Champions League
Der Tag, an dem das Fußball-Mittelalter endete
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| Dienstag, 5. April 2005Liverpool spielt gegen Juventus, Christian Eichler (FAZ 5.4.) gedenkt an 20 Jahre Heysel: „Schon acht Wochen vor dem tristen Jubiläum rückt die Erinnerung in den Mittelpunkt: Dann stehen sich, zum ersten Mal seitdem in einem Wettkampf, der FC Liverpool und Juventus Turin gegenüber. Das Spiel soll, so haben sich die Klubs verständigt, ein versöhnlicher Akt werden. Die Erinnerungen von Zeitzeugen, befragt von zahlreichen Medien aus diesem Anlaß, entwerfen ein Bild, das zeigt, wie sehr sich der Fußball und seine Sicherheit seit Heysel verändert haben: seit dem Tag, an dem das Fußball-Mittelalter endete. (…) Die Katastrophen von Heysel und von Hillsborough 1989 (als in Sheffield 95 Fans starben) definierten Sicherheit in Stadien neu. Und bescherten dem Spiel so einen neuen Zuschauerboom. Aber nicht überall: Während Fußball in England als angstfreies Vergnügen ein zweites Mal erfunden wurde, hat sich Italien den Erfahrungen von Heysel weitgehend verschlossen.“
Das schändlichste Fußballspiel der Geschichte
Warum wurde an diesem Abend noch Fußball gespielt, Oliver Meiler (BLZ 5.4.)? „In den Mannschaftskabinen, diskutierten sie. Die Spieler wollten nicht spielen, weder die aus Liverpool noch die aus Turin. „Man zwang uns zu spielen“, sagt Zbigniew Boniek heute, damals Stürmer bei Juve. „Man sagte uns, sonst breche ein Bürgerkrieg aus.“ Die Verantwortlichen, das waren der Bürgermeister, der Polizeichef von Brüssel und die Uefa. Also spielten sie das absurdeste Fußballspiel der Geschichte und das schändlichste. Der Schweizer Schiedsrichter pfiff ein Foul gegen Boniek zwei Meter vor dem Strafraum und zeigte auf den Elfmeterpunkt. Als ginge es darum, die Tifosi für ihre toten Landsleute zu entschädigen. Michel Platini, damals die Lichtgestalt des Fußballs, trat an, traf und jubelte, als sei nichts gewesen. Tags darauf, als ihn die Polemik einholte, argumentierte er: „Es ist traurig, aber die Show muss weitergehen. Wenn im Zirkus der Seiltänzer stürzt, dann tragen sie ihn weg und lassen die Clowns rein.“ Am selben Tag titelte L‘Equipe: „Der ermordete Fußball.““
Hillsborough drängte die Heysel-Tragödie in den Hintergrund
Liverpools Vergangenheit – Martin Pütter (NZZ 5.4.) beschreibt den Zusammenhang zwischen Heysel und Hillsborough 1989, dem zweiten Desaster Liverpools, bei dem Menschen im Stadion starben: „Hillsborough gibt klare Hinweise, weshalb Liverpool „Heysel“ noch nicht vollständig verarbeitet hat. In Sheffield waren die Liverpooler Fans Opfer, in Brüssel dagegen die Schuldigen. Gerade das macht dies jedoch so schwer verständlich. In den dunkelsten Jahren des englischen Fussballs, in den siebziger und achtziger Jahren, waren Spiele der „Reds“ nicht von Ausschreitungen heimgesucht gewesen. „Liverpooler Fans waren nicht an Gewalt interessiert. Sie standen über der hirnlosen Zerstörung, für die etwa Fans von Leeds United und Chelsea bekannt waren. Darum hatten sich die Liverpooler Fans auch nie in Gruppen organisiert“, schrieb John Williams, Soziologe am Norman Chester Research Centre for Football Research der Universität Leicester, am Sonntag in der angesehenen Sonntagszeitung The Observer. (…) Hillsborough drängte die Heysel-Tragödie in den Hintergrund.“
Mein Sohn läuft seit 20 Jahren nicht mehr, er liegt begraben in der Erde
Raphael Honigstein (FR 5.4.) betrachtet die Absicht der zwei Vereine, vor dem Spiel der Opfer zu gedenken: „Otello Lorentini verlor einen Sohn in Brüssel. „Roberto war ein Doktor“, sagt er, „er wollte einem kleinen Jungen helfen und kam dadurch selber um.“ Für den 80-jährigen Vorsitzenden des Bunds der Familien der Heysel-Opfer aus Arezzo sind die Aktionen vor dem Spiel nur „schnöde Gesten“. Er kritisiert, dass beide Vereine 20 Jahre lang „unverständlicherweise geschwiegen“ haben und nur jetzt, da es in der Champions League um kommerzielle Interessen geht, der Opfer gedenken. „You‘ll never walk alone? Mein Sohn läuft seit 20 Jahren nicht mehr, er liegt begraben in der Erde“, sagt Lorentini.“
NZZ: Andrea Pirlo und Clarence Seedorf, Milans Mittelfeld-Asse aus Inters Stall
taz: PSV Eindhoven blickt nach oben und nach Osten