Interview
Wenn man junge Spieler sehen will, dann muss man ihnen Zeit gönnen
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| Samstag, 25. Juni 2005Oliver Bierhoff mit Philipp Selldorf & Ludger Schulze (SZ 25.6.)
SZ: Es wirkt nicht ehrlich, wenn Klinsmann sei „sehr, sehr zufrieden“ mit jemandem, der offensichtlich ein schlechtes Spiel gemacht hat.
OB: Ich glaube, es ist seine Art, die Sache positiv zu gestalten. Er möchte eben auch, dass diese Mannschaft wie eine Festung steht. Das will er nicht dadurch zerrütten, dass vor den Spielern dieses Bild entsteht, er stehe nicht richtig zu ihnen. Allgemein finde ich: Es ist eine Frage, den richtigen Ton zu treffen zwischen Schönreden und einer Kritik, die trotzdem positiv wirkt.
SZ: Was auch eine Frage der Glaubwürdigkeit ist.
OB: Aber die Sache ist doch auch die, dass man der Mannschaft gar keinen großen Vorwurf machen kann. Sie muss noch wachsen, das wissen wir, aber sie zeigt das Engagement, das wir sehen wollen. (…) Wenn man junge Spieler sehen will, dann muss man ihnen Zeit gönnen. Und wenn man aggressives Spiel will, dann muss man das Risiko akzeptieren. Was ich vermisse, das ist konstruktive Kritik mit ein bisschen Schmunzeln und Wohlwollen.
SZ: Wenn man über die veröffentlichte Kritik spricht, muss man auch über Bild reden. Zählt Bild zu den Gegnern, die in Lauerstellung liegen?
OB: Boulevardpresse will Zeitungen verkaufen und lebt von Polemiken oder Zuspitzungen, insofern sehe ich sie nicht als Feinde. Es gibt sicherlich eine Tendenz, sich an der von Klinsmann dargestellten Freiheit zu reiben. Wenn man vorprescht, was wir getan haben, als wir gesagt haben, dass wir Weltmeister werden wollen, dann muss man damit rechnen, dass es in manchen Momenten auch wackelt.
SZ: Kann es sein, dass die von Klinsmann propagierten inneren Werte – Glaube an sich selbst, Persönlichkeitsentwicklung – oder auch die neuartigen Trainingsinhalte einfach Misstrauen erzeugen?
OB: Viele befassen sich nicht richtig damit. Ich glaube nicht, dass ein Paul Breitner sich mal die Mühe gemacht hat, sich das Training anzuschauen. Oder sich mit Oliver Schmidtlein (Fitness-Trainer) unterhalten hat, um sich dessen Arbeit erklären zu lassen. Aber ich sage dem Jürgen auch immer, dass er ein bisschen Verständnis haben soll, wenn Leute, die sich seit vielen Jahren mit Fußball beschäftigen, über ihn meinen: ‚Ich bin schon so lange dabei – und jetzt kommt einer, der sich für ein paar Jahre nach Amerika zurückgezogen hatte und verkündet große Dinge‘. Das ist nur menschlich.
SZ: Einen dieser Altmeister haben Sie immerhin schon fest an Ihrer Seite. Franz Beckenbauer hat sich in seiner Kolumne festgelegt: „Keiner hat das Recht, an Jürgen zu zweifeln.“ Wie wichtig ist seine Unterstützung?
OB: Franz spricht ein gewichtiges Wort in Fußball-Deutschland, und er wird ja täglich in tausend Ecken befragt. Wenn also mal ein kritischer Satz fällt, dann nehmen wir das nicht krumm. Aber er hat uns sowieso von Anfang an unterstützt, und der Vorteil ist, dass er die Situation als Spieler und als Trainer kennt. Er war ja einige Tage hier und hat das alles genau beobachtet, da ist schon eine gewisse Nähe entstanden. Als Spieler hatte ich es zwar nicht immer leicht mit ihm, aber das hat sich schnell geklärt. Als er mich dann zum WM-Botschafter machen wollte, habe ich ihm gesagt: ‚Aber du hast mich doch immer niedergemacht.‘ Er meinte bloß: ‚Ach, das war doch nichts Persönliches.‘