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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Zumutung

Oliver Fritsch | Montag, 4. Juli 2005 Kommentare deaktiviert für Zumutung

Danke für diesen guten Morgen, danke für meinen Arbeitsplatz – Wolfram Eilenberger (TspaS 3.7.) kritisiert die Brasilianer, die aus der Siegerehrung in Frankfurt eine Art Kirchentag machten: „Wenn Brasiliens Superstars für mehr als eine halbe Stunde zur besten Sendezeit im Jesus-Hemd den Siegessamba tanzen, handelt es sich um mehr als ein rein privates Bekenntnis. Solch kollektiv geplante T-Shirt-Botschaften sind anders zu bewerten als etwa rituelle Bekreuzigungen vor dem Betreten des Spielfeldes oder das dankende Stoßgebet beim Torjubel. Das mediale Mitteilungsbedürfnis der Brasilianer hatte vielmehr den Charakter einer ebenso gezielten wie aggressiven (weil unübersehbaren) Mission. Bei dem Verhalten von Lucio und Konsorten handelte es sich um eine Instrumentalisierung globaler Aufmerksamkeit. Diese sportferne Zumutung sollte von der Fifa in Zukunft auf keinen Fall toleriert werden. Der sportpolitische Skandal liegt zunächst darin, dass er überhaupt nicht thematisiert wird. Christen sind nicht nur die besseren Fußballer, sondern auch die besseren Gläubigen. Das ist die Message, die in alle Welt strahlte. Ganz offenbar wird auch bei der Fifa mit zweierlei Strafmaß gemessen: eines für die christlichen Zivilisationen, das andere für den Rest.“

Inklusive Pausen-Entertainment

Anke Schipp (FAS/Gesellschaft 3.7.) schreibt über sehr bedeutende Personen im Stadion: „Der Ehrengast ist der neue Liebling der Vereine. Nicht unbedingt wegen emotionaler Verbundenheit, sondern weil er am meisten zahlt. Er wird umsorgt, gehegt, gepflegt, verköstigt und bei Laune gehalten, auch wenn’s auf dem Spielfeld langweilig wird. Längst geht es nicht mehr nur um Sitzplätze mit der besten Sicht, die ein bißchen teurer sind als andere. Zur VIP-Betreuung gehören vielmehr ein Parkplatz, aufmerksame Hostessen, ein umfangreiches Angebot an Speisen und Getränken. Damit man trotzdem noch etwas vom Spiel mitbekommt, sind überall Flachbildschirme angebracht – neben dem Ball mittlerweile das wichtigste Accessoire im Stadion. Weil das Geschäft mit den bessergestellten Gästen so gut läuft, hat Schalke die Zahl seiner VIP-Zonen von ursprünglich einer auf drei erhöht. Ein Business-Seat kostet je nach Lage zwischen 3100 und 4600 Euro in einer Saison – inklusive Pausen-Entertainment.“

Bedeutungshuberei

Philip Wegmüller (Spiegel/Kultur 4.7.) missfällt die Beziehung der Kultur zum Fußball vor der WM 2006: „Eine halbe Million Neugieriger haben bereits für einen Eintrittspreis von zwei Euro das Innere des „Fußball-Globus“ erkundet. Die Kugel ist Teil des rund 30 Millionen teuren von André Heller kuratierten Kulturprogramms zur WM 2006, das aus Bundesmitteln finanziert wird – und zugleich Symbol des mitunter nervtötenden Brimboriums, das deutschsprachige Künstler und Intellektuelle in der Aufwärmphase zur WM rund um den Volkssport Fußball veranstalten. „Anstoß“ heißt die mittlerweile in zwei Ausgaben erschienene, jeweils rund 200 Seiten dicke Zeitschrift, in der viele schlaue Köpfe (die meist auch irgendwann im „Fußball-Globus“ auftraten) den Volkssport Fußball mit allerlei Bedeutungshuberei garnieren (…) Nun ja, Überhöhung des Trivialen muss wohl sein. Bloß: Hin und wieder sehnt der gemeine Fan die Zeit herbei, in der der Intellektuelle die Balltreterei als Unterschichtenspaß verachtete oder nur verschämt anhimmelte – und ansonsten die Klappe hielt (und auch Tastatur und Pinsel ruhen ließ). Immerhin beschrieb der Soziologe Norbert Elias schon 1939 das Treten und Rempeln als „domestizierte Aggression“. Peter Handke erzählte 1970 von der „Angst des Tormanns beim Elfmeter“. Und seit der Brite Nick Hornby es 1992 schaffte, mit dem herrlich geschwätzigen Fan-Monolog „Fever Pitch“ im Feuilleton wie im Stadion zu landen, ist das Spiel voll im Griff der Kopf-Artisten. Fußballphilosophisch ist eigentlich alles gesagt.“

Erich-Ribbeck-Phase der deutschen Politik

Fußball, Referenzobjekt für Politikberichte – Sascha Lehnartz (FAS/Gesellschaft 3.7.): „Möglicherweise erleben wir unter einer Kanzlerin Merkel die Erich-Ribbeck-Phase der deutschen Politik. Programmatisch scheinen die beiden nicht weit auseinanderzuliegen: „Konzepte sind Kokolores“ hieß Ribbecks Motto. Mit Glück wird es unter Merkel wenigstens so wie unter Rudi Völler: nicht schön, aber halbwegs effizient. Auf einen Klinsmann-Kanzler, der die Menschen mitreißt, darf weiter gewartet werden.“

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