Ascheplatz
Viele Vereine gehen wie Briefmarkensammler vor, deren Ziel ein volles Album ist
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| Donnerstag, 17. März 2005Sehr lesenswert! Erwin Staudt, Präsident des VfB Stuttgart und Quereinsteiger, mit Jan Christian Müller & Frank Hellmann (FR 17.3.)
FR: Das Finanzchaos bei Borussia muss einen Wirtschaftsmanager wie Sie erschrecken. Haben Sie eine Erklärung dafür?
ES: In Dortmund hat viel mit reingespielt. Offensichtlich schwebten Verein und Umfeld 1997, nach dem Gewinn der Champions League, auf Wolke sieben – das war die Droge fürs Management. Sie waren in Dortmund beseelt vom ganz großen Ding, die Bayern zu packen, international Spitze zu sein. Dazu kam der Neue Markt und ein Denken: „Jetzt geht ja alles.“ Und dann sind sie noch an die Börse gegangen.
FR: Zu einem schlauen Zeitpunkt, als es noch viel Geld gab am Neuen Markt.
ES: Das war damals ideal, der Hype war noch im Gange. Heute ginge das nicht mehr. Dortmund hatte mit dem Eigenkapital aus dem Börsengang einen Riesenvorsprung. Dann hat man aber verdrängt, dass die Investitionen in die Mannschaft und das Stadion nur aufgehen, wenn man im internationalen Wettbewerb spielt. Wenn das Schiff aber derart aus dem Ruder läuft, dann hat auch das Aufsichtsgremium versagt. (…)
FR: Was ist aus Ihrer Sicht der auffälligste Unterschied zwischen der Führung eines Wirtschaftsunternehmens wie IBM und der Leitung eines Bundesliga-Klubs?
ES: Ich war am Anfang überrascht, mit wie wenig Leuten hier beim VfB die Verwaltungsarbeit gemacht wird. Das ist wirklich „lean management“. Und noch etwas ist mir aufgefallen: Bei IBM bin ich zweimal in der Woche zu meinem Pressesprecher gelaufen und habe gesagt: „Mach doch mal was!“ Beim VfB Stuttgart laufe ich zweimal am Tag zu meinem Pressesprecher und sage: „Wir müssen den Ball flach halten.“
FR: Der Druck der Medien und der Fans führt oftmals zu Management-Fehlern.
ES: Viele Vereine gehen wie Briefmarkensammler vor, deren Ziel ein volles Album ist. Dabei vergessen sie, auch mal einen Spieler abzugeben, um einen Transfererlös zu erzielen, wie wir es bei Marcelo Bordon getan haben. Zum vernünftigen Wirtschaften gehört außerdem ein Human Resource Management, also den eigenen Nachwuchs so auszubilden und zu nutzen, dass man nicht jeden linken Verteidiger teuer einkaufen muss. Mich überrascht mitunter, dass manche Vereine ohne jegliches Instrumentarium arbeiten.
FR: Weil zu viele Fußballexperten und zu wenige Finanzfachleute das Sagen haben?
ES: Sagen wir mal so: Ich würde mich freuen, wenn einige Profis die viele Freizeit dazu nutzen, nebenbei noch eine betriebswirtschaftliche Ausbildung absolvieren. Nur Fußball-Kompetenz reicht nicht immer, um in diesem Geschäft zu bestehen. (…)
FR: Richtig Geld verdienen sowieso nur diejenigen Klubs, die in der Champions League dabei sind…
ES:… und die Abhängigkeit davon wird sich noch verstärken, die Kluft in der Liga zwischen den für die Champions League qualifizierten Teams und dem Rest könnte noch zunehmen. Obwohl ich eine angedachte zentrale Vermarktung des Uefa-Cups als Aufwertung für diesen Wettbewerb sehe. Auf jeden Fall haben wir in der Liga einen Riesenfehler gemacht, in dem wir den Uefa-Cup teilweise schlecht geredet oder zum Verlierer-Cup erklärt haben.
FR: War es ja für den VfB Stuttgart auch, der im letzten Saisonspiel im vergangenen Jahr bei Bayer Leverkusen die Champions League-Teilnahme verspielt hat.
ES: Ein Martyrium! Wir kamen ja aus der Champions League, dafür können sie als Grundgröße fast mit zehn Millionen Euro planen. Wer da spielt, sitzt im gemachten Bett. Ich saß auf der Tribüne, dann fiel das 0:1, und ich habe einen schönen Teil unseres erhofften Umsatzes wegbrechen sehen. Ich habe zehn Millionen Euro plus x förmlich im Rasen versickern sehen.
„Pyrrhussieg“ – die SZ sammelt Reaktionen von Finanzexperten auf den Sanierungsplan Borussia Dortmunds