Champions League
Üble Sitten
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| Donnerstag, 14. April 2005Roland Zorn (FAZ 14.4.) klagt über Gewalt in Mailand und Chelseas schlechtes Benehmens: „Während die italienischen Fußball-Obrigkeiten dem Wachsen der Gewalt in den Stadien zu lange tatenlos zuschauten und hier und da sogar mit den rechten Ultra-Gruppen paktierten, befeuerte in England ein Trainer der schlechten Manieren die zunehmend üblen Sitten am Arbeitsplatz Profifußball. (…) Wohltuend war dagegen die Noblesse, mit welcher der FC Bayern München sein Ausscheiden sportlich-fair hinnahm. Den Abstand zwischen einem großen Klub und einem neureichen Emporkömmling in der Stilnote auch nur zu verkürzen, das wird dem FC Chelsea mit seinem Egotrip-Cheftrainer an der Spitze schwer fallen – mag er auch in der in diesem Jahr befleckten Champions League beste Aussichten besitzen.“
Kampf gegen die eigene Blaupause
Chelsea hat Bayern den Spiegel vorgehalten – Daniel Pontzen (Tsp 14.4.): „Chelsea war nicht mal die bessere Mannschaft, doch im Vergleich zum Gegner zeichnete sie eine kühle Effizienz aus, ein unbeugsamer Glaube an die eigene Stärke, der über die wilde Leidenschaft des tapferen Konkurrenten siegte. Die ausschlaggebenden Qualitäten des FC Chelsea waren somit exakt jene, mit denen hierzulande seit Jahrzehnten nur ein Verein die Konkurrenz zermürbt: die Bayern selbst. Im Kampf gegen die eigene Blaupause blieb den Münchnern nur eine Nebenrolle, wie man sie gut in Leverkusen, Köln oder Schalke kennt. Dies war eine neue Erfahrung für die Münchner, und für manche war es eine sehr bittere.“
Der Bayern-Dusel ist tot
Thomas Beckers Kondolenz (taz 14.4.): „Und so geschah es bei diesem finalen Großereignis, dass sich – oh Wunder! – tatsächlich so etwas wie Mitleid regte. Mitleid mit dem jahrelang genussvoll als FC Großkotz titulierten Branchenführer des deutschen Fußballs. Ein treuer Wegbegleiter wurde an diesem Abend beerdigt: Der Bayern-Dusel ist tot.“
Andreas Burkert (SZ 14.4.) ergänzt: „Die Bayern haben vermutlich ein großartiges Wenn-dann-Spiel abgeliefert – ein nur fast perfektes Spiel.“
In den wesentlichen Punkten überlegen
Im Gegensatz zu den meisten Bayern hält Philipp Selldorf (SZ 14.4.) Chelsea für den verdienten Sieger: „Chelsea hat mehr Überlegenheit hergestellt, als es das Ergebnis wiedergibt. (…) Im Wettstreit mit dem FC Bayern erwies sich das für viel Geld, aber präzise und streng nach Bedarf formierte Team des FC Chelsea in den wesentlichen Punkten als überlegen: durch das konstant hochklassige Niveau der Akteure, durch die kaum zu erschütternde Verlässlichkeit des strategischen Systems und durch die Zielstrebigkeit, die im modernen Fußball zum Erfolg führt. Die Bayern können daraus lernen, und sie sollten es als Trost und Ansporn auffassen, dass sie nicht zwingend einen russischen Ölbaron brauchen, um ihre Nachteile zu überwinden.“
Bloß Mitspieler
Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 14.4.) hält fest: „Der große europäische Fußball hat sich vom FC Bayern entfernt. Die Niederlagen gegen Mannschaften vom Kaliber AC Mailands, Juventus Turins oder Chelseas sind längst mehr als ein Trend. Sie sind zur Regel geworden. Und München zum bloßen Mitspieler der Champions League.“
faz.net-Bildstrecke aus München
Muss erst wieder jemand ums Leben kommen, damit angemessen reagiert wird?
Milan Pavlovic (SZ 14.4.) fordert Strafe für Inter Mailand und Italiens Fußball: „Es wäre wichtig, dass die Uefa ein Zeichen setzt, wenn sie über die Vorfälle in Mailand urteilt. Sie sollte bedenken, dass Mailand eben kein Einzelfall ist, sondern nach Rom und Livorno der Höhepunkt einer Gewaltspirale, deren Ende nicht abzusehen ist. Eine kollektive Strafe gegen alle italienischen Klubs erscheint noch sinnvoller, wenn man an die Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion 1985 zurückdenkt: Erst durch die drakonische Sperre gegen alle englischen Klubs wurden die Insel-Hooligans gezähmt. Oder muss erst wieder jemand ums Leben kommen, damit angemessen reagiert wird?“
Unsauberer irrealer Fußball
Dirk Schümer (FAZ 14.4.) kann es nicht fassen, dass Offizielle und Sportler verharmlosen: „Der Feuerwerkskörper, der Dida an der Schulter traf, hätte ihm auch ins Gesicht fliegen können. Dann wäre der großartige Schlußmann jetzt vielleicht blind oder taub oder gar tot. Oder sein Trikot hätte Feuer gefangen und ihn großflächig verbrannt. Doch anstatt diese neue, menschenverachtende Dimension der Spielerjagd mittels Sprengkörper entsetzt zu kommentieren, taten die meisten der beteiligten Sportsleute, als wäre dies ein fast normaler Fußballabend gewesen. Der wichtigste Verantwortliche der Heimmannschaft, Inters Trainer Roberto Mancini, besaß die Dreistigkeit, Schiedsrichter Merk die Schuld an den Ausschreitungen in die Schuhe zu schieben. (…) Wie soll ausgerechnet Ministerpräsident Berlusconi die Lage in den veralteten Stadien in den Griff bekommen? Gerade er ist mit seiner rosaroten Fernsehvermarktung, einer Legalisierung unsauberer Steuertricks für die Vereine sowie einem ungebremsten Mäzenatentum verantwortlich für einen unsauberen irrealen Fußball, dem die Fanatiker auch noch den Krieg erklärt haben.“
Fest in rechter Hand
Birgit Schönau (SZ/Seite 3, 14.4.) beschreibt die Nähe von Politik und Fußball in Italien: „Über Jahre hat sich die Gewalt nahezu ungestört ausbreiten können. Die meisten Fankurven sind fest in rechter Hand, und rechtsextrem zu sein, ist in Italien unter Berlusconi kein Tabu mehr. Der Ministerpräsident selbst hat nicht ausgeschlossen, bei der nächsten Parlamentswahl ein Bündnis mit der Splitterpartei der „Duce“-Enkelin Alessandra Mussolini einzugehen. Zu ihrer „Sozialen Alternative“ gehört auch die neofaschistische Bewegung „Forza Nuova“, die ihre schlagkräftigen Mitglieder aus den römischen Fankurven rekrutiert.“
Fieber
Oliver Meiler (FTD 14.4.) ergänzt: „Zeit, den Begriff „tifoso“ zu erklären. So nennen sich in Italien die Fußballfans, auch die besonnenen. Der Begriff kommt von Typhus, der schweren, meldepflichtigen Infektionskrankheit. Also anders: In Italien ist ein Fußballfan einer, der vom Fieber des Calcio befallen ist. Chronisch, heillos. Die Infektion rührt von der maßlosen, auf ewig geschworenen Liebe für die Farben eines Vereins her. Das Fieber steigt jeden Sonntag bedrohlich an, und seit unter der Woche gespielt wird, werktags auch. Das Fieber wird angeheizt durch unzählige Talkshows. Da wird mehr geschrien als geredet. Und es wird an der „moviola“ gedreht, dem Drehrad des Schnittpults, immer wieder, für die Slowmotion. War es Abseits? Ein Elfer? Tatsächlich Tor? Keine Sendung ohne Angriffe auf vermeintlich geschmierte Referees. Allein drei Zeitungen im Land berichten nur über Fußball, sezieren Aufstellungen, schüren Gehässigkeiten, steigern das Fieber. Die Politiker machen mit. Komplotttheorien geistern herum, die Mafia soll ihren Part spielen. Lokalradios brechen die nationale Fußballschlacht herunter auf einen absurden Lokalpatriotismus. Das ist das Klima. Darin treiben die Ultras, Verrückte unter Fiebrigen. Sie sind hochgradig politisiert. Sie trinken nicht. Sie grölen faschistische Parolen, rollen Transparente mit Hakenkreuzen aus – wie zuletzt am Sonntag in Rom, beim Spiel Lazio gegen Livorno, dem einzigen Verein Italiens, der eine linke Fangemeinde hat. Die Livornesi konterten mit Hammer und Sichel und mit Bildern Stalins.“
faz-net-Bildtrecke aus Mailand