Interview
Natürlich habe ich gegen eine Lobby anzukämpfen
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| Sonntag, 19. Juni 2005Jens Lehmann mit Michael Horeni (FAZ 18.6.)
FAZ: Es wird derzeit sehr viel über die unerfahrene deutsche Abwehr und das Defensivproblem gesprochen. Kann man als Torwart eine junge Abwehr unterstützen?
JL: Um ehrlich zu sein, habe ich bei der Nationalmannschaft noch nie einen großen Unterschied gesehen zwischen einer jungen und einer erfahrenen Abwehr. Prinzipiell sind es die deutschen Spieler nicht gewohnt, 4-4-2 zu spielen. Da ist es eigentlich egal, ob die Spieler alt oder jung sind.
FAZ: Die können es also so oder so nicht?
JL: Man merkt, daß die Umstellung Zeit braucht. Es dauert, bis das System verinnerlicht ist. Ich spiele 4-4-2 jetzt seit zwei Jahren fast jeden Tag im Training. Ich sehe den Unterschied zu den Spielern, die mit diesem System aufgewachsen sind. Am Anfang, als ich aus Deutschland kam, mußte ich auch erst einmal schauen, wie die das machen. (…)
FAZ: Viele behaupten mittlerweile schon wieder, Oliver Kahn sei die stille Nummer eins. Täuscht dieser Eindruck?
JL: Sie sprechen nebulös von „vielen“. Mit „vielen“ kann ich nichts anfangen.
FAZ: Machen wir’s konkreter: Für den FC Bayern München und seine mächtige Führung ist die Torwartfrage eigentlich entschieden. Gegen diese Lobby müssen Sie auch ankämpfen.
JL: Ich möchte über diesen Verein nichts mehr sagen. Ich weiß nur eins: Die ganzen Kommentatoren, vor allen in den Boulevard-Zeitungen, waren alles Bayern-Spieler. Auf deren Meinung gebe ich nichts. Letztlich ist die Wahrnehmung der Trainer entscheidend. Sehen Trainer genug, um unter diesen Bedingungen eine andere Entscheidung zu treffen? Haben Sie die Fähigkeit dazu? Jürgen Klinsmann wird am Ende daran gemessen werden, ob er ein Händchen dafür hat, die besten Spieler bei der WM zusammenspielen zu lassen. Wird er die besten Spieler auf den jeweiligen Positionen einsetzen, oder wird er die beste Mannschaft aufstellen? Und vielleicht auch auf einen Spieler verzichten, der vielleicht eine größere individuelle Klasse hat gegenüber einem Spieler, der sich besser in die Mannschaft einfügt. Aber natürlich habe ich gegen eine Lobby anzukämpfen.
Wenn ich das Gefühl hätte, daß ich im Weg bin, würde ich freiwillig aufhören
Sönke Wortmann mit Michael Ashelm & Michael Horeni (FAS 19.6.) über die Dreharbeit
FAS: Mit wem von der Mannschaft liegen Sie denn auf dem Zimmer?
SW: Die Zeiten sind vorbei. Ich habe mir sagen lassen, 1990 bei der WM wäre das letzte Mal gewesen, daß Spieler in Zweibettzimmern geschlafen haben.
FAS: Sie fühlen sich dem Kreis der Mannschaft aber voll zugehörig, tragen die gleiche Trainingskleidung wie die Nationalspieler, laufen mit Adiletten durchs Hotel.
SW: Ja, jeden Tag fühle ich mich wohler. Als ich am ersten Tag ankam, war ich auch sehr erfreut, daß ich genauso eingekleidet wurde wie alle. Das hilft natürlich, ich will mich ja integrieren, deshalb ist das gut so.
FAS: Wie schafft man Nähe zu Spielern, wie schafft man Vertrauen mit der Kamera?
SW: Übertragen auf den Fußball: Wir sind in der Warmlaufphase. Dehnübungen werden gemacht, leichte Läufe.
FAS: Um echte Emotionen einzufangen, müssen Sie die Mannschaft so unbemerkt wie möglich begleiten. Wie macht man sich mit einer Kamera von Tag zu Tag unsichtbarer?
SW:: In den Vorgesprächen mit Oliver Bierhoff fragte er auch, wie ich denke, am wenigsten zu stören. Meine Meinung: Wenn ich einmal die Woche da wäre, wäre ich sicher ein Störfaktor. Wenn ich jeden Tag dabei bin, wird es bald gar nicht mehr auffallen.
FAS: Und welche Signale geben Ihnen die Spieler?
SW: Es hätte bisher nicht besser laufen können. Natürlich sind manche Spieler noch ein bißchen schüchtern – ich ja auch. Aber es wird von Tag zu Tag besser. Man kommt immer mehr ins Gespräch.
FAS: Auch von Ihrer Seite muß das Projekt ja funktionieren, nicht nur für die Mannschaft.
SW: Wenn ich das Gefühl hätte, daß ich im Weg bin, dann würde ich freiwillig aufhören. Es kann ja für viele Spieler der Höhepunkt ihrer Karriere sein, dazu noch im eigenen Land, entsprechend groß ist der Druck. Ich würde jeden verstehen, der sagt, diesmal nicht. Wenn es nicht zustande käme, wäre ich nicht sauer. Es ist natürlich auch eine Chance für die Spieler, wenn sie Vertrauen haben, daß es etwas Gutes werden könnte. Dann hätten sie irgendwann einen Film in der Hand, den sie ihren Enkeln zeigen könnten.
FAS: Gibt es nicht schon genug Beiträge, die Fußball thematisieren? Was können wir mehr erwarten von der Dokumentation?
SW: Die tägliche Berichterstattung stößt an Grenzen, weil Kameras in gewisse Bereiche nicht reindürfen. Zum Beispiel während der Pause in der Kabine. Ich glaube aber, dass von Zuschauerseite ein enormes Interesse besteht, zu wissen, wie es dort zugeht. Bisher kamen Rainer Bonhof oder Michael Skibbe nach der Halbzeitpause aus der Kabine und sagten: „Wir werden das jetzt fortsetzen und hinten ein bißchen sicherer machen.“ Das war’s dann auch. Wenn ein Film zeigen könnte, wie das entscheidende Tor von Lukas Podolski im Viertelfinale vorher von Klinsmann in der Kabine vielleicht mit ein paar Hinweisen vorbereitet wurde, also der Trainer sagt: „Lukas, paß mal auf, so und so, und dann machst du den Ball rein“, wäre das eine unglaubliche Vertiefung des Fußballsports, den wir alle sehr lieben.
FAS: Ist die Nationalelf hinter den Kulissen vielleicht viel normaler, als uns das die vielen tollen Bilder der Werbung und Medien transportieren?
SW: Auch in der Normalität liegt eine große Kraft.
Spiegel-Interview mit Wortmann