erfahren junge Mitarbeiter vom ergrauten Personalchef, dass sich zuvorderst Pünktlichkeit und Korrektheit gehöre, der akkurat sitzende Schlips inklusive. Vertraute schätzen seine feine Ironie, Außenstehende sind ob der Außenwirkung irritiert. Mit Eilers, so heißt es, werde als Leiter der auch gestern zweimal tagenden Sonderkommission „der Bock zum Gärtner“ gemacht. Ausgerechnet er, der konservative, rückwärts gewandte, öffentlichkeitsscheue Justiziar, der jüngst auf Pressekonferenzen zwischen „darüber habe ich keine Information“ oder „dazu sage ich nichts“ wechselte, soll aufklären und aufdecken?“

SZ: „Das Misstrauen grassiert: Die Verwicklung von Bundesligaschiedsrichter Jansen lässt den DFB befürchten, dass eine Fülle komplizierter Einsprüche auf ihn zukommt.“

Der Skandal – eine Phänomenologie in der Zeit

Es muß schon noch einiges passieren

Sehr lesenswert! Skandal?! Welcher Skandal? Dirk Schümer (FAZ 3.2.) erklärt das Achselzucken der Italiener: „Vielleicht ist man südlich des Brenners einfach zu abgebrüht, was unsaubere Nachrichten angeht. Der letzte italienische Wettskandal nämlich ging auf niemand Geringeren als einen neapolitanischen Camorra-Paten namens Giacomo Cavalcanti zurück, der – wegen eines gleichnamigen Dichters des Mittelalters – auf den schöngeistigen Beinamen „il Poeta“ hört. Und manipuliert wurden in der vorigen Saison Spiele in Siena, der weltberühmten Stadt des Palio-Pferderennens, und in Verona, der Heimat von Romeo und Julia. Was sind dagegen Paderborn und Chemnitz? Was bedeutet das „Café King“ gegen die Kokshöhlen von Neapel, die schon einen Diego Maradona ruinierten? Welche Figur macht ein Student Robert Hoyzer gegen den im vorigen Mai beschuldigten Stefano Bettarini, der unter dem Decknamen „der Schöne“ vor Spielen Hunderte von SMS-Botschaften an involvierte Kollegen sandte und überdies mit Italiens bekanntester Showmasterin, der blondierten, vollbusigen Simona Ventura, verheiratet war? Ob der Wettskandal oder Bettarinis folgender Rauswurf bei seinem Klub Sampdoria Genua der Prominenten-Ehe inzwischen den Garaus machte, ist ebenso ungeklärt wie die ganze große Schieberei um Spiele der Serie A. Die Ermittlungen endeten pünktlich vor dem Beginn dieser Saison (…) Es muß schon noch einiges passieren in Deutschland, ehe die italienischen Medien dem deutschen Wettbetrug größere Beachtung schenken.“

Parallelismus

Günter Bannas (FAZ/Politik 3.2.) schildert die Verwandtschaft zwischen Fußball und Politik: „Weil es sich beiderseits um Phänomene der Massen handelt, sind Politik und Fußball miteinander verwoben. Der DFB-Präsident Mayer-Vorfelder war früher Finanzminister in Baden-Württemberg. Der bayerische Ministerpräsident Stoiber ist mit dem FC Bayern München verbandelt. Seit Schröder Bundeskanzler ist, ist bekannt, daß er einst als Mittelstürmer den Kampfnamen „Acker“ trug. Peter Struck zeigt sich gerne mit einem Schal von Borussia Dortmund, und von Joseph Fischer (Grüne Tulpe) ist bekannt, er habe nach einer vergebenen Hundert-Prozent-Chance seinen Schuh angeschaut: Nur dieser oder der Rasen könne schuld sein. Welchem Wähler wäre das nicht auch schon widerfahren? (…) Nun wurde bekannt, daß nicht nur Politiker, sondern auch Ballsportler und Schiedsrichter nebenher verdienten, womit die These vom Parallelismus zwischen Fußball und Politik – ihren Anfang nahm sie mit den Erfolgen der alten Männer Adenauer und Herberger – um einen Beleg reicher geworden ist. Was folgt? Die Fans könnten sich wegen des Skandals abwenden und damit das Gesetz der Serie in Frage stellen, eine Regierung werde bestätigt, wenn zuvor die Nationalmannschaft den WM-Titel errang. Noch ist es nicht soweit. Ernst wird die Glaubwürdigkeitskrise öffentlicher Einrichtungen erst, wenn Cornelia Pieper vom DFB brutalstmögliche Aufklärung verlangt.“

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