Bundesliga
Loserfußball erster Güte
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| Samstag, 16. April 2005Matti Lieske (taz 16.4.) rückt das Lob für Bayern München zurecht: „Immer wieder wurde die Feldüberlegenheit der Bayern erwähnt, wurden ihre Torchancen aufgezählt, die man eben nur hätte nutzen müssen, dann wäre alles anders gekommen. Nichts könnte der Wahrheit ferner sein. In Wirklichkeit hat Bayern München, auf Champions-League-Niveau übertragen, gespielt wie ein Absteiger: Eine Zeit lang prächtig aufspielen, Torgelegenheiten erarbeiten und diese kläglichst vergeben, schließlich das dumme Gegentor zum Verhängnis kassieren, das kennen in der Bundesliga Mannschaften wie Freiburg, Rostock, Bochum oder Mainz zur Genüge. Das ist Loserfußball erster Güte. Fast alle Kommentatoren machten den Fehler, das Spiel so zu bewerten, als sei es beim Stand von 0:0 losgegangen. Das war mitnichten der Fall. Der FC Chelsea hatte zwei Tore Vorsprung, und so spielte er auch. Gerade die aufreizende Überheblichkeit, mit der sich das Team auf das Nötigste beschränkte, Bayern getrost stürmen ließ, stets überzeugt, jederzeit ein Tor schießen zu können, zeigte, wie groß der Klassenunterschied zwischen beiden Teams tatsächlich ist und wie wenig Mourinho die Bayern ernst nahm. Chelsea war in den beiden Partien keine Sekunde lang in Gefahr, den Kürzeren zu ziehen. Dass sie fünf Minuten zu früh abschalteten und deshalb nicht zweimal siegten, kann man nicht ernsthaft als Beleg für Bayern-Qualität werten. Umso trügerischer die Sicherheit, in der sich die Münchner nach dem Chelsea-Match bezüglich deutscher Meisterschaft und Pokalsieg wogen.“
Das Verpassen eines sportlichen Zieles wirkt beim FC Bayern immer nach
Elisabeth Schlammerl (FAZ 16.4.) schreibt über die Folgen des Ausscheidens: „So schlimm ist die Lage in München vermutlich nicht, wie der Boulevard sie beschreibt. Allerdings auch nicht so rosig, wie sie die Verantwortlichen nach dem Aus gegen Chelsea gesehen haben. Denn das Verpassen eines sportlichen Zieles wirkt beim FC Bayern immer nach, also auch dieses Scheitern. Das gesamte Personal kommt auf den Prüfstand, intern und extern. Natürlich auch der Trainer. Im vergangenen Jahr begann nach dem Ausscheiden im Achtelfinale gegen Real Madrid die Demontage von Ottmar Hitzfeld. Magath wird dies sicher nicht passieren, aber sein Image könnte ein paar Kratzer bekommen, schafft er es nicht, die Mannschaft bei Laune zu halten und einzuschwören auf das Erreichen der nationalen Ziele.“
Neue deutsche Welle
Nicht nur Richard Leipold (FAZ 16.4.) hat den Aufschwung Borussia Dortmunds nicht erwartet: „Nach einem nicht nur wirtschaftlich harten Winter erlebt die Borussia ein sportliches Frühlingserwachen. Eine Serie von drei Siegen über ambitionierte Mannschaften wie Hamburg, Berlin und Leverkusen haben aus einer scheinbar zerrütteten Ansammlung von Einzelkämpfern eine starke Gemeinschaft gemacht. (…) Die neue deutsche Welle hat sogar einige Spieler aus der näheren Umgebung in die Stammelf gespült. Das Publikum goutiert diesen Trend. Trotz anhaltender Enttäuschungen bleiben die Fans auf breiter Basis treu.“
Unaufdringliche Warmherzigkeit
Freddie Röckenhaus (SZ 16.4.) sammelt Lob für Bert van Marwijk: „Selbst Lars Ricken, den van Marwijk während der Hinrunde komplett ausgemustert, degradiert, gedemütigt hatte, schwört mittlerweile auf den Trainer, weil der Rickens totalen Abstieg ebenso cool durchgezogen hatte wie Rickens Aufstieg zum Führungsspieler in den letzten zehn Wochen. Hinter der kühlen Fassade schätzen die Spieler an van Marwijk offenbar eine unaufdringliche Warmherzigkeit, ein erstaunlich genaues Verständnis für die Lebenslagen eines Profis. Van Marwijk war in dem an Stars reichen Holland mit nur einem Länderspiel als Spieler kein Überflieger – aber vielleicht ist es gerade das.“
Felix Meininghaus (FR 16.4.) ergänzt: „Loyalität ist dem 52-Jährigen ein großes Anliegen, die enge Verbundenheit zu dem Verein, bei dem er beschäftigt ist, kommt nun Borussia Dortmund zugute. Dabei hat van Marwijk den Job beim BVB unter Voraussetzungen angetreten, die ungünstiger nicht hätten sein können: Immer neue Hiobsbotschaften über die katastrophale finanzielle Situation degradierten den sportlichen Bereich zur Marginalie, ständige Spekulationen über Spielerverkäufe sorgten für weitere Unruhe, die Vielzahl von Verletzten erschwerte die Arbeit zusätzlich.“
Bessere Bedingungen als alle Abstiegskonkurrenten
Was wirft man Dick Advocaat vor, Gregor Derichs (FAZ 16.4.)? „Viele Beobachter führen die Probleme darauf zurück, daß Advocaat das spielende Personal zu oft wechselt, mißliebige Akteure zum Amateur-Team verbannt und ohnehin nicht daran interessiert ist, den Dialog mit seinen Spielern zu pflegen. Die Mannschaftsaufstellung teilt er den Profis nicht mündlich mit, sondern hängt sie schriftlich aus. Er diskutiere grundsätzlich nicht mit den Spielern, sagt Advocaat. (…) Nicht nur der Anhang des Vereins, der in Umfragen nach dem FC Bayern die höchsten Popularitätswerte erreicht, wünscht sich Spiele um eine Europapokalteilnahme. Präsident Rolf Königs hat den Trainer beauftragt, den Verein im oberen Drittel der Bundesliga zu etablieren. Mit einem Etat von 40 Millionen Euro, 330 Sponsoren und dem neuen Stadion hat Gladbach wesentlich bessere Bedingungen als alle Abstiegskonkurrenten.“
Kein schriller Verkäufer seiner selbst
Klinsmann, aufgepasst! Jörg Marwedel (SZ 16.4.) empfiehlt Robert Enke und blickt auf dessen unglückliche Vergangenheit in Istanbul und Barcelona: „„Was nützt dir das Geld“, hat er sich damals gesagt, „wenn du unglücklich bist?“ Kritiker haben ihm das als Schwäche ausgelegt. Andere, wie Ewald Lienen, sehen darin einen Beleg für seine Charakterstärke. Enke hat gespürt, welch „wahnsinnigem Druck“ Torhüter bei Klubs wie Barcelona oder Fenerbahce ausgeliefert sind. Die Bundesliga sei dagegen „ein Kindergeburtstag, ein Paradies“. Und weil er das beurteilen kann, fühlt er sich nicht als Verlierer, sondern genießt das Leben bei einem Verein, dessen Trainer Lienen ihn als „stabilisierenden Faktor“ lobt. Lästerer behaupten gar, er sei der einzige Transfer, bei dem sich Lienen und Manager Ilja Kaenzig wirklich einig waren. Enke spürt keinen Druck mehr, nur die ganz normale Anspannung. (…) Nichts findet er schrecklicher als Kollegen, die „Paraden auf Show machen“. Vielleicht hat es Enke auch deshalb noch nicht bis in die Nationalelf geschafft, weil er zwar ein ziemlich kompletter Torhüter ist, aber kein schriller Verkäufer seiner selbst.“