Deutsche Elf
Klare Ideen von aggressivem, modernen Angriffsspiel und zeitgemäßer Menschenführung
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| Freitag, 11. Februar 2005Ludger Schulze (SZ 11.2.) reißt die Arme hoch: „Klinsmann hat das trudelnde DFB-Team auf dem allmählichen Weg zu einem Drittwelt-Land der Fußball-Weltkarte gestoppt und zurückgeführt an den Rand der exklusiven Weltklasse. Bei Berücksichtigung des perfekt strukturierten und siegesbissigen Gegners, der aktuellen Nummer eins nach verbreiteter Expertenmeinung, kann man sich nicht genug die Augen reiben über die erste Hälfte, in der Klinsmanns junge Leute ihm keine Luft zum Atmen ließ und das Zeugnis spielerischer Gleichwertigkeit, ja partiell sogar der Überlegenheit ablegten. Sind das die gleichen Fußballer, die im Juni 2004 so eine erbärmliche Europameisterschaft durchlitten haben? Sie sind es. Hinzu gekommen ist ein Schuss Jugend und vor allem ein Trainerstab, der klare Ideen von aggressivem, modernen Angriffsspiel und zeitgemäßer Menschenführung besitzt. (…) Wo anfangen mit dem Lob, wo aufhören?“
Leidenschaftlicher Stil
Pressekonferenz – Christof Kneer (FTD 11.2.) hatte mehr Klinsmann’sche Superlative erwartet: “Klinsmann hat aus Deutschland eine andere Mannschaft gemacht, das ist so etwas wie ein Wunder, aber weil man an Wunder wohl nicht mal in Kalifornien glaubt, saß der Bundestrainer hinterher leicht verdattert vor der Presse. Zu hören gab es zwar eine Best-of-Klinsi-Kassette, aber zu sehen gab es etwas Neues: Der Mund, der diese Hymnen textete, saß mitten in einem Gesicht, das eher verhalten dreinblickte. Fast scheint es, als sei Klinsmann das Tempo, in dem seine Renovierungsarbeiten fortschreiten, nicht ganz geheuer. Er hat dieser Elf einen leidenschaftlichen Stil anerzogen, der sie gelegentlich noch zu überfordern scheint.
Die Mannschaft hätte ein besseres Publikum verdient gehabt
Jan Christian Müller (FR 11.2.) stört sich an den Zuschauern: “Die Mannschaft hätte unter dem geschlossenen Dach in der fast auf Wohnzimmer-Temperatur aufgeheizten Arena ein besseres Publikum verdient gehabt. Mitunter mutete die Atmosphäre wie seinerzeit in der Großturnhalle von Sapporo an, wo die Deutschen beim ersten WM-Auftritt 2002 gegen Saudi-Arabien 8:0 gewonnen hatten, was die Japaner damals ungläubig staunend zur Kenntnis nahmen. Nach den acht Toren von Sapporo bis zum Aus bei der EM 2004 hatten Rudi Völler und Michael Skibbe ihrer Mannschaft ein immer abwartenderes taktisches Konzept verordnet, das zum Ende hin degenerierte.“
Plastikwelt
Hier sollen WM-Spiele stattfinden, hier soll WM-Atmosphäre entstehen? Michael Horeni (FAZ 11.2.) rümpft die Nase: “Die Dienstleister in der für 218 Millionen Euro in der Düsseldorfer Fußball-Diaspora errichteten Arena gaben sich ausgesprochen kundenorientiert. Um dem des Profifußballs entwöhnten Publikum in einer kühlen Februarnacht ein angenehm temperiertes Event zu bieten, schlossen sie das Dach und stellten die Heizung an. Das Stadion erwärmten sie auf Frühlingstemperaturen, so daß die Besucher ihre dicken Wintermäntel ablegen konnten. Dazu wurden als zusätzlicher Service auf den Sitzen schwarz-rot-goldene Winkelemente gereicht. Die deutsche Nationalmannschaft – die Leidenschaft, Aggressivität und Tatkraft zu ihrem neuen Wesenzug gemacht hat – bemerkte jedoch schnell, daß sie nicht in einem klassischen Stadion angekommen war, das ihre Qualität emotional beförderte, sondern in einer bunten Plastikwelt, deren Bewohner den Fußball nur still und staunend konsumierten. (…). Das Unentschieden gegen den Favoriten hatte sich die ersatzgeschwächte Nationalelf ganz alleine verdient.“
Kahns weite Abschläge haben eine Streuung wie eine verrostete Schrotflinte
Ludger Schulze (SZ 11.2.) vergleicht Kahn und Lehmann: „Selbst wenn Kahn fast schon wieder der „Titan“ ist, so hat er doch unübersehbare Nachteile gegenüber Lehmann. Als deutlich besserer Fußballspieler kann Lehmann eine Art Ersatzlibero geben, was dem Offensiv-System dienlich ist. Kahns weite Abschläge haben zudem eine Streuung wie eine verrostete Schrotflinte, weshalb sie oft zu Ballverlust führen. Lehmann bringt die Kugel, vor allem bei Abwürfen, häufiger zum eigenen Mann. Obendrein ist er leichter ins Team zu integrieren. Dagegen stehen Kahns bessere Physis, seine Reflexe, die aktuelle Verfassung.“