Ball und Buchstabe
Wunsch nach aktiver Teilhabe am Ereignis
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| Dienstag, 19. April 2005Fußballfans und Gewalt, ein traditioneller Forschungsgegenstand für Soziologen – Eine These von Michael Gamper (NZZaS 17.4.): „Die Hooligans sind die modernen „Barbaren mitten unter uns“, sie sind die Negation der Zivilisation und ihrer dominanten Leitwerte und Machttechniken, die das staatliche Gewaltmonopol verlangen und den kollektiven Exzess verbieten. Und für den Sport, im Besonderen den Fussball, sind sie das hässliche Kehrgesicht dessen, was sich Vereine und Verbände wünschen: Kampf, Leidenschaft, Erfolg, Profit. Doch der Skandal des randalierenden Hooligans ist, ebenso wie der des gestreckten Beins, immer vor allem einer aus der Perspektive der Mächtigen des Fussballs. (…) Die Fackelwürfe der Interisti und die Prügeleien der Juve-Anhänger sind auch der Versuch, für unterdrückte soziale Formen Handlungsspielraum zurückzuerobern. Zum einen ist es der Thrill der direkten körperlichen Konfrontation, des Kampfes in der Gruppe gegen eine andere, der hier gesucht wird und der sonst kaum mehr möglich ist. Zum anderen ist es aber der Wunsch nach aktiver Teilhabe am Ereignis „Fussballspiel“, der bis zur letzten Konsequenz wahrgenommen wird. Die Entscheidung über den „Fussball“ wird dann nicht mehr den Millionären auf dem Rasen, in den Vereinsvorständen und in den Fernsehkonzernen überlassen. Die Handvoll Euro für das Eintrittsticket ist dann die Legitimation, Teil zu werden des Spektakels: mit Anfeuerungsrufen, mit Transparenten – und letztlich mit Fackelwürfen.“
Rekrutierungszentrum und Ausbildungscamp
Markus Lotter (WamS 17.4.) warnt vor Politisierung in Italiens Fan-Szene: „Immer mehr Stadien in Italien mutieren zu politischen Arenen. Welche Ausmaße dieses Phänomen bereits angenommen hat, offenbarte sich beim Spiel von Lazio Rom gegen Livorno. Fahnen mit Hakenkreuzen wurden in der Lazio-Kurve geschwenkt, Transparente mit SS-Symbolen und Slogans wie „Rom ist faschistisch“ angebracht. Als Lazio-Präsident Claudio Lotito nach dem Sieg die Fans grüßte, hallten „Duce“- Rufe durch das Stadio Olympico. Lotito versuchte, auf Distanz zu gehen: „Der Sport darf sich nicht mit Politik vermischen.“ Zu spät. Vor allem in Rom mißbrauchen rechtsextreme Gruppierungen die Fankurven als Rekrutierungszentrum und Ausbildungscamp.“
Nur der übliche Haschischrauch
Wie ist das Wochenende in Italiens Fankurven verlaufen, Peter Hartmann (NZZ 19.4.)? „Keine Zwischenfälle in den italienischen Arenen nach Ausrufung des Null-Toleranz-Zustandes durch den Innenminister Giuseppe Pisanu. Aus der Curva Nord von San Siro stieg nur noch der übliche Haschischrauch auf. Der Calcio probte unter Einsatz von Carabinieri-Sondereinheiten die Rückkehr zur verlorenen Normalität. Aber die Stadien blieben halb leer, das Publikum hat sein Lieblingsspielzeug angewidert und protestierend fallengelassen. Dafür sprechen auch die sinkenden Quoten der Brüll- Diskussionen und Lynchjustiz-Tribunale gegen Schiedsrichter im Fernsehen.“
Was habt denn ihr verbrochen, dass euch die Uefa so bestraft?
Birgit Schönau (SZ 19.4.) sammelt: „Diesmal sei ‚das einzige, was in der Kurve qualmte’, die Joints gewesen, mit denen sich die Tifosi allsonntäglich den calcio schönrauchten, schreibt La Repubblica. (…) Der neueste Inter-Witz: ‚Massimo Moratti (Vereinsbesitzer) hat erfahren, dass sich das Konklave bei verschlossenen Türen abspielt. Da geht er zu Ratzinger und fragt: Was habt denn ihr verbrochen, dass euch die Uefa so bestraft?‘“