Interview
Die Leute mögen einfach diese Mannschaft
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| Freitag, 22. Juli 2005Telefonat mit Michael Horeni, Frankfurter Allgemeine Zeitung, über die Pressearbeit beim Confederations Cup, die neue Begeisterung für die deutsche Nationalelf und die Bayern-Lobby
indirekter-freistoss: Der Confederations Cup gilt als Generalsprobe für die WM 2006. Bewerten Sie bitte die Organisation, erstens für die Presse…
Horeni: Es gibt ein großes Ärgernis unter den Journalisten: Die Pressekonferenz nach dem Spiel ist nicht mehr für alle zugänglich. Das müssen Fifa und OK ändern, besser: rückgängig machen, denn diese Einschränkung gab es bisher nicht. Da wird vielen Kollegen die Grundlage zu einer Berichterstattung über Fußball entzogen, indem man ihnen den Zugang zu den handelnden Personen verweigert. Die Fifa scheint Interesse daran zu haben, die Printmedien zu reglementieren. So wenig Konflikt, Kritik und Hintergrund und so viel Oberfläche wie möglich, soll das wohl zur Folge haben.
if: …zweitens allgemein?
Horeni: Auf keinen Fall besser als bei anderen Welt- und Europameisterschaften. Wenn man behauptet, die Deutschen könnten alles besser als die andern, dann muss ich was verpasst haben.
if: Überraschend sind Bedeutung und Wertschätzung des Sportlichen während des Turniers deutlich gestiegen. Wie begründen Sie die Begeisterung für die deutsche Nationalelf bei den Fans und in der FAZ?
Horeni: In dieser Mannschaft lebt ein neuer Geist. Die Fans haben ein sehr feines Gespür dafür, dass sich etwas bewegt; sie haben ja alle die letzte Europameisterschaft noch im Kopf. Dank Jürgen Klinsmann spielt die deutsche Elf nun wieder Fußball, den die Leute gerne sehen wollen: offensiv, geradeaus, mit jungen Spielern. Die Leute spüren, dass plötzlich jemand da ist, der etwas wagt, der sich gegen alte Strukturen durchsetzt, der vieles von dem tut, was lange gefordert, aber nirgendwo umgesetzt worden ist – ob in der Bundesliga, in Verbänden oder auch in manchen Medien. Klinsmann hat Mut zu Änderungen, geht Risiko ein, hat Erfolg und zeigt eine neue Perspektive – das ist fast zu viel des Möglichen. Die Leute erwarten gar nicht unbedingt den Weltmeisterschaftstitel, sie mögen einfach diese Mannschaft. Das ist der Erfolg Klinsmanns.
if: Klinsmanns Statements nach Spielen wirken auf den Fernsehzuschauer sehr ähnlich, allenfalls in Nuancen verschieden. Ein Grund für Kritik?
Horeni: Sein Spektrum ist klein, meist gibt es sehr viel Lob für die Spieler. Auf der einen Seite würde ich mir eine Differenzierung wünschen. Auf der anderen Seite muss man sich selbst fragen: „Warum macht er das? Er sieht doch auch, dass manche Dinge schlechter laufen als andere.“ Oliver Bierhoff hat das gut erklärt: Es gehe darum, der Mannschaft Sicherheit zu vermitteln und den Spielern Vertrauen zu dokumentieren; sie dürfe Fehler machen und erfahre trotzdem Rückendeckung, solange sie die Grundsätze der Gemeinschaft befolgt: gegenseitiges Vertrauen, großes Engagement, Leistungsbereitschaft, Lernwilligkeit. Wenn die Mannschaft gefestigter sein wird, kann ich mir vorstellen, dass Klinsmann auch mal andere Töne anschlagen wird.
if: Was halten Sie davon, dass Klinsmann sich oft auf das Urteil anderer Nationaltrainer beruft? Empfinden Sie das als Schwäche?
Horeni: Ich kann ihn gut verstehen. Bei all den vermeintlichen und selbsternannten Experten in den Boulevardmedien und in der Bundesliga, möchte er sich auf eine neutrale Instanz berufen. Gerade in Bild gibt es immer wieder unterschwellige und direkte Kritik von so genannten Fachleuten, die seinen Weg kritisieren. Da ist der Hinweis auf den Beifall anderer Kompetenzen hilfreich: „Seht mal her! José Pekerman lobt uns, Carlos Alberto Parreira lobt uns, die Franzosen loben uns. Seht den deutschen Fußball mal von Außen! Wenn ihr diese, meine, Perspektive einnehmt, dann seht ihr: Es geht voran.“ Aber in der Tat, es ist ein Moment der Schwäche, es ist eine Rechtfertigung.
if: Wie bewerten Sie die Pressearbeit Klinsmanns?
Horeni: Ich war jetzt bei fast allen Spielen dabei, seit er da ist. Der größte Unterschied zu seinem Vorgänger ist, dass die meisten Pressekonferenzen wesentlich substanzieller geworden sind. Man kann plötzlich über sportliche Dinge und taktische Fragen sprechen und sich über den internationalen Fußball austauschen. In dieser Qualität ist das neu. Klinsmann kann viel mehr erzählen als seine Vorgänger; ich denke dabei auch an Rudi Völler. Daher lohnt es sich für Journalisten, bei seinen Pressekonferenzen dabei zu sein. Man stellt Fragen und erhält eine Antwort mit Inhalt. Das ist ein großer Vorteil. Allerdings muss man bei Klinsmann hinzufügen, dass seine Offenheit begrenzt ist. Wenn es um persönliche Empfindungen und Eindrücke geht, zieht er eine Grenze, die er nicht überschreitet. Ein weiterer Vorteil der Klinsmann-Ära ist das Fachpersonal an seiner Seite, die das Meinungs- und Ideenspektrum erweitert haben. Wenn wir die Situation mit der Völler-Zeit vergleichen – da gab es ja überhaupt keinen neben dem Trainer, der eine kompetente Meinung hätte beisteuern können. Mittlerweile arbeiten Oliver Bierhoff, Joachim Löw, Hans-Dieter Hermann, Urs Siegenthaler für den DFB. Das sind mitunter originelle Typen, mit denen es Spaß macht, über Fußball zu reden. Ein Sonderfall, das sollte man TV-Zuschauern mitteilen, ist es, wenn die Kameras bei Pressekonferenzen laufen, wie jetzt beim Confed-Cup. Das erzeugt eine noch künstlichere Atmosphäre als bei Pressekonferenzen ohnehin üblich.
if: Anderes Thema: die Bayern-Lobby, ein Dauerbrenner der Medien. Zum ersten Mal habe ich das bewusst von Ihnen gelesen, in einem Porträt über Andreas Möller vor etwa drei Jahren, der deshalb nicht die Anerkennung erhalten habe, die ihm zusteht, weil er das „richtige“ Trikot nicht getragen habe, nämlich das des FC Bayern. Was ist dran an der Bayern-Lobby, gibt es sie überhaupt?
Horeni: Die Bayern-Lobby gibt es, und sie funktioniert. Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich machen: Bei der letzten WM ging es im Vorfeld darum, wer im Sturm spielt, Carsten Jancker oder Oliver Bierhoff? Da konnte man sehr gut beobachten, wie Karl-Heinz Rummenigge, Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß immer und immer wieder Bierhoff in verschiedenen Medien angegriffen haben – und Jancker über alles gelobt. Das wurde in allen Zeitungen gedruckt, in jeder Sendung war davon zu hören. Dieser Druck erzeugt Wirkung, nicht alle Trainer können sich davon freimachen. Es gelingt den Bayern-Offiziellen oft, den Wert ihrer Spieler, nicht zuletzt ökonomisch, durch öffentliche Diskussionen zu erhöhnen. Kürzlich traf Bierhoff in offizieller Mission Franz Beckenbauer und war ganz überrascht, wie freundlich Beckenbauer sich gegeben hat. Bierhoff sagte: „Aber du hast mich doch immer nur kritisiert.“ Beckenbauer entgegnete: „Ja schon, aber das war doch nie persönlich gemeint.“ Die Bayern verfolgen zuerst ihre Interessen.
if: Ist Oliver Kahn ein Begünstigter?
Horeni: Nein, ich habe nicht den Eindruck, dass Klinsmann sich in der Torwartfrage von den Bayern beeinflussen lässt. Das sieht man an der Ankündigung Klinsmanns, die Entscheidung in den Mai 2006 zu vertagen. Übrigens glaube ich, die Bayern sind sehr froh, dass Klinsmann die Torhüterrotation eingeführt hat. Er hat Kahn dadurch klargemacht, dass er sehr viel tun muss, um die Nummer 1 zu bleiben. Das haben die Bayern gerne gesehen, seine Leistungen hat er ja auch im Verein gesteigert.
if: Über die SZ ist zu lesen, sie sei das neue Leitmedium im Fußball – oder kritisch ausgedrückt „das Sprachrohr Klinsmanns“. Welche Bedeutung messen Sie dem Interview bei, das Klinsmann der SZ vor einem Jahr gegeben hat und das die Trainerfindung des DFB beeinflusst haben soll?
Horeni: Ob es einem gefällt oder nicht – das Leitmedium in Deutschland ist nach wie vor die Bild-Zeitung. Klinsmann hat in der Phase nach der EM in Portugal drei Interviews gegeben: Das erste am Tag des Finales in unserer Sonntagszeitung, bereits mit deutlichen Aussagen. Da hat man an ihn als Trainer noch nicht gedacht, weil alle glaubten, Otto Rehhagel werde es ohnehin. Dann ist ein Interview mit Klinsmann in den Stuttgarter Nachrichten erschienen und erst dann das in der SZ, das Sie ansprechen. Diese drei erschienen in der Phase des großen Durcheinanders, wenn man so will, zu einem strategisch günstigen Zeitpunkt. Der DFB hätte am Ende ja fast jeden genommen.
if: Da können wir ja froh sein, dass die richtigen im Urlaub waren. Und wo verortet sich die FAZ?
Horeni: Wir sprechen mit allen und lassen alle Leute zu Wort kommen, die relevant sind. Wir schreiben unsere Meinung, ohne das Sprachrohr von irgendjemandem zu sein.
Fragen von Oliver Fritsch