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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Interview

Die TV-Pressekonferenz ist nur für einen Menschen erfunden worden: Harald Schmidt

Oliver Fritsch | Freitag, 22. Juli 2005 Kommentare deaktiviert für Die TV-Pressekonferenz ist nur für einen Menschen erfunden worden: Harald Schmidt

Telefonat mit Christof Kneer, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, über nutzlose Wohnsitzdebatten, langweilige Torwartfragen und seine Hoffnung auf mehr Erkenntnisse bei DFB-Pressekonferenzen

indirekter-freistoss: Viele Fußballjournalisten beklagen die Monotonie in der Sprache Jürgen Klinsmanns. Ist das seine größte Schwäche?

Kneer: Schwäche würde ich es nicht nennen, aber es ist eben nicht ungefährlich. Klinsmann macht es sich damit schwerer als nötig. Das, was auf dem Platz so wunderbar funktioniert, tritt in der Berichterstattung zunehmend zurück hinter die Klage an der „Schönrednerei“. Gerade die interpretierenden Medien schauen dann schon mal genauer auf seine Rhetorik, etwa der Spiegel, der Ende 2004 von der „Marketing-Inszenierung Klinsmann“ sprach.

if: Hat Klinsmann in einem Jahr Amtszeit wichtige Erfahrung im Umgang mit den Medien gesammelt?

Kneer: Sicher, aber vermutlich hat auch er das Ausmaß der Medienaufmerksamkeit für einen Bundestrainer unterschätzt, allen voran die des Boulevards. Das kann einem schon mal die Geduld rauben. Man denke an Rudi Völler, der ja eigentlich ein sehr freundlicher Mensch ist: Völler hat nicht erst bei seinem berühmten Ausbruch in Reykjavik, sondern schon bei der WM 2002 angefangen, Leute zu attackieren, Bum Kun Cha zum Beispiel. Erste Tendenzen waren bei Klinsmann auch bereits zu spüren. Es liegt wohl daran, dass er sehr professionell arbeitet und neue Methoden etabliert, seine Arbeit von manchen Zeitungen aber nicht genug gewürdigt findet. Doch Kampagnenführung gehört nun mal zum Berufsbild des Boulevard-Journalisten.

if: Welche Kampagnen könnten ihm denn bevorstehen?

Kneer: Das lässt sich schwer vorhersagen, aber vermutlich müssen wir eine Fortsetzung der Wohnsitzdebatte fürchten. Dabei ist die Sache lächerlich. Von den acht Trainern beim Confederations Cup sind fünf oder sechs schon für ihr „falsches“ Zuhause beschimpft worden. Im modernen, globalisierten Fußball ist so was aber doch normal. Hat eigentlich der Duden die „Wohnsitzdebatte“ schon aufgenommen?

if: Nein, aber die „Torwartfrage“ soll gute Chancen haben.

Kneer: Das kann doch keiner mehr hören, das kann doch keiner mehr lesen. Im Herbst 2004 war das vielleicht noch spannend, da haben alle Toni Schumacher angerufen, und wenn der das Handy ausgeschaltet hatte, dann haben sie Uli Stein angerufen. Aber jetzt ist alles von allen gesagt. Es langweilt und nervt, was nicht bedeutet, dass Klinsmanns Rotationsprinzip falsch ist. Doch wenn wir mitgeteilt bekommen, Oliver Kahn sitze morgen in der Pressekonferenz, dann denken alle gleich: „Hoffentlich reden wir über Sport!“ Allenfalls der Boulevard wird die Ohren spitzen, wenn vielleicht irgendeiner mal ausrastet – was aber, zumindest unter den Torhütern selbst, nicht passieren wird.

if: Klinsmanns Körpersprache verrät manchmal Misstrauen. Ist das Misstrauen gegen über Journalisten?

Kneer: Ich weiß nicht, ob Misstrauen das richtige Wort ist, aber ich weiß, was Sie meinen. In Interviews mit dem ZDF und mit der FAZ hat er sich erstaunlich klar gegen den Boulevard positioniert; ihn nervt manches in der Berichterstattung. Ist diese Konfrontation nun mutig oder unklug? Wahrscheinlich beides, obwohl ich den Grund nicht genau einschätzen kann.

if: Welche Konsequenz könnte das für Sie als SZ-Journalist haben?

Kneer: Angesprochen fühle ich mich nicht, es würde mich auch nicht beeinträchtigen. Und selbst wenn es mich betreffen würde, selbst wenn er mich persönlich gemeint hätte, müsste ich versuchen, es in meiner Arbeit auszublenden.

if: Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit mit dem Trainerteam?

Kneer: Sehr professionell. Oliver Bierhoff, von dessen Job man anfangs nicht genau wusste, wozu er gut ist, bewegt sich sehr professionell zwischen allen Akteuren: Sponsoren, Medien, Mannschaft, Trainer, Funktionäre. Auch Joachim Löw ist ein wichtiger Gesprächspartner. Der Dialog nutzt sich nicht so schnell ab, weil man nicht immer dieselben Sätze hört.

if: Bewerten Sie bitte den Medientag…

Kneer: Ich fand ihn ganz hervorragend. Ich hatte plötzlich die Gelegenheit, eine lang geplante Story über die deutsche Abwehr gründlich zu recherchieren. Ich bin zu jedem Spieler gegangen, endlich hatte ich die Chance, und habe mit allen gesprochen: Andreas Hinkel, Patrick Owomoyela, Per Mertesacker, Robert Huth. So ist ein anderes Bild entstanden, die Geschichte ist „runder“ geworden. Auch von Kollegen weiß ich, dass sie den Medientag sehr gut fanden. Ich bin gespannt, ob der DFB diese Möglichkeit auch bei der WM einsetzen wird. Allerdings ist die Sache dieses Mal zu kurzfristig angekündigt worden.

if: …und die Pressekonferenz im Fernsehen!

Kneer: Die Pressekonferenz im Fernsehen ist im Grunde nur für einen Menschen erfunden worden: für Harald Schmidt. Das Ganze schreit ja nach Kabarett und Glosse. Außerdem wird die Arbeit für die schreibende Presse ohne Sinn und Grund erschwert und pervertiert. Gerade bei langen Turnieren ernähren wir uns immer wieder mal von den Pressekonferenzen. Und wenn die Zuschauer alles schon im Fernsehen gesehen haben – wer liest dann noch Zeitung? Gut, große Redaktionen können die Aussagen interpretieren, einordnen, kritisieren, sie können sich sozusagen eine eigene Geschichte draus drehen; aber die Mehrzahl der Zeitungen hat schlicht die Aufgabe, die Gespräche zu dokumentieren und abzubilden.

if: Worin liegt denn der Erfolg Jürgen Klinsmanns?

Kneer: Er hat frischen Wind nicht nur in der Theorie entfacht, sondern primär auf dem Platz. Die großartigen Leistungen Lukas Podolskis, Bastian Schweinsteigers und Per Mertesackers beim Confederations Cup sind nicht zuletzt der Erfolg von Jürgen Klinsmann.

if: Blumen für Klinsmann von einem SZ-Journalisten überraschen nicht. Die SZ ist auf Klinsmann-Kurs. Ist sie das „neue Leitmedium“ oder gar eine „PR-Agentur Klinsmanns“, wie die taz bissig feststellt?

Kneer: Leitmedium ist ein eher neutraler Begriff, aber „PR-Agentur“ ist natürlich eine Unterstellung. Oder sagen wir: Ironie. Ich liebe Ironie, aber in diesem Fall hat sie mit der Wahrheit leider nichts zu tun. Die Bild-Zeitung hat übrigens nach anfänglicher Zurückhaltung beim Confed-Cup die ach so Klinsmann-freundliche SZ am Ende in Sachen Euphorie auf allen Schienen rechts und links überholt – nicht analytisch, sondern emotional.

if: Die Euphorie beim Confed-Cup war nicht vorauszusehen. Bei der Eröffnung der Allianz-Arena zwei Wochen zuvor schien die Stimmung nicht nur auf den Rängen feindselig.

Kneer: Ob man von Feindseligkeit sprechen sollte, weiß ich nicht unbedingt. Aber so wie es gelaufen ist: mit den Pfiffen gegen Jens Lehmann, den Sprechchören gegen die deutsche Elf und dem Streit zwischen Oliver Bierhoff und Karl-Heinz Rummenigge – so möchte man das nicht mehr haben, das haben ja alle Beteiligten hinterher gesagt.

if: Zum Schluss: Was erwarten Sie als Journalist von Jürgen Klinsmanns im nächsten Jahr?

Kneer: Erstens: Mehr Substanz und mehr Erkenntnis für uns in der Pressekonferenz. Wir Journalisten vermuten, dass Klinsmanns Team hinter den Kulissen Sportliches sehr genau und tief analysiert, daran würden wir alle gerne mal ein bisschen schnuppern. Zweitens sollte der DFB bei der WM die Trainingseinheiten nicht so rigide abschotten, wie er das beim Confed-Cup getan hat, aber das dürfte nur ein frommer Wunsch sein. In dieser Hinsicht ist Fußball-Deutschland unter Klinsmann keineswegs offener geworden. Nach wie vor gibt es fast nur Geheimtrainings, alles strikt nach Fifa-Vorgaben. Das gibt der Sache einen konspirativen Anstrich, den sie gar nicht verdient. Da muss ich manchmal schmunzeln. Natürlich muss nicht jedes Training öffentlich sein, so spannend ist das nun auch wieder nicht. Rudi Völler, der immer noch wie ein Spieler denkt und fühlt, hat das mal schön erklärt: „Wenn ein Rechtsfuß im Training mit links hundert Meter übers Tor schießt, dann will er das am nächsten Tag nicht in der Bild-Zeitung lesen.“ Da ist was dran, deswegen galt Völler bei den Spielern immer als authentisch. Drittens könnte Klinsmann seine Wortwahl ein wenig variieren.

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