Internationaler Fußball
Kein Volksvergnügen währt ewig
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| Montag, 9. Mai 2005Dirk Schümer (FAS 8.5.) erklärt die Gewalt in Italiens Fanblocks mit der Dekadenz der Loge: „In Italiens Fußball gelten andere Regeln. Wie einst im alten Rom dient dieser Sport als Zirkusvergnügen, das von reichen Senatoren der Anhängerschaft spendiert wird. (…) Kriminalität? Wettbewerbsverzerrung? Bilanzfälschung? Totalbankrott? Statt solch unangenehmen Wahrheiten ins Gesicht zu blicken, gefällt sich die Fußballbranche weiter im Medienballett der Stars und der Politiker, der Models und der Wirtschaftsbosse. Nicht zufällig erscheint Italiens größte Tageszeitung, die Gazzetta dello Sport auf rosarotem Papier. Wird einmal nichts mehr von außen zugeschossen, droht dem hochgedopten Calcio der Kollaps. (…) Ist es da ein Wunder, daß Tausende Fans sich von den Fußballausbeutern im Stich gelassen fühlen, daß sie längst ebenfalls auf jeden Sittenkodex pfeifen und die Randale auf der verwahrlosten Tribüne zu ihrer ganz persönlichen Profilierung im Scheinwerferlicht nutzen? Inzwischen scheinen sich ganze Blöcke einstmals treuer Tifosi vom verhaßten „Fußball des Business“ abzuwenden, der ohnehin auf den Untergang zusteuert. Sie haben nichts dagegen, ihr Spielzeug lustvoll zu zerstören. Die Gewalt in den Stadien spiegelt nicht irgendwelche ökonomischen Ängste der Unterschicht. Umgekehrt – die systematische Verletzung der Spielregeln durch die Fußballoberen breitet sich nun auch auf den Tribünen aus. Was danach vom Nationalsport Calcio übrigbleibt? Italiens immer noch berühmtestes Stadion, die Ruine des Circus Maximus in Rom, beweist: Kein Volksvergnügen währt ewig.“
Handicap
Juventus siegt 1:0 in Mailand und wird vermutlich Meister; Peter Hartmann (NZZ 9.5.) hat das, mit blick auf das Geld, überrascht: „Das Potenzverhältnis hat sich in den letzten 15 Jahren deutlich verschoben. Die Turiner Agnelli-Dynastie ist geschwächt, der letzte Tycoon Gianni und sein Bruder Umberto sind tot, Juventus erhält vom maroden Mutterkonzern Fiat kein Geld mehr und startet jede Saison mit einem Handicap von 60 bis 80 Millionen Euro weniger Mitteln verglichen mit dem Rivalen. Denn hinter Milan steht Silvio Berlusconi, der megalomanische Schausteller, Ministerpräsident, Medienunternehmer, Italiens reichster Mann, der die enormen Defizite aus der Firmenschatulle begleicht. Später rotieren die Nulltoleranz-Helikopter über dem belagerten San Siro, Collina wird später mit dem Wagen zurückfahren nach Viareggio. Er war ein Richter auf Zeit. Die New York Times hat ihn „das ehrliche Gesicht Italiens“ genannt.“