indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Heute wird mehr geplaudert, aber nicht mehr so hart gefragt

Oliver Fritsch | Mittwoch, 9. März 2005 Kommentare deaktiviert für Heute wird mehr geplaudert, aber nicht mehr so hart gefragt

Der ehemalige Grimme-Chef Bernd Gäbler (TspaS 6.3.) zählt die Mängel des Sportjournalismus im Fernsehen: „Haben unsere Sportjournalisten – als die Finanzkrise von Borussia Dortmund offenbar war – einmal von sich aus nach Schalke geschaut? Sie könnten doch journalistische Neugier entwickeln, ohne sofort Skandale zu melden. Auch im Falle des Schiedsrichterskandals hat das Fernsehen sich vor allem als Chronist der laufenden Ereignisse betätigt, auch wenn Johannes B. Kerner sich gehörig empört gab, als er Robert Hoyzer seine Sendung als Bühne der Bußfertigkeit darbot. Immerhin hielten die meisten TV-Sportsendungen eine gewisse Distanz zum plumpen Boulevard. Dies ist aber allenfalls Vorsicht, noch kein guter Sportjournalismus. Im Fernsehen dehnen sich die Programmflächen und „Timeslots“ für den Sport immer mehr aus, zugleich aber befindet sich der Sportjournalismus auf dem Rückzug. (…) So wie es dem Fernsehen insgesamt ergeht, das durch die vielen Gewinnspiele und Sponsorenhinweise, „Mitmach“-Sender und Shopping-Kanäle immer unruhiger und billiger wirkt, ergeht es auch dem Sport: Ruhe und Sachlichkeit, Hintergrund und leider auch die journalistische Formenvielfalt verflüchtigen sich. Mehr Journalismus aber als uns zurzeit geboten wird, darf es schon sein. Könnte die ARD bei aller Radsportbegeisterung nicht doch etwas skeptischer sein bezüglich der übermenschlichen Leistungen während einer Tour de France? Haben die TV-Sportredaktionen je eigenständige Beiträge geleistet, wenn es ernst wurde mit dem Doping? Ist es noch denkbar, dass ein Andy Möller als Studiogast die Kopien der Verträge mit Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund, die er beide parallel unterschrieben hatte, vorgelegt bekommt? Heute wird mehr geplaudert, aber nicht mehr so hart gefragt. (…) Warum gab es nicht längst in ARD oder ZDF einen 30- oder 45-Minüter zu Jürgen Klinsmann? Keine süßliche home-story, sondern eine Analyse seiner Geschäftsbeziehungen in den USA, seiner Trainingsmethodik, und vor allem: Wie er es schafft, sich in dem bleischweren DFB durchzusetzen? Das ist doch das journalistische Alphabet. Warum fehlt so etwas?“

Ein schönes Diskussionsthema für freistoss-Leser: Wie ist die Fußball-Berichterstattung im Fernsehen zu retten?

Beeindruckende Dokumentation

Ein TV-Tipp von Erik Eggers (FR/Medien 9.3.): „Jedem Land sein eigenes „Fußballwunder“: Die Schweizer Fans werten bis heute den 4:2-Achtelfinalsieg bei der WM 1938 gegen Großdeutschland als „Akt der geistigen Selbstverteidigung“, die Deutschen besingen seit jeher den 3:2-Finalerfolg von Bern 1954 als „verspätete Gründung der Bundesrepublik“. Wie perfekt der Fußball zur Mythenbildung taugt, das beweisen auch die „Todesspiele“ von Kiew 1942, als eine Flak-Elf des deutschen Besatzers zweimal antrat gegen eine ukrainische Auswahl, die danach – so will es die Legende – ermordet wurde, weil sie den Besatzer besiegt hatte. Diese zweimal 90 Minuten und ihre verwirrenden Begleitumstände sind noch sechs Jahrzehnte später präsent in den Erzählungen: „Im Krieg wurden hier unsere Fußballer erschossen, weil sie gegen die Deutschen gewonnen hatten“, sagt ein ukrainischer Teenager in der beeindruckenden Dokumentation „Die Todeself“ (heute um 23.30 Uhr in der ARD).“

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