Ball und Buchstabe
Spiegel Argentiniens
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| Mittwoch, 18. Mai 2005Höchst lesenswert! Der argentinische Autor Fernando Iglesias (NZZ 18.5.) blickt in Diego Maradonas Gesicht und erkennt Argentinien: „Für die Welt ist Maradona der Inbegriff der „neapolitanischen“ Charakterzüge der argentinischen Gesellschaft: Genialität, aber auch Korruption; Kreativität und Missachtung aller Regeln; Talent, aber geringer Arbeitseifer; viele Tugenden im Privaten, aber allzu viele Laster im öffentlichen Bereich. Der Erfolg Maradonas als Idol von Argentiniern und Neapolitanern scheint – zusammen mit dem relativen Misserfolg in Barcelona und der Verachtung, die ihm die restliche italienische Gesellschaft entgegenbringt – den Platz zu bestätigen, den ihm die globale Alltagsmythologie zugewiesen hat. (…) Maradona wird nicht nur im Ausland als der Vertreter Argentiniens wahrgenommen, er dient auch als Spiegel, in dem sich die Argentinier selbst betrachten. (…) Seine Verachtung für soziale Regeln, die er gern als falsch und verlogen verhöhnt, verbindet sich mit einem hemmungslosen medialen Komödiantentum – zwei Züge, die die argentinische Kultur der letzten zwei Jahrzehnte kennzeichnen. Was Maradona und die ihn bewundernde Gesellschaft aber vor allem gemeinsam haben, sind ungebremste Allmachtsphantasien, die paradoxerweise mit einer stilisierten Neigung zum Selbstmitleid in der Opferrolle einhergehen. Wer glaubt, der Allerbeste zu sein, dann aber scheitert, wird den Misserfolg kaum auf eigene Fehler zurückführen. Deshalb ist Argentinien ein Land, das aus seinen Fehlern nichts lernt und zwischen zwei ideologischen Extremen schwankt, die beide davon ausgehen, dass die Methode der Tabula rasa die beste von allen sei.“