indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Interview

Herr Klinsmann muss begreifen, dass er die Medien nicht beeinflussen kann

Oliver Fritsch | Freitag, 22. Juli 2005 Kommentare deaktiviert für Herr Klinsmann muss begreifen, dass er die Medien nicht beeinflussen kann

Telefonat mit Berries Boßmann, Redakteur der Sport Bild, über Jürgen Klinsmanns Drohung an die Medien, den Zerstörer Robert Huth und den klugen Schachzug, Oliver Bierhoff als Manager einzusetzen

indirekter-freistoss: Oft äußern sich Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und Felix Magath über die deutsche Nationalmannschaft, auch in der Sport-Bild. Wie groß ist der Einfluss des FC Bayern auf Jürgen Klinsmann und den DFB?

Boßmann: Dass der FC Bayern versucht, Einfluss zu nehmen, etwa im Konkurrenzkampf der Torhüter, weiß man. Doch auch Bayern-Spieler müssen Leistung bringen, um Nationalspieler zu werden. Es wird nie so weit kommen, dass die Bayern-Führung bestimmen wird, wie viele Spieler ihres Vereins in der Nationalmannschaft spielen. Natürlich werden sie sich immer wieder über zu viele Termine beklagen, und Felix Magath will seine Spieler wieder nicht rausrücken, weil er in der Champions League spielt. Ein Bundestrainer überlegt sich natürlich drei Mal, ob er sich mit den Bayern anlegt. Es klingt halt anders, wenn der VfL Wolfsburg protestiert.

if: Einfluss auf die Aufstellung der Nationalmannschaft vermuten Sie nicht?

Boßmann: Nein, damit würde sich jeder Bundestrainer sehr angreifbar machen. Da haben Medien mehr Einfluss als die Bayern.

if: Vielleicht gibt es ein Zusammenspiel zwischen den Bayern und den Medien…

Boßmann: Sie meinen, dass die Bayern und die Bild-Zeitung zusammen bestimmen, wer für Deutschland auflaufen darf? Das schließe ich aus.

if: Ist, wie oft behauptet, die Süddeutsche Zeitung das neue Fußball-Leitmedium?

Boßmann: Die SZ hat Klinsmann durch ein Interview im Juli 2004 ins Amt geholfen. Da steht man sich näher.

if: Das klingt abwertend. Woran machen Sie das fest? Behandelt die SZ Klinsmann unkritisch?

Boßmann: Man spürt Sympathie auf beiden Seiten. Zuletzt gab er ein Interview im SZ-Magazin? Haben Sie das gelesen?

if: Ja, auch vielen anderen Journalisten ist das im Gedächtnis geblieben.

Boßmann: Die Berichterstattung über Klinsmann fällt schon aus dem gewohnten Rahmen, gerade wenn man bedenkt, dass sich die SZ kritische, ironische und sarkastische Berichterstattung auf die Fahne schreibt – und auch dafür geschätzt wird.

if: Klinsmann hat kürzlich in der FAZ angekündigt, die Zusammenarbeit mit den Medien möglicherweise einzuschränken („Wir können die Arbeit mit den Medien auch zurückschrauben“). Was sagen Sie dazu?

Boßmann: Mich ärgert es sehr, ich empfinde es als Drohung. Hier sollen Pressearbeit beschnitten und Kritiker mundtot gemacht werden. Jürgen Klinsmanns Behauptung, es bestehe ein Unterschied zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung, ist ein stark überzogener Vorwurf – und ein Irrtum. Es ist nämlich keineswegs so, dass die öffentliche Meinung immer mit Klinsmanns Meinung übereinstimmt.

if: Wen hat Klinsmann mit seiner Schelte gemeint, oder war es ein Rundumschlag?

Boßmann: Er spielt vermutlich auf den „Fall Robert Huth“ an, der nach dem Australien-Spiel bei Bild mächtig in der Kritik stand – zu Recht, übrigens. Bild hat ja schon einige Sachen gemacht, die Klinsmann nicht gepasst haben, etwa die ständige Diskussion um seinen Wohnsitz. Wie viele Kritiker sage auch ich: Klinsmann gehört hierher. Wenn man sich einen Überblick über den Leistungsstand eines Spielers schaffen will, muss man im Stadion sitzen und das komplette Spielfeld sehen. Ein kleiner Ausschnitt im Fernsehen in der Zusammenfassung und in 5000 Kilometern Entfernung ersetzt das nicht. Je näher die WM rückt, desto mehr sollte Klinsmann in den Bundesliga-Stadien zu sehen sein. Das kritisiert die Bild-Zeitung zu Recht.

if: Wie bewerten Sie andere Aspekte seiner „Reform“?

Boßmann: Unter Klinsmann hat sich viel geändert, vieles zum Guten, aber nicht alles.

if: Können Sie das genauer beschreiben?

Boßmann: Nehmen wir zum Beispiel die Torwartfrage: Lohnt es sich wirklich, eine dauerhafte Rotation einzuführen? Hat Jens Lehmann solch herausragende Leistungen gebracht, dass man Oliver Kahn in Frage stellen und ihm obendrein die Kapitänsbinde nehmen muss? Nun heißt es, dass diese Entscheidung die Leistung Kahns verbessert haben soll. Doch hat seine Steigerung wirklich mit dem Konkurrenzkampf zu tun? Ich bezweifle es.

if: Zu seiner Pressearbeit: Was ist Klinsmanns Stärke, was ist seine Schwäche?

Boßmann: Da sind wir bei dem entscheidenden Thema. Seine Stärke ist zugleich seine Schwäche: Er redet schwache Leistungen gut. Dadurch vermittelt er einerseits seinen Spielern die Gewissheit, dass er hinter ihnen steht. Andererseits verliert er dadurch unter Beobachtern an Glaubwürdigkeit. Nehmen wir das Nordirland-Spiel im Vorfeld des Confed-Cups: Patrick Owomoyelas Leistung war katastrophal, Klinsmann will ihn gut gesehen haben, und die Journalisten haben nur mit dem Kopf geschüttelt. Gleiches gilt für seine Aussagen über das Mittelfeld, als er sich festgelegt haben wollte, dass Fabian Ernst, Bernd Schneider und Torsten Frings die Platzhalter seien und die jungen Spieler „nur“ Herausforderer. Vier Tage später im Spiel gegen Russland schießt Bastian Schweinsteiger zwei Tore und wird fortan gesetzt sein; Ernst hat man kaum mehr gesehen. Durch Schönrednerei und Widersprüche hat Jürgen Klinsmann unter Journalisten an Glaubwürdigkeit eingebüßt.

if: Wie ist die Begeisterung der Fans für die deutsche Elf zu erklären? Trägt Klinsmann Anteil daran?

Boßmann: Ja. Die Fans haben ihr Herzen für die Nationalmannschaft in erster Linie dank Jürgen Klinsmanns Fußballphilosophie wiederentdeckt. Er bevorzugt einen anderen Fußball als seine Vorgänger, etwa Rudi Völler, der sehr viel Wert auf Sicherheit gelegt hat: Ergebnisfußball, eben. Klinsmann hingegen lässt Hurra-Fußball spielen, der sehr attraktiv, mutig und herzerfrischend offensiv ist, aber auch viele Risiken birgt. Während der WM kann er das in dieser Form nicht spielen lassen – zumindest nicht mit Erfolg. Alles nach vorn und darauf hoffen, dass man ein Tor mehr schießt als die drei des Gegners, das wird schief gehen. Aber man muss festhalten: Er hat der Mannschaft neues Leben eingehaucht. Er macht, was er für richtig hält – mit allen Risiken und aller Konsequenz. Was Beckenbauer und andere sagen, interessiert ihn nicht.

if: Gibt es etwas, was Sie als Journalist von ihm erwarten?

Boßmann: Ja, er soll die Mannschaft so auf Vordermann bringen, dass wir zumindest ins Halbfinale kommen. Das ist alles, was für mich zählt. Die Bewertung, was er richtig oder falsch gemacht hat, hängt am Ende doch nur vom sportlichen Abschneiden ab.

if: Aber Sie äußern doch schon jetzt Kritik an seinen Methoden, siehe die Wohnsitzdebatte. Gibt es auch Sportliches, das Sie kritisieren?

Boßmann: Ja, das teilweise katastrophale Abwehrverhalten. Da sehe ich ein großes Problem. Robert Huth hat in dieser Mannschaft nichts zu suchen.

if: Ist Huth wirklich so schlecht?

Boßmann: Er ist ein reiner Zerstörer, der seine Stärken nur im Zweikampf hat. Dieser Typ Fußballspieler, wie ihn einst Katsche Schwarzenbeck verkörperte, ist im modernen Fußball überholt. Außerdem, was hat ein Spieler in der Nationalmannschaft zu suchen, der in der ganzen Saison sechs Spiele beim FC Chelsea bestritten hat, davon vier Mal eingewechselt? Was ist mit Klinsmanns Forderung, dass jeder Nationalspieler Stammspieler in seinem Verein zu sein habe? Huth ist ein Paradebeispiel für Klinsmanns Hang zum Widerspruch. Ein anderes ist Mike Hanke, der für Schalke 04 fast eine Saison lang auf der Bank saß. Recht verstanden: Klinsmann soll seine Linie durchziehen und weiterhin neue, junge Spieler testen. Aber zu schnell darf man nicht zum Nationalspieler werden.

if: Ich sehe, Klinsmann muss Sie noch überzeugen. Sehen sie eine weitere Gefahr für ihn, etwa seitens des DFB?

Boßmann: Von der Spitze des Verbands droht ihm nichts und niemand. Er hat von Mayer-Vorfelder offenbar eine Generalvollmacht bekommen und kann schalten und walten, wie er will. Solange Klinsmann Erfolg hat und Deutschland attraktiven Fußball zeigt, solange hat Klinsmann Ruhe. Wenn aber die Ergebnisse in den wirklich schweren Testspielen gegen Holland, Frankreich und Italien auf einmal nicht mehr „stimmen“, desto mehr wird Klinsmann in die Kritik geraten. Einige haben mit ihm noch eine Rechnung offen: Sepp Maier, Bernd Pfaff, Michael Skibbe und so weiter. Er hat nun mal einige Leute radikal rasiert. Ich kann mir vorstellen, dass die bei der ersten Gelegenheit aus ihren Ecken kommen und Klinsmann laut kritisieren werden. Zugegeben, Sepp Maiers Rauswurf kann man vielleicht nachempfinden; ihm fehlte die Objektivität in diesem Torhüterduell, und seine Aussagen waren undiplomatisch.

if: Wie ist das Trainerteam neben Klinsmann zu bewerten?

Boßmann: Oliver Bierhoff als Bindeglied zwischen der Mannschaft und den Journalisten einzustellen, war ein kluger Schachzug vom DFB. Er ist jederzeit für uns ansprechbar. Auch Joachim Löw steht immer zur Verfügung und nimmt sich viel Zeit, um taktische Dinge zu erklären, und seien sie noch so kompliziert. Das passt perfekt. Klinsmann hat dadurch seinen Rücken frei, um sich mehr um die Mannschaft zu kümmern.

if: Zum Schluss: Was halten Sie von Pressekonferenzen im TV?

Boßmann: Nicht viel. Ich bin schreibender Journalist und fühle mich unwohl, wenn ich etwas nicht mehr zurücknehmen kann. Wenn ich mich beim Schreiben verrenne, kann ich immer noch mal drüber lesen und es wieder geradebiegen. Ich kenne genügend Kollegen, die sich gehemmt fühlen, wenn das Fernsehen dabei ist. Auf der anderen Seite gibt es Kollegen, die diese Pressekonferenz nutzten, um ihr Medium in den Vordergrund zu drängen und dann zig zum Teil überflüssige Fragen stellen. Sie wollen sich und ihre Zeitung profilieren.

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