Ball und Buchstabe
Der gefühlte Präsident
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| Freitag, 24. Juni 2005Sehr lesenswert! Holger Gertz (SZ/Seite 3 24.6.) stellt die Alleinherrschaft Franz Beckenbauers in Deutschland fest: „Franz Beckenbauer hat, als Kapitän, die Weltmeisterschaft 1974 gewonnen und als Teamchef die von 1990. Im Moment ist er Chef des Organisationskomitees der WM 2006, aber das ist eine zu sperrige Beschreibung für seine Rolle in einem verzagten Land. Er war noch nie größer als heute. Er ist wie ein nationales Maskottchen. Der gefühlte Präsident. Vielleicht braucht ein Land, wie es eine Hymne, eine Flagge, eine Verfassung braucht, auch einen Helden, zur Not einen Fußballer. Vielleicht profitiert Franz Beckenbauer davon, dass es Konkurrenten für die Heldenrolle außerhalb des Fußballs im Moment nicht gibt, oder – wenn es sie gibt – dass sie nicht so massenwirksam sind. Und vielleicht erzählt all das am Ende mehr über das Land als über den Helden. (…) Direkt und auf Umwegen wird er zum Helden gesendet und geschrieben. Beckenbauer analysiert bei Premiere und im ZDF, und zwar in der Art, wie daheim am Wohnzimmertisch analysiert wird. Er ist Kolumnist bei der Bild-Zeitung, in der ihm auch sonst – zwischen allerlei Mädchen, die ihre Brüste und Hintern zeigen – beste Plätze freigeräumt werden. Im Oktober 2001, nachdem in einem Volksentscheid die Münchner für den Bau des neuen Stadions gestimmt hatten, titelte das Blatt in seiner Münchner Ausgabe: „Riesensieg für Kaiser Franz.“ Er sei als erster so mutig gewesen, „öffentlich zu sagen: Das Olympiastadion taugt nicht mehr“. So kann man es natürlich auch ausdrücken. Tatsächlich hatte er gesagt, es werde sich doch ein Terrorist finden, der das Stadion in die Luft sprengt. (…) Beckenbauer hat die WM so wenig im Alleingang geholt wie Helmut Kohl die Mauer eigenhändig eingerissen hat.“