Ball und Buchstabe
Schaukasten für die neue Soziologie des Fußballs
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| Mittwoch, 8. Juni 2005Sehr lesenswert! Dirk Kubjuweit (Spiegel/Gesellschaft 6.6.) warnt vor einer Spaltung des Fußball-Publikums in der Allianz-Arena und in anderen Stadien: „Die meisten WM-Arenen sind fertig, und sie sind schön und praktisch, aber sie zeigen auch mehr als die alten, dass sich etwas verändert hat bei den Zuschauern. Und weil in München die Gegensätze besonders stark sind, präsentierte sich die Allianz-Arena auch als Schaukasten für die neue Soziologie des Fußballs. (…) In München gibt es jetzt die Zweieinhalbetage. Sie liegt zwischen Mittelrang und Oberrang, ein schmales Zwischengeschoss, ein gläserner Schlitz im Stadion. Hier sind rundum Logen. Man sieht Leute in gedämpftem Licht tafeln, die Glastüren stehen bei gutem Wetter offen. Mit der Loge zerfällt die Erregungsgemeinschaft in Lager. Es gab auch früher die Trennung zwischen Arm und Reich, aber es gab die gemeinsame Erfahrung kalter Füße im Winter und, ganz früher, die Begegnung am Bierstand in der Halbzeit. In der Allianz-Arena hat sich die Welt des Geldes vom Rest abgeschottet. Bequemlichkeit geht mehr denn je vor Zugehörigkeit. Das Stadion wird zur Kulisse für die Vertragsanbahnung. (…) Die Ränge und stumpfen Winkel schaffen Zonen des Gegensatzes und des Aneinander-vorbei-Sehens. Das neue Stadion passt zu einer Gesellschaft, die sich wieder in Schichten fraktioniert. Es ist ein ehrliches Stadion. Ein gemeinsames Erleben gibt es erst nach dem Spiel – im Stau vor der Ausfahrt des gigantischen Parkhauses. Im Zustand angespannter Bewegungslosigkeit, dem deutschen Zustand schlechthin, ist man wieder Erregungsgemeinschaft.“