Interview
Die „Huuuth“-Rufe der Fans waren kein Kompliment für die Bild-Zeitung
Kommentare deaktiviert für Die „Huuuth“-Rufe der Fans waren kein Kompliment für die Bild-Zeitung
| Freitag, 22. Juli 2005Telefonat mit Walter M. Straten, Bild-Sportredakteur, über die überraschende Euphorie beim Confederations Cup und die Stärken und Schwächen Jürgen Klinsmanns
indirekter-freistoss: Die Bild-Zeitung hat Robert Huth stark kritisiert, das ist nichts Ungewöhnliches; erstaunlich war dagegen die starke Unterstützung für Huth durch die deutschen Fans. Wie erklären Sie die „Huuuuuth“-Rufe?
Straten: Es gibt zwei Begründungen: Erstens ist es Mitleid für einen jungen Spieler, der sich ein paar Mal ungeschickt angestellt hat und der – in erster Linie – von uns einiges hören und lesen musste. Die Leute wollen ihm nun helfen. Zweitens, ein schlichter Grund, lässt sich „Huth“ sehr gut rufen. Stellen Sie sich vor, wir hätten Per Mertesacker in den Senkel gestellt! Was hätten sie dann gebrüllt?
if: Das mit den „uuuu“s sehe ich ein, aber Mitleid im Fußballstadion? Das bezweifle ich. Sind die Rufe nicht eher eine Ablehnung Ihrer Berichterstattung?
Straten: Es war sicher kein Kompliment von den Fans. Sagen wir mal so: Die Berichte haben diese Reaktion der Fans hervorgerufen. Mir ist aber lieber, die Leute reagieren auf das, was wir schreiben, als wenn sie das nicht täten. Wenn ich zynisch wäre, würde ich sagen: „Robert Huth müsste uns dankbar sein“, was er in einem Interview mit uns selbst gesagt hat. Ohne uns hätte er diese Unterstützung und diese Popularität nie erhalten.
if: Ihnen ging es also um Wirkung – und weniger um Wahrheit?
Straten: Nein, natürlich ging es uns um Wahrheit. Vielleicht kann man über die Wortwahl streiten; das kann man bei Bild häufiger. Wir treffen die Sache meist auf den Punkt – und manchmal leider auch etwas daneben. Dass die Sache eine solche Wirkung erzeugt, hat mich selbst verblüfft.
if: Was hat Klinsmann von der Bild-Zeitung zu erwarten, wenn er Huth weiterhin aufstellt?
Straten: Was wollen Sie jetzt hören? Etwa eine Drohung? Nein! Egal, wen er aufstellt – wir werden ihn unabhängig von seinem Namen bewerten. Es spricht meiner Meinung nach für den Trainer Klinsmann, dass er an Huth, der von uns zugegeben sehr viel abbekommen hat, festhält.
if: Gibt es weitere Themen, die die Medien überrascht haben?
Straten: Ich kann nur für Bild sprechen. Wir haben die schnelle Euphorie bei den Fans sicher nicht so für möglich gehalten. Wir haben sehr lange sehr kritisch berichtet. Eigentlich heißt es immer, Medien erzeugten Euphorie; beim Confed-Cup hatte ich das Gefühl, es war eher umgekehrt.
if: Die Euphorie für die deutsche Elf – der Erfolg Jürgen Klinsmanns. Wie hat er das hinbekommen?
Straten: Jürgen Klinsmann hat vor einem Jahr ein Fenster aufgestoßen, durch das frische Luft einzieht. Und er hält es weiterhin offen. Er leistet durchgehend sehr gute Arbeit mit ungewöhnlichen Methoden, die auch wir anfangs belächelt haben.
if: Erkennen Sie eine Schwäche?
Straten: Seine Schwäche ist die, die er für seine Stärke hält: sein Nimbus als weltweit agierender Nationaltrainer und die 10.000 Kilometern Distanz zwischen ihm und der Bundesliga, den Fans und den Medien. Da er berechtigte Kritik der Medien annimmt, denke ich, dass wir ihn in der nächsten Saison öfter in den Bundesliga-Stadien sehen werden.
if: Bleiben wir in der Zukunft: Wird er Gefahr laufen, Personalentscheidungen schlecht begründen zu können? Denken wir an die Torwartfrage und an eine mögliche Reaktivierung von Dietmar Hamann, Christian Wörns oder Markus Babbel?
Straten: 1. Die Torwartfrage hat er nun auf Mai 2006 verschoben, wofür ich ihm als Journalist sehr dankbar bin – ein Knochen, an dem das Fleisch nachwächst und an dem wir Journalisten immer wieder nagen können. Außerdem wird er sich, das vermute ich ganz stark, für Oliver Kahn entscheiden. 2. Man muss es akzeptieren, wenn er dem „Kindergarten“ in der deutschen Abwehr ein oder zwei „Erwachsene“ an die Seite stellt.
if: Wie ist das Verhältnis Klinsmanns zur Bild-Zeitung? Ungewohnt unabhängig und selbstständig?
Straten: Die Zusammenarbeit mit Klinsmann ist hochprofessionell und läuft sehr ordentlich. Aber manche Themen, die Bild behandelt, liest er halt nicht so gerne. Das passiert eben.
if: In der FAZ hat Klinsmann eine restriktivere Pressepolitik angekündigt. Was halten Sie von dieser Aussage?
Straten: Ich verstehe nicht, dass immer die Bild-Zeitung gemeint sein soll, wenn jemand allgemeine Medienkritik äußert.
if: Wen könnte er sonst damit gemeint haben?
Straten: Das weiß ich nicht, das müssen Sie Klinsmann fragen.
if: Also fühlen Sie sich von dieser Drohung nicht angesprochen?
Straten: Ich fühle mich genauso angesprochen wie jeder andere Journalist. Aber persönlich muss sich keiner aus der Bild-Redaktion gemeint fühlen. Ich kenne Klinsmann als offenen und ehrlichen Menschen. Er würde uns bestimmt sagen, wenn er ein Problem mit uns hätte. Alles in allem sollte man die Bedeutung seiner Aussage nicht so schwer wiegen, da er nicht mal intern auf jemanden gezielt hat. Vermutlich meint er den Boulevard, wobei es ja auch noch andere Boulevardblätter als Bild gibt.
if: Was erwarten Sie als Journalist von Jürgen Klinsmann im nächsten Jahr? Wollen Sie immer rechtzeitig die Aufstellung erhalten?
Straten (lacht): Das kann ich ja wohl nicht erwarten. Aber das große Manko während des Confed-Cups sollte er beseitigen: Die Mannschaft hat zu spät und zu selten öffentliche Trainingseinheiten abgehalten. Ich glaube, das weiß man mittlerweile beim DFB.
if: Anderes Thema: Wir lesen immer häufiger von der Bayern-Lobby. Wie wirkt sie?
Straten: Ob man von einer Lobby sprechen sollte, bezweifle ich. Man hat immer das Gefühl, von „Bayern-Lobby“ reden immer die, die sie gerne hätten, aber nicht besitzen.
if: Das klingt gut, entkräftet aber nicht den viel gehörten Vorwurf, dass die Bayern zu großen Einfluss nähmen, auch in Dingen, die sie nichts angehen.
Straten: Natürlich hat Bayern die größte Macht im Fußball-Land. Wenn Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und inzwischen auch Felix Magath reden, hört ihnen jeder zu – besonders, wenn sie kritisieren. Das sind nun mal Fußball-Kompetenzen. Klar geht es ihnen in erster Linie darum, ihre Spieler zu protegieren.
if: Und? Gelingt ihnen das?
Straten: Spieler aus Bayern fühlen sich besser beschützt als andere. Uli Hoeneß ist ein Meister des Ablenkungsmanövers. Er schafft es, ein kleines Fass zu öffnen, um ein großes Fass geschlossen zu halten. Denken Sie etwa an die Scampi-Story nach der Niederlage in St. Pauli 2002! Das ist Hoeneß’ Methode.
if: Wirkt diese Strategie auch gegen das Interesse der Nationalmannschaft?
Straten: Bayern first – dafür werden sie immer kämpfen. Das kann zu Konflikten führen. Allerdings wissen die Bayern genau, wie wichtig den Fans und Zuschauern Welt- und Europameisterschaften sind. Das war nicht immer so. Vor der EM 2000 hatte Uli Hoeneß das Ende der Nationalmannschaften vorausgesagt – und musste sich revidieren, weil die Einschaltquoten trotz des Ausscheidens der Deutschen wesentlich höher waren als bei Champions-League-Spielen. Deswegen wird es nie zu einem Bruch zwischen Bayern und der Nationalmannschaft kommen
if: Wollen die Bayern Einfluss auf die Aufstellung der Nationalelf?
Straten: Wie soll das funktionieren?
if: Hätte Carsten Jancker 33 Länderspiele ohne Bayern-Lobby?
Straten: Ich glaube, dass es den Bayern egal war, ob Jancker spielt oder nicht.
if: Ich glaube, dass die Bayern genau wissen, dass der Marktwert eines Spielers mit den Länderspielen steigt, insbesondere bei einer Weltmeisterschaft.
Straten: Tja, Rudi Völler hatte 2002 nun mal wenige Alternativen.
if: Letzte Frage: Wer sind die Gewinner des Confed-Cups? Robert Huth?
Straten: Ein bisschen … aber eher die jungen Deutschen gesamt.
if: Also Podolski und Schweinsteiger – oder Poldi und Schweini?
Straten: Podolski und Schweinsteiger.
if: Und Verlierer?
Straten: Alle die, die nicht dabei gewesen sind.
Fragen von Oliver Fritsch