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Interview

Fußballsachverstand ist global

Oliver Fritsch | Freitag, 22. Juli 2005 Kommentare deaktiviert für Fußballsachverstand ist global

Telefonat mit Michael Ashelm, Frankfurter Allgemeine Zeitung, über Jürgen Klinsmanns Arbeit als Bundestrainer, dessen Verhältnis zu den Journalisten und die Vorzüge Jens Lehmanns

indirekter-freistoss: Vergleichen Sie bitte Jürgen Klinsmanns Verhältnis zu den Journalisten mit dem früherer Bundestrainer!

Ashelm: Was ich erfahren habe bei Klinsmanns Pressearbeit: Er behandelt die Pressevertreter – so weit dies möglich ist – gleich. Diesen Eindruck hatte man in der Vergangenheit nicht unbedingt immer. Dieser mögliche Grundsatz von ihm überträgt sich sogar auf seine Zusammenarbeit mit den Spielern.

if: Seine Körperhaltung bei den Pressekonferenzen am Ende des Confed-Cups deutete Misstrauen an. Liegt das an der Gegenwart der Journalisten?

Ashelm: Ist es Misstrauen oder vielleicht seine Art der Konzentration? Das ist schwer zu sagen. Natürlich hat Klinsmann den Ehrgeiz, sich im Licht der Öffentlichkeit so gut wie möglich darzustellen. Andererseits ist es kein großes Geheimnis, dass ein bestimmtes Medium schon mal bessere Kontakte zum Bundestrainer hatte und machtvoll genug ist, ihn zu ärgern. Sicherlich nahm er darauf Bezug, als er im Interview mit der FAZ kürzlich gesagt hat, er könne auch „dicht machen“, wenn aus seiner Sicht mit überzogener Kritik an den Spielern seitens der Medien übertrieben würde.

if: Fühlen Sie sich von dieser Drohung angesprochen, oder würde Klinsmann da zwischen „Gut“ und „Böse“ unterscheiden? Würden Sie auch unter dieser Blockade leiden, als FAZ-Journalist?

Ashelm: Es geht gar nicht um „Gut“ und „Böse“. Würde es zu einer Blockade kommen, ist anzunehmen, dass gerade die Printmedien darunter zu leiden hätten. Aber aus professioneller Sicht dürfte Klinsmann das nicht wirklich anstreben.

if: Gibt es etwas, was Sie beruflich im nächsten Jahr von ihm erwarten?

Ashelm: Ich erwarte, dass der Bundestrainer bei der Zusammenarbeit mit den Medien weiterhin mit derselben professionellen Attitüde herangeht wie bei der Vorbereitung seiner Mannschaft auf die WM. Man hat bislang den Eindruck, die Kommunikation mit der Mannschaft und der Presseabteilung des DFB funktioniert. Das sollte Klinsmann weiter fördern – und nicht sagen: „Jetzt ist WM, jetzt müssen wir uns abschotten!“

if: Wieso identifizieren sich die deutschen Fans wieder mit ihrer Nationalmannschaft? Hat Klinsmanns Kommunikation dazu beigetragen?

Ashelm: Beim Confederations Cup konnte man die Begeisterung der deutschen Fans hören und spüren, etwa als sie Robert Huth unterstützten oder in Leipzig das erste Mal auch den Namen des Bundestrainers riefen. Diese Entwicklung ist schon erstaunlich, man denke zurück an Klinsmanns erstes Statement, er wolle Weltmeister werden. Es war am Anfang schon überraschend, dass man ihn für dieses mutige Statement nicht ausgelacht hat. Die Botschaft kam an, weil auch die Mannschaft mitzog. Zwischen Ankündigung und Umsetzung gibt es bislang bei Klinsmanns Projekt keine große Differenz. Das ist ein Teil des Kommunikationserfolgs, mit dem er sehr viele Sympathiewerte in der Öffentlichkeit gewinnen konnte.

if: Hat sich Klinsmann seit seinem Einstand verändert?

Ashelm: Sicherlich hat er das. Nicht so sehr in seiner Sprache, sondern in seinem Auftreten. Diese fast aufreizende Lockerheit der ersten Monate ist einer Ernsthaftigkeit gewichen. Zu Beginn des Confederations Cup war er wohl etwas unruhig, das hat er aber ablegen können, nachdem die Spiele ganz gut gelaufen sind. Er hat seine Ziele hoch gesteckt und mit diesem Bewusstsein ist es nur allzu normal, manchmal Herzklopfen zu bekommen.

if: Zwei Sachen sind bei Klinsmann aufgefallen: Erstens zieht er oft das Urteil anderer heran, insbesondere das ausländischer Trainer. Werten Sie das als Schwäche?

Ashelm: Er hat als Trainer eben noch nicht viel im Lebenslauf stehen. Da kommen positive Reaktionen arrivierter Kollegen natürlich recht. Aber für bare Münze sollte man diese Urteile natürlich nicht nehmen in diesem Show-Geschäft. Außerdem funktioniert diese Art „Hilfestellung“ sowieso nur, wenn parallel erfolgreich gespielt wird.

if: Zweitens beurteilt er viele Spiele seiner Mannschaft gleich – und seien sie noch so unterschiedlich.

Ashelm: Meinen sie gleich gut? Das liegt wohl an den unterschiedlichen Positionen. Natürlich arbeitet er hauptsächlich die positiven Momente eines Spiels heraus. Das ist seine Philosophie. Wir müssen als Medienvertreter aber auch die schwachen Spielphasen ansprechen.

if: Wie finden Sie, dass Klinsmann sich Hilfe von Außen holt, etwa den Schweizer Sportpsychologen Urs Siegenthaler?

Ashelm: Es spricht ja nichts dagegen, dass Klinsmann alte Strukturen aufbricht und sich Know-how von Außen holt. Fußballsachverstand ist global und wenn die Beratung wichtige Erkenntnisse bringt, warum sollte man sie nicht nutzen? In Deutschland haben wir damit wohl ein Problem.

if: ARD und ZDF senden wie bei der Euro 2004 die deutsche Pressekonferenz mittags live. Harald Schmidt hat über die „dämlichen Fragen“ gelästert. Finden Sie sich, als Sportjournalist, gut abgebildet? Was halten Sie von diesem TV-Format?

Ashelm: Ich denke, die Arbeit der Journalisten bei der Nationalmannschaft ist nicht besser oder schlechter als in anderen Bereichen der Berichterstattung. Man kann über den Sinn der TV-Pressekonferenz streiten. Einerseits kann das für die Fernsehzuschauer interessant sein, um mehr Einblick in das System Nationalmannschaft zu erhalten. Andererseits haben die Printmedien ein wenig das Nachsehen, weil interessante Diskussionen oder Stellungnahmen schon am Tag vor der Veröffentlichung in der Zeitung vermehrt über Radio, Fernsehen oder Internet kursieren.

if: Anderes Thema: In letzter Zeit ist wieder vermehrt von der Bayern-Lobby zu lesen. Selbst El País hat darüber geschrieben. Gibt es sie wirklich oder ist es eine Verschwörungstheorie?

Ashelm: Ich kann mir wirklich keine Verschwörung vorstellen, aber natürlich gibt es die Bayern-Lobby. Der FC Bayern ist ein wichtiger Fußballklub in Deutschland, und natürlich gibt es Interessen, die Macht darzustellen und einzusetzen. Wir alle wissen, dass die Protagonisten auf Bayern-Seite gerne gewichtig argumentieren und dabei manchmal auch über das Ziel hinausschießen. Aber das ist ihr gutes Recht. Man kann ja dagegen reden.

if: Wird Oliver Kahn davon profitieren? Oder hat er das schon in der Vergangenheit?

Ashelm: Ich glaube, er wird nicht davon profitieren. Klinsmann hat wohl seinen Vorsatz, denjenigen Torwart spielen zu lassen, den er bei der WM für die richtigen hält. Und wenn Oliver Kahn eine schlechte Serie erwischt und dagegen Jens Lehmann erfolgreich hält, dann wird er ihn nicht spielen lassen. Sollte hier Druck von Bayern aufgebaut werden, wird sich der Bundestrainer davon wohl nicht in seiner Entscheidung beeinflussen lassen. So war es jedenfalls bislang zu spüren.

if: Na, das sind ja gute Zeichen.

Ashelm: Hätten Sie lieber Lehmann?

if: Nein, ich will eine gerechte Lösung. Meine Meinung ist, dass Kahn selbst bei der WM 2002 stärker gemacht worden ist, als er war. Im Finale gegen Rivaldo, das war nicht sein erster Fehler.

Ashelm: Beide, Lehmann und Kahn, haben ihre besonderen Stärken. Kahn der Meister auf der Linie, Lehmann verfügt über ein gutes Raumgefühl und kann mitspielen. Ich denke, die Mannschaft hat zwei sehr gute Torhüter, jedoch darf man gespannt sein, ob jemand in diesem außergewöhnlichen Zweikampf die Nerven verliert.

if: Der Umfang der FAZ-Berichterstattung über den Confed-Cup war sehr groß – EM-Format. Auch im Feuilleton wurde berichtet, auf Seite 1 und meist euphorisch. Finden Sie das angemessen? Schließlich war die Bedeutung des Turniers in Deutschland im Vorfeld bezweifelt worden.

Ashelm: Der Confederations Cup in diesem Jahr war für viele eine Generalprobe. Das Turnier fand in Deutschland statt, da sind die neuen Stadien, die Frage, wie das deutsche Publikum reagieren würde, außerdem befindet sich die deutsche Elf in einem spannenden Prozess der Entwicklung. Ich glaube, das sind genug gute Gründe, viel zu schreiben über diesen Volkssport. Schließlich profitiert der Leser von einem großen Angebot und kann sich bei der Lektüre seinen Präferenzen widmen.

if: Ein paar kurze Fragen: Ist das Sponsoring wirklich so penetrant, wie man immer liest?

Ashelm: Erst einmal ist es natürlich fragwürdig, ob selbst der Münzwurf des Schiedsrichters vor Anpfiff des Spiels von einem Sponsor präsentiert werden muss. Aber ich habe mir von einem Werbepsychologen sagen lassen, dass so lange die Aufmerksamkeit nicht zu sehr von der Hauptsache genommen wird, die Werbeflut vom Zuschauer geduldet wird. Im Fall mit der Münze wäre das so. Trotzdem erscheint es, als ob eine Grenze der Zumutbarkeit erreicht sei und sich die Sponsoren in Zukunft neue überraschende Formate einfallen lassen müssten.

if: Kommerzialisierung – wie hoch schätzen Sie das Protestpotential der Fans? Das war mal kurz ein Thema, aber dann hat man davon wenig mitbekommen.

Ashelm: Gering. Das ist wie mit den Autobahnstaus im Sommer, bei vielen Menschen würde ohne sie gar kein richtiges Feriengefühl aufkommen. Wir leben im Zeitalter ausgiebiger Kommerzialisierung, daran hat sich auch das Fußballpublikum längst gewöhnt. Es begreift sich als Teil des Events und feiert sich selbst. Wir kennen ja den Begriff der Event-Gesellschaft.

if: Bewerten Sie bitte die Organisation, a) für die Presse und b) allgemein!

Ashelm: Zwei Mal eine 2. Aber es gibt trotzdem Nachholbedarf.

if: Woran hat es denn gefehlt?

Ashelm: Nicht alle Stadien, zum Beispiel Leipzig, sind wirklich fertig gestellt. Zudem ist hier und da zu erkennen, dass zwar supermoderne Arenen entstanden sind, aber die Planer sich wenig Gedanken über die Bewältigung des Verkehrs rundherum gemacht haben. Das überrascht doch sehr. Bei der Pressearbeit der Fifa oder des Organisationskomitees ist zu bemängeln, dass sich akkreditierte Journalisten trotz Zulassung für einzelne Spiele nicht nur für den Eintritt in die so genannte Mixed-Zone für Gespräche mit den Spielern bewerben müssen, sondern ihnen auch die Teilnahme an der offiziellen Pressekonferenz nach dem Spiel nicht sicher ist. Dieses Ausschlussverfahren ist für eine ausgewogene Berichterstattung nicht hinnehmbar.

if: Zum Schluss bitte die Gewinner des Confed-Cups, sportlich und neben dem Spielfeld!

Ashelm: Sportlich die jungen Deutschen: Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger. Sie prägen nun erst einmal das Image dieser Mannschaft. Und außerhalb des Platzes: Franz Beckenbauer, das muss man sagen, für seinen Auftritt als OK-Präsident.

if: Was dürfte Franz Beckenbauer nicht sagen? Gibt es da irgendwas?

Ashelm: Nein, gibt es nicht. Er hat den Status, sich alles erlauben zu dürfen. In der Frage, ob Klinsmann den Torhüterzweikampf bis weit ins nächste Jahr betreiben soll oder nicht, hat er sogar mal an einem Tag in verschiedenen Medien gegensätzlich argumentiert. Das war wieder mal typisch Beckenbauer.

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