Interview
Es wird niemand unter Generalverdacht gestellt
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| Mittwoch, 15. Juni 2005Otto Schily mit Jan Christian Müller & Jürgen Ahäuser (FR 15.6.) über Fußball und Sicherheit
FR: Der „normale“ Fan muss, um ein Ticket zu bestellen, 16 persönliche Angaben machen, wird mehrfach kontrolliert und fühlt sich damit unter Generalverdacht gestellt, während für andere Personen offensichtlich andere Kriterien gelten.
OS: Ich weiß nicht, was Sie da zusammengerechnet haben. Das ist die typische Art, alles furchtbar schlecht zu reden. Manche Medien machen das ja gerne. Bei meinen Begegnungen mit Menschen aus allen sozialen Schichten sind meine Erfahrungen ganz anders. Die Menschen freuen sich auf die WM. Es wird niemand unter Generalverdacht gestellt.
FR: Unseres Wissens nach ist es das erste Mal, dass Eintrittskarten für eine Sportveranstaltung personalisiert und sogar nach Kinderausweisnummern gefragt wird.
OS: Was ist daran so schrecklich, frage ich Sie. Was ist los? Die Kontrollen dienen der Sicherheit der friedlichen Fans und sind doch keine Schikane. Sie regen sich doch auch nicht auf, wenn bei einem Flug von Frankfurt nach New York Ihr Ticket und zugleich Ihr Pass kontrolliert werden.
FR: Unter den Fußballfans hat sich noch aus anderen Gründen Ärger aufgestaut: Fünf Minuten vor dem Ende der letzten Zweitligapartie dieser Saison ist im Frankfurter Stadion eine Hundertschaft Polizisten mit Schlagstöcken, Helmen und Schutzschilden aufgezogen. Auf einen Schlag ist die fröhliche und vor allem friedliche Atmosphäre in eine aggressive Stimmung umgeschlagen. Die Fans fühlten sich durch den martialischen Aufmarsch provoziert. Können Sie den Unmut der Leute nachvollziehen?
OS: Selbstverständlich müssen die Einsätze so gestaltet werden, dass keine ungute Stimmung aufkommt. Ich habe immer dafür geworben, strikte Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, ohne dass die sportliche Stimmung darunter leidet. Salt Lake City unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September war für mich ein positives Paradebeispiel. Trotz strengster Kontrollen hatten die Sicherheitskräfte immer einen aufmunternden Spruch auf den Lippen.
FR: So sind die Deutschen aber nicht gestrickt.
OS: Das kann man alles lernen. Wir sollten die Verdrießlichkeit ablegen, uns lieber von dem Stil anderer etwas abgucken und von der Begeisterung anstecken lassen. Aber klar muss sein, wir wollen keine Szenen erleben wie in einigen italienischen Stadien. Wir haben eine großartige Chance, uns mit der WM als weltoffenes, modernes und fröhliches Land darzustellen. Das ist auch meine Bitte an die Medien, nicht immer nur das Negative herauszustellen, sondern dazu beizutragen, dass eine lockere Atmosphäre entsteht.
FR: Die Fans sehen in diesem Frankfurter Fall und in anderen vergleichbaren Fällen aber bereits Probeläufe für die WM und befürchten, dass Enthusiasmus unter zu viel Sicherheitsdenken erstickt wird.
OS: Wer sind die Fans? Man kann das nicht verallgemeinern.
FR: Also die Frankfurter Zeitungen hatten die Leserbriefspalten voll…
OS: Beim Thema WM 2006 interessiert Sie offenbar nur, die Veranstaltung negativ darzustellen. Ich lege großen Wert darauf, dass Fans und Polizei zusammenarbeiten. Ich habe den Eindruck, das gelingt auch. Die überwiegende Mehrheit der Fans ist friedlich und will ein fröhliches Fußballfest erleben. Ich bin überzeugt, dass diese Mehrheit der Fans auch Verständnis für die Sicherheitsvorkehrungen hat. (…)
FR: Sehen Sie einen psychologischen Gewinn, in einem Land, in dem die Menschen eher furchtsam denn fröhlich in die Zukunft blicken?
OS: Das Ansehen unseres Landes ist im Ausland sehr viel besser, als das, was in Deutschland über die Medien vermittelt wird. Manche neigen dazu, alles in den schwärzesten Farben zu sehen, dabei haben wir wirklich allen Grund, selbstbewusst zu sein. Die Chance eines solchen Großereignisses müssen wir nutzen, um für unser Land zu werben, nicht, um es schlecht zu reden. (…)
FR: Die Zeichen, auch im Fußball, scheinen aber auf Wechsel zu stehen. Kürzlich beim DFB-Empfang in Mönchengladbach sind Funktionäre beim Erscheinen von Angela Merkel aufgestanden und haben Beifall geklatscht, während Sie deutlich kühler begrüßt wurden. Hat das weh getan?
OS: Mir wird allgemein attestiert, ich sei der stärkste Sportminister in der Geschichte der Bundesrepublik. Von Franz Beckenbauer angefangen bis zu IOC-Präsident Rogge wird mein Engagement für den Sport in den höchsten Tönen gelobt. Theo Zwanziger hat erst kürzlich in Mönchengladbach den Wunsch bekräftigt, mit mir auch in den kommenden Jahren zusammen zu arbeiten. Worüber soll ich mich also grämen?
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