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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Realsatire

Oliver Fritsch | Freitag, 1. Juli 2005 Kommentare deaktiviert für Realsatire

Siegerehrung in Frankfurt, und Bernd Müllender (FTD 1.7.) fasst sich an den Kopf: „So wunderbar der Fußballabend geriet, so sonderbar war der Rahmen. Die Siegerzeremonie – eine einzige Realsatire. Eine Turnier-Fair-Play-Trophy für Argentiniens Wadenbeißer ist etwa so sinnvoll wie der Friedensnobelpreis für Bin Laden. Bei all den Ehrungen kamen die Ehrer durcheinander – die Trophäen als beste Turnierspieler für Juan Román Riquelme und Adriano wurden schlicht vertauscht. Und dann die Zahlenlehre! Warum wurde Michael Ballack mit vier Turniertoren als Zweiter geehrt, John Aloisi mit ebenso vieren (aber in einem Spiel weniger) nur als Dritter und Luciano Figueroa komplett ignoriert? Und als Medaillenumhänger müsste Zeremonienassistent Horst Köhler anstandshalber begrüßt werden, auch wenn der Präsident hinter Szenestars wie Sepp Blatter (Pfeifkonzert) und Franz Beckenbauer (Jubel) nur dritte Wahl ist.“

Zu klein, zu harmlos, zu begrenzt

Organisation, Infrastruktur, Sicherheit – Andreas Lesch (BLZ 1.7.) bezweifelt den Aussagewert der Generalprobe Confed-Cup: „Quer durch die Republik haben sich die Politiker und die Organisatoren des Turniers deshalb derart ausdauernd auf die Schulter geklopft, dass mancher von dieser Übung wohl einen Muskelkater bekommt. Man darf diese Aussagen getrost als Propaganda verstehen, und man muss hoffen, dass nicht jedes Eigenlob so ernst gemeint ist, wie es klingt. Denn natürlich ist der Confederations Cup in Fragen der Organisation und Sicherheit nicht vergleichbar mit der WM. Dafür war er zu klein, zu harmlos, zu begrenzt. Wie tragfähig die Konzepte der Veranstalter sind und wo sie Schwachstellen haben, wird sich erst im kommenden Jahr zeigen. Niemand hat geglaubt, dass brasilianische Samba-Tänzerinnen und deutsche Familien in den Stadien und Städten randalieren.“

taz: Politiker und Verantwortliche ziehen eine positive Bilanz des Confederations Cup: Sicherheitskonzept habe sich bewährt. Fans kritisieren polizeiliche Willkür und Kommerzialisierung

Klempner gefordert

Notizen in Sachen Spielregeln – Klaus Hoeltzenbein (SZ 1.7.): „Auch beim Sport selbst sind die Klempner gefordert, manche Dichtungsringe auszuwechseln. Die Doping-Gesetze der Fifa sind so durchlässig und widersprüchlich, dass es zu einer Posse wie jener um die beiden bei Nacht und Nebel ausgeflogenen Mexikaner kommen konnte. Die neu formulierte und beim Confed-Cup urplötzlich erprobte Abseitsregel gehört auf den Paragraphenmüll der Geschichte. Eine Gefahr fürs ungetrübte Spiel bleibt zudem der Ellbogenschlag, das Mode-Foul der Saison. Und falls sich Argentiniens Defensivkraft Fabricio Coloccini nicht in Kürze in einen Gentleman verwandelt, kennt die Welt schon heute ihren Buhmann fürs nächste Jahr.“

Problem auf der Kommentatorenposition

Christoph Keil (SZ/Medien 1.7.) beschreibt Günter Netzers Spagat und kann, wie wohl alle Fußballfreunde und -sachverständige, Steffen Simon nicht ertragen: „Am Ende eines für die ARD denkwürdigen Tages fabulierten sich die Zwei um Sinn und Verstand. Delling legte so was wie: „Jetzt müsse der gute Netzer ganz stark sein“ vor. Der gute Netzer antwortete: Ja, das sei die einzig schlechte Nachricht gewesen. Trotzdem wolle er der ARD gratulieren. Nur Fachkundige konnten dem Kammerspiel folgen: ARD-Mann Netzer ist hauptberuflich Direktor der Schweizer Sportrechte-Agentur Infront. Wie ARD und ZDF hatte sich Infront um die Übertragungs-Rechte der WM 2010 beworben. Als Infront-Manager kämpfte Netzer in den zurückliegenden Wochen gegen seinen Arbeitgeber ARD. Eine sehr seltsame Partie, doch der ewig Blonde bewegt sich inzwischen verwandlungssicher im freien Raum und auf allen Seiten. (…) Netzer hatte Tempo in seinen Formulierungen, den Sachverstand und die Urteilskraft. Steffen Simon, der das Spiel kommentierte, hatte das alles nicht. Simon schaffte es, den Platzverweis des deutschen Stürmers Hanke zunächst chauvinistisch zu bewerten (Fehlentscheidung!) und am Ende mit der Dummheit des Spielers zu begründen. Ein Jahr vor der WM haben ARD und ZDF ein Problem auf der Kommentatorenposition.“

SZ: die Akte Jürgen Emig

Gott liebt uns

Andreas Platthaus (FAZ/Feuilleton 1.7.) stellt sich in den Sturm und schreit: „An wem werden sich die Frankfurter schadlos halten können, denen die Innenraumkaskade ein ähnlich finales Problem beschert hat wie Sherlock Holmes weiland an den Reichenbachfällen? Hatte man doch an die Stelle des alten Waldstadions eine Traumarena gebaut, eine wahre Monstersportstätte. Sie liegt bei Bedarf unter einer riesigen Zeltplane, unter der das Wetter von einem Wettermeister geregelt wird. Am vorgestrigen Abend schien er leider ein bißchen Regen für zweckmäßig zu halten, aber vielleicht hat er ja auch nur alle Möglichkeiten mal durchprobiert. Auf den Schneesturm mit allen Schikanen müssen wir zwar noch warten, doch den Zuschauern auf den obersten Rängen reichten schon die regengeschwängerten Windböen, die über den Rand der Arena tobten. Die durchnäßt Flüchtenden wurden allerdings mit bayrisch intonierendem Charme darauf aufmerksam gemacht, daß durch den Niederschlag Gänge und Treppen gefährlich glatt geworden seien, weshalb man auf dem eigenen Platz am sichersten lebe. Und gerade als man sich mit dem Gedanken anfreundete, in etwa dreißig Meter Höhe zu ertrinken, zeigte der dauerhafte Reinfall von Frankfurt, daß es noch viel mehr Wasser auf der Welt gibt. Gott liebt uns. Fußballfanfreuden! Welch köstliche Belohnung wird uns bisweilen für unsere Mühen zuteil.“

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