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Internationaler Fußball

Aus den Bohrlöchern des ewigen Eises auf die Glamourgipfel der Champions League

Oliver Fritsch | Dienstag, 8. März 2005 Kommentare deaktiviert für Aus den Bohrlöchern des ewigen Eises auf die Glamourgipfel der Champions League

Go East! Dirk Schümer (FAZ 8.3.) korrigiert die Weltkarte der Fußball-Macht: „Roman Abramowitsch hat die Chancen der Globalisierung erkannt und genutzt. Der Patron des Londoner Vereins sucht und findet seine Milliarden in sibirischen Ölfeldern – einer Permafrost-Gegend, in der es sogar zum Eishockeyspielen zu kalt ist. Seine Rendite versilbert Abramowitsch darum lieber dort, wo Medien und Werbebranche die meiste Aufmerksamkeit erzielen: in Europas Kultur- und Finanzmetropole London. Von der unwirtlichen Primärproduktion am Ende der Welt führt so der Weg des Geldes und seines Besitzers ins Rampenlicht der globalen Medienkultur, aus den Bohrlöchern des ewigen Eises auf die Glamourgipfel der Premier und Champions League. Das Herz von Europas Fußball schlägt aber auch in Donezk. Beim Blick auf die Landkarte, wo die ukrainische Industriestadt irgendwo rechts unten liegt, mag man kaum glauben, daß im Stahl- und Kohlerevier kurz vor der Kalmückensteppe ebenfalls innovativer Profisport von Weltniveau geboten werden soll. (…) Die Tendenz kehrt sich um, daß die Kicker des Ostens automatisch dem Geld gen Westeuropa folgen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, wann die ersten deutschen Torhüter und knorrigen Innenverteidiger (für andere Sparten fehlt die internationale Nachfrage) am oder unterm Ural ihr Auskommen suchen werden.“

Eine Operette hoch bezahlter Hysteriker

Sehr lesenswert! Birgit Schönau (SZ 7.3.) analysiert den 2:1-Sieg Juves in Rom: „Aus dem Match sind zu vermelden: 72 Fouls (dabei Remis), neun Gelbe Karten. Und wenn wir schon bei der Statistik sind – von zwei Toren von Juventus resultierte eines aus einem Elfmeter, den Schiedsrichter Racalbuto für ein Foul außerhalb des Strafraums verhängte, das andere gelang aus klarer Abseitsposition. Dafür war aber ein von Raculbato annullierter Treffer des Turiners Ibrahimovic eigentlich gültig. Die Römer konnten sich dennoch nicht beklagen, sie hätten spätestens nach Cufrès Fausthieb in Del Pieros Gesicht mit einem Mann weniger spielen müssen, wenn der Schiedsrichter hingesehen hätte. Auch Cassanos Handgreiflichkeiten gegenüber Camoranesi wären mit Rot zu ahnden gewesen, stattdessen sah der Roma-Spieler Gelb für zu wilden Jubel. Aber so ist der italienische Fußball nun mal, er hat ein Ergebnis für die Annalen und daneben die ganz andere Statistik des Was-Wäre-Wenn. Am schönsten macht das stets die römische Zeitung Il Messaggero, für sie ist die Roma immer Meister, und sei es nur bei den Torschüssen in den ersten drei Minuten. Es gibt eben nie nur eine Wahrheit, schon gar nicht im Fußball, aber die Wahrheit ist: Der Fußball ist am Ende in Rom, und wer es nicht glaubt, den sollte man an den Stuhl fesseln und zwingen, sich 20 x-beliebige Minuten des Matchs zwischen Meisterschafszweitem und -drittem vom Vorjahr anzuschauen, eine Operette hoch bezahlter Hysteriker mit der Attitüde allzeit gewaltbereiter Vorstadtrabauken.“

Die Servilität der Spielleiter gegenüber den grossen Klubs ist systemimmanent

Wie füllen italienische Schiedsrichter ihren Ermessensspielraum, etwa in Sachen Nachspielzeit, Peter Hartmann (NZZ 8.3.)? „Früher war Fussball „das Spiel, in dem zwei Mannschaften gegeneinander spielen, und am Ende siegen immer die Deutschen“ (Gary Lineker). Heute gewinnt zuletzt Milan, und immer in letzter Sekunde – oder noch später, und das ist das Problem. Handelt es sich um eine beispiellose Glückssträhne, um ein raubtierhaftes Konzept, den Gegner erst dann zu erledigen, wenn er sich in Sicherheit wähnt, oder zögern die Schiedsrichter elastisch den Schlusspfiff hinaus, bis Milan doch noch ein Tor gelingt? In Bergamo signalisierte der Unparteiische Bertini 3 Minuten Nachspielzeit, nach 3 Minuten und 56 Sekunden gelang Pirlo der Siegtreffer zum 2:1, und nach weiteren 9 Sekunden war Ende. (…) Die Servilität der Spielleiter gegenüber den grossen Klubs ist geradezu systemimmanent, und Pierluigi Collina, die Lichtgestalt der Branche, ist leider nicht klonbar und erreicht im Sommer die Alterslimite.“

NZZ: Corinthians São Paulo, die brasilianische Variante von Chelsea

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