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Bundesliga

Radikalpädagogik aus der Vor-Lattek-Zeit

Oliver Fritsch | Montag, 21. März 2005 Kommentare deaktiviert für Radikalpädagogik aus der Vor-Lattek-Zeit

Klaus Hoeltzenbein (SZ 21.3.) empfiehlt, recht klar, Dick Advocaats Entlassung: „Sie machen es sich oft sehr einfach, die Leitenden Angestellten. Während Ralf Rangnick oder Thomas Doll vorführten, welche Energien ein Trainer mit einer Mischung aus Humanität und Härte wecken kann, setzen die Borussen auf eine Radikalpädagogik aus der Vor-Lattek-Zeit. „Es gibt keinen Grund, mit Spielern zu diskutieren“, ist eine der Leitlinien vom „Kleinen General“. Borussen-Präsident Königs und Manager Hochstätter hatten Advocaat in der Hoffnung geholt, er werde ihnen die Höhen der Tabelle zeigen. Dafür wurde Soforthilfe verlangt: neue Spieler! (…) Sollte die Tournee in der Zweiten Liga enden, sollte Advocaat in den Turbulenzen verloren gehen, dann ein kleiner Tipp an die Borussen: Nehmt nicht wieder einen Feldherren! Sucht einen, der den Angestellten nicht sofort verkündet, dass sie für den Beruf, den sie erwählt und zu dem der Verein sie angestellt hat, kollektiv nicht taugen! Sucht doch einfach mal ’nen Trainer!“

Abstiegskandidat geblieben

Achim Lierchert (FAZ 21.3.) warnt Borussia Mönchengladbach: „Advocaats Runderneuerung trägt noch immer keine Früchte. Blüten treibt dagegen Advocaats Wahrnehmung der Dinge, die wieder einmal Realitätssinn vermissen ließ. „Wir spielten hier gegen einen Gegner, der auch gewinnen wollte“, lautete eines der verblüffenden Statements. „Mönchengladbach hat in sechs Jahren nur sieben Auswärtsspiele gewonnen. Ich kann in drei Monaten nicht verändern, was in den letzten Jahren nicht gut gewesen ist“, ein anderes. Fakt ist, daß die einst für ihren Konterfußball national und international gefürchtete Borussia seit bald genau einem Jahr auf einen Auswärtserfolg wartet, daß sie sich trotz großen wirtschaftlichen Kraftaufwands qualitativ kaum weiterentwickelt hat und infolgedessen ein Abstiegskandidat geblieben ist.“

In einer Diktatur könnte es nicht schlimmer sein

Bemerkenswert! Markus Lotter (WamS 21.3.) beschreibt, mit anonymen Zitaten gewürzt, Freiburgs Radikalisierung und Degeneration unter Volker Finke: “Protestant Finke entwickelte im erzkatholischen Breisgau aus einem unbedeutenden Zweitligaverein ein sympathisches und attraktives Gegenkonzept zu der sich immer mehr dem Kommerz hingebenden Fußballwelt. Die Crux: Finke hat sich in seine eigene Vision verstrickt und ist zugleich ihr Sklave. Anstatt seinen Klub den sich ständig verändernden Mechanismen fortlaufend anzupassen, hat er ihn der erfolgsorientierten Wirklichkeit zunehmend entzogen. Freiburg hat er zu einem Ort mit eigenen Gesetzen gemacht, dabei ist das alternative Anti-Modell zur Utopie verkommen. Ein Freiburger Ex-Profi bestätigt Thomas Morus, der diesen Begriff Anfang des 16. Jahrhunderts prägte, in dessen Warnung vor einer Verwirklichung eines unausführbaren Plans ohne reale Grundlage: „In einer Diktatur könnte es nicht schlimmer sein.“ In der Manier eines Despoten versucht Finke sein Idyll zu schützen. Nach außen mit einem Defensivbollwerk, nach innen mit strenger Kontrolle. Die Pressekonferenzen nutzt er, um harsche Kritik an der ungerechten Berichterstattung zu üben. Ein Freiburger Journalist: „Jeden Samstag macht er einen von uns vor den anderen Kollegen zum Idioten der Woche. (…) Es darf Negatives nur noch gedacht und nicht mehr gesagt oder gezeigt werden. Auch nicht von den Fans. Seit Beginn dieser Saison sind Megaphone im Badenova-Stadion verboten. Jede Choreographie, die die Anhänger entwerfen, muß beim Verein angemeldet werden. „Die geben uns immer wieder zu verstehen, daß wir nicht in das grün-alternative Bild passen. Aber der Mythos vom Studentenpublikum ist tot“, sagt Ralf Hettich, Vorsitzender der beim Verein unbeliebten Ultras. Die Anhänger werden weniger (…) Persönlichkeitsentwicklung ist in Freiburg für jeden Spieler ein schweres Unterfangen. Woche für Woche werden den Profis Fehler in stundenlangen Videositzungen vor Augen geführt. Die Tüte Erdnüsse oder ein kleines Bier aus der Minibar im Hotel haben deftige Geldstrafen zur Folge.“

Die Fans beschäftigen sich intensiv mit sich selbst

Christoph Kieslich (FAS 20.3.) schildert den Redefinitionsversuch Freiburger Identität und preist „die verblüffende Solidarität mit Finke“: „Daß im Breisgau auch noch im Tabellenkeller keine Untergangsstimmung herrscht, ist schwer zu begreifen. Wo andernorts längst der Trainer und die Vereinsführung vom Hof gejagt worden wären, da wird in Freiburg weitergemacht. (…) Natürlich spaltet der Saisonverlauf die Fanszene, und im Internetforum beharken sich Finke-Anhänger und Finke-Gegner. Viele aber, die ihre Mannschaft schon vor der Saison als nicht erstligatauglich bezeichnet haben, haben das auch früher schon getan, als der Sport-Club in den Uefa-Pokal kam. Inzwischen beschäftigen sich die Fans intensiv mit sich selbst, mit Fragen, ob das Freiburger Publikum wirklich noch etwas Besonderes sei, wie es jahrelang behauptet wurde. Denn kürzlich zeigten die Fernsehkameras nackte Hintern, die an den Zaun gehalten wurden.“

Emotional über seine Verhältnisse gelebt

Christian Eichler (FAZ 21.3.) erklärt Uneinigkeit und Verstörung der Bochumer Fans: „Das Glück am Spiel, es hängt nicht so sehr am Ergebnis. Sondern an der Erwartung. (…) Am Samstag mußte die Polizei Fans trennen – die einen, die Trainer Neururer loswerden, die anderen, die ihn behalten wollen. Prügelnde Fans desselben Klubs, ein kurioses Bild, und das an einem Tag, da endlich wieder ein Sieg gelang. Jahrzehntelang kämpfte Bochum gegen den Abstieg, abwechselnd für den Aufstieg, und die Fans waren’s zufrieden. Man hatte weniger als Dortmund und Schalke, aber mehr als Wattenscheid oder Essen oder Duisburg – das kleine Nachbarglück. Nun hat man mal am Großen geschnuppert, das „Europa“ heißt; schon ist bereits die Drohung der zweiten Liga eine soziale Degradierung und spaltet den Anhang. Bochum hat nicht finanziell, aber emotional über seine Verhältnisse gelebt.“

Vorfreude auf eine gemeinsame Zukunft

Über die Dortmunder Wechselwirkung von Geld und Ball lesen wir von Frank Heike (FAZ 21.3.): „Natürlich hinterlassen die täglichen Negativschlagzeilen vom Finanzmarkt – der Schuldenstand, die drohende Insolvenz, die Demontage der Verantwortlichen Meier und Niebaum – Spuren im Seelenleben einer Mannschaft. So stumpf kann gar kein Profi sein, als daß ihn der Niedergang des Arbeitgebers nicht scherte. Und doch ist es van Marwijk und der Mannschaft in diesem Sturm gelungen, sich einen Platz im Nirgendwo der Liga zu sichern. (…) Es brachte Gänsehautatmosphäre ins halbleere Stadion, wie die Dortmunder Profis mit ihren etwa 8000 Fans nach Spielende feierten – Tänze, die hochgeworfenen Arme, Applaus für die Anhänger. Das volle Programm der gemeinsamen Freude. Es war Freude über einen unerwarteten Sieg, aber auch Vorfreude auf eine gemeinsame Zukunft.“

Berlin ist in die Zeit der hohen Ziele gekommen

Michael Reinsch (FAZ 21.3.) vernimmt das Ende der Berliner Bescheidenheit: „Berlin will in den Europapokal. Was daran neu ist? Die Berliner trauen sich erst jetzt, am 26. Spieltag, mit der Wahrheit über ihre Ansprüche heraus. Dabei unterscheiden sich die Erwartungen von Management, Spielern und Publikum keineswegs. Das Publikum in Berlin will Stars sehen, und es will die Mannschaft im Kampf um die Meisterschaft und in Begegnungen auf internationalem Niveau verfolgen. Darum meckert es, wenn die Hertha nicht gewinnt, darum bleibt es weg, wenn mittelmäßige Spiele anstehen. (…) Nun ist in Berlin die Zeit der hohen Ziele gekommen.“

Positionen halten, für einander dasein, miteinander reden, geschickt kontern

Von Leverkusen lernen heißt…? Ja, was denn, Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 21.3.)? „Peer Steinbrück und Franz Müntefering haben schon mal Anschauungsunterricht nehmen können, wie man, geschwächt und unter Erfolgsdruck stehend, doch noch gewinnen kann. Der Polit-Prominenz auf der Tribüne der BayArena wurde von Leverkusener Profis vorgeführt, was mit Disziplin alles zu bewerkstelligen ist. Als Erfolgsrezept machte Klaus Augenthaler die Einhaltung der „taktischen Marschroute“ aus. So diszipliniert und einsatzfreudig wünschen sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Steinbrück und der SPD-Vorsitzende Müntefering auch ihre Parteisoldaten. (…) Positionen halten, für einander dasein, miteinander reden, geschickt kontern, sobald sich die Gelegenheit bietet. (…) Mit der Rückkehr der Stammspieler wird Bayer vielleicht wagemutiger und anfälliger zugleich. Die Balance finden zwischen Angriff und Verteidigung zählt auch zu den Herausforderungen im Wahlkampf auf Landesebene. Die Politprofis Steinbrück wie Müntefering trugen nach ihrer Stippvisite zum Profifußball eine so siegesgewisse Miene zur Schau, als wüßten sie, wie es geht. Aber das tun sie ja selbst im Zweifelsfall.“

Realitätsfern

Nürnberger Leichtsinn? Oder Nürnberger Lust am Untergang? Boris Herrmann (SZ 21.3.): „Nach einer Viertelstunde rissen die Nürnberger Fans die Arme in den Himmel. Die Anzeigetafel hatte gerade die zwischenzeitliche Führung von Hansa Rostock beim FC Bayern vermeldet. Das Frankenstadion kochte. Im Stammhirn eines Club-Anhängers ist es eben so abgespeichert, dass man jubelt, wenn der große Bruder aus München strauchelt und die guten Freunde vom Schalke 04 nach der Meisterschale greifen. Dass ein Sieg der Rostocker die Lage der eigenen Mannschaft im Abstiegskampf dramatisch verschlechtert hätte, interessierte in diesem Moment nicht. Seltsam realitätsfern präsentierten sich auch die elf Nürnberger auf dem Rasen.“

Nutzlose Taten

Philipp Selldorf (SZ 21.3.) sucht einen Höhepunkt beim Bayern-Heimsieg: „Für die 52 000 Zuschauer, die es gewagt hatten, ins Olympiastadion zu kommen, obwohl sie es besser hätten wissen müssen, begann die Partie mit einem unheilvollen Zeichen. Abstoß Hansa Rostock: Matthias Schober wiegt den Ball sorgfältig in seinen Händen, ehe er ihn so hoch in den Himmel schießt, dass er nicht mehr zu sehen ist. In die Erdatmosphäre zurückgekehrt, landet er auf dem Kopf von Robert Kovac, der die Kugel steil in die Luft befördert, also eine so genannt Kerze produziert, was aber keine Gefahr bedeutete, weil nirgendwo ein Rostocker auch nur in Sichtweite war, was einem wiederum ins Gedächtnis rief, dass Schobers Abschlag eine nutzlose Tat war. Viele weitere sollten folgen, von beiden Seiten.“

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