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Interview

Der Fußball gehört reformiert, wie unsere gesamte Gesellschaft reformiert gehört

Oliver Fritsch | Samstag, 7. Mai 2005 Kommentare deaktiviert für Der Fußball gehört reformiert, wie unsere gesamte Gesellschaft reformiert gehört

Karl-Heinz Rummenigge mit Klaus Hoeltzenbein & Philipp Selldorf (SZ 7.5.)
SZ: Der FC Bayern ist wieder Meister, das Fest in vollem Gange, schon hört die Öffentlichkeit wieder vom Streit ums Geld. Sie drohen: Die ARD-Sportschau, erste Informationsquelle des Fanvolks, reanimiert im Jahre 2003, soll wieder sterben.
KR: Das ist nur eine Option. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Sportschau bleibt, wenn sie bereit ist, ein Wesentliches mehr für den Fußball zu zahlen. Die ARD hat 2003 für einen Dumpingpreis die Bundesligarechte für das Free-TV erworben. 60 Millionen pro Saison – das ist ein Geiz-ist-geil-Schnäppchenpreis…
SZ: …mit dem der Bundesliga damals aus der Klemme geholfen wurde …
KR: … mit dem sie die Sportschau reanimiert hat. Aber jetzt hat sich der Markt dramatisch geändert. Zum Glück zu Gunsten des Fußballs, nicht zu Gunsten der TV-Sender. 2003 stand die letzte Verhandlungsrunde noch unter dem Eindruck der Kirch-Krise. Damals war das in etwa so, als würde hier unterm Fenster einer mit dem Ferrari vorfahren und hoch rufen: Ich kann Ihnen den jetzt für zweieinhalb Tausend Euro verkaufen! Und dann schmeiß ich ihm aus dem Fenster einen Scheck runter und sag: Schmeiß mal den Schlüssel hoch!
SZ: Und jetzt wird der Ferrari wieder teurer?
KR: Ich sehe dieses Spiel mit einem offenen Ausgang. Wir alle sind im Augenblick mit der Sportschau gut bedient. Die Quote stimmt, es ist eine gute, seriöse Berichterstattung. Die ARD hat die Chance, die Sportschau aufrecht zu erhalten, wenn sie bereit ist, ihre Schatztruhe, die sie unzweifelhaft besitzt, zu öffnen und für die Bundesliga ein Wesentliches mehr bezahlt. Wenn sie das aus politischen Gründen aber nicht kann und nicht will, dann trägt die ARD dafür die Verantwortung, nicht der Fußball.
SZ: Ab Herbst wird verhandelt, der Termin ist günstig: In der Euphorie vor der WM soll abgeschlossen werden.
KR: Ich führe diese Diskussion relativ leidenschaftslos: Woher die 500 Millionen für die Bundesliga-Rechte im Endeffekt kommen, ist mir eigentlich völlig egal. Entscheidend ist, dass wir sie erreichen. Da kann eine Bewegung in der Öffentlichkeit stattfinden, wie sie will, das muss unpopulistisch verhandelt werden. Wenn die Sportschau abgeschafft wird, wird es einen Aufschrei der Politik geben. Da wird sich jeder melden, und zwar ungefragt. Die Dinge sind nicht in Stein gemeißelt wie die zehn Gebote. Ich habe nichts gegen die ARD, ich habe nur was gegen diesen unfairen Preis. (…) Es geht mir nur um die Wettbewerbsfähigkeit. Ich bin ein überzeugter Freund des freien Marktes. Aber wir haben unsere Situation hier doch gerade mal wieder vor Augen geführt bekommen mit Robert Kovac. Wir haben ihm ein mehr als sehr ordentliches Angebot gemacht. Trotzdem geht er. Angeblich zu Juventus Turin. Das ist unsere fehlende Wettbewerbsfähigkeit: dass schon der Marktführer Bayern München einen solchen Spieler nicht halten kann, und zwar exklusiv aus finanziellen Gründen. (…)
SZ: Sie führen derzeit zwei Debatten. Eine über die 500-Millionen-Forderung, in der sich alle Klubs der DFL einig sein werden. Und eine zweite, interne, darüber, wie diese 500 Millionen verteilt werden sollen.
KR: Über das, was wir hier als Verteilerwahnsinn bezeichnen.
SZ: Zitat von Ihnen: „Wenn es um die Verteilung der Fernsehgelder geht, höre ich nur noch das Wort Solidarität, welches ich inzwischen hasse wie die Pest.“ Sehr provokante Bemerkung.
KR: Bei uns verdient ein Michael Ballack auch anders als ein Owen Hargreaves. Ein Kahn verdient mehr als ein Rensing. Ich bin ein großer Freund des Verdienstes. Man stützt die Kleinen nicht, indem man die Starken schwächt. Der Fußball gehört reformiert, wie unsere gesamte Gesellschaft reformiert gehört. Wir sind hier ein Land der Gleichmacherei geworden. Das muss aufhören. Der Fußball muss da möglicherweise auch gesellschaftspolitisch eine Vorreiterrolle spielen. Was er wunderbar kann. Wo finden überhaupt noch Leistung und Wettbewerb statt? Und zwar auf einer öffentlichen Bühne? Jeden Samstag kann jeder in diesem Land verfolgen, wer welche Leistung gebracht hat, als Mannschaft, als einzelner Spieler. Es wird Zeit, dass wir auch in der Bundesliga eine Grundsatzdebatte führen.

Ich bin dankbar, dass sich mein Weltbild vom Fußball aufrechterhalten ließ

Jürgen Klopp mit Heinz-Wilhelm Bertram (BLZ 7.5.)
BLZ: Sie haben den Klassenerhalt mit Mainz 05 fast sicher. Was war für Sie die wichtigste Lehre in Ihrem ersten Bundesliga-Jahr?
JK: Dass die Mannschaft ihr System konsequent und unbeeindruckt von allen Widrigkeiten durchgezogen hat – in zweierlei Hinsicht: Sie hat ihr Spiel verbessert, wenn sie selbst im Ballbesitz war, aber vor allem, wenn der Gegner den Ball hatte. Dass überwiegend der Gegner im Ballbesitz sein würde, war nach dem Aufstieg zu erwarten. Also haben wir daran gearbeitet, darauf eine Erfolg versprechende Antwort zu finden. Weil uns das gelungen ist, waren wir in der Lage, Spiele gegen überlegene Gegner zu gewinnen.
BLZ: Was von dem, das Sie gelernt haben, hat Sie am meisten überrascht?
JK: Dass wir sieben Mal in Folge verloren haben. Nie und nimmer hatte ich mir vorher vorstellen können, dass es einmal dazu kommen könnte, in keiner Liga, auf keinem Planeten. Diesen Fahrplan hatte ich nicht auf der Rechnung. Jede Niederlage nagt extrem am Selbstvertrauen – und dann verliert man sieben Mal. Normal kommt es dazu gar nicht erst, weil nach dem fünften verlorenen Spiel der Trainer entlassen wird. Aber wir haben die Geduld bewahrt und an unserem System festgehalten. Das wurde mit der zweiten großen Phase belohnt, in der wir punkten konnten.
BLZ: War das auch eine Lehre für Sie – nicht gefeuert zu werden trotz einer langen Durststrecke?
JK: Das stand nicht zur Debatte. Aber es gab tatsächlich diesen Punkt, an dem wir gemeinsam überlegt haben, ob wir gegenüber der Mannschaft auf eine andere Art reagieren und vielleicht mal dazwischen hauen sollen. Wir waren uns schnell einig: Das kann, das darf und wird nicht der Weg von Mainz 05 sein. Damit lagen wir goldrichtig. Das war für mich wirklich eine wunderbare Erfahrung: dass es sich lohnt, weiter an das zu glauben und weiter daran zu arbeiten, was vorher den Erfolg brachte. Ich bin dankbar, dass sich auf diese Weise mein Weltbild vom Fußball aufrechterhalten ließ: Menschen sind bereit, für etwas zu arbeiten, solange man ihnen Vertrauen schenkt.

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