Interview
Reformator Klinsmann, übernehmen Sie!
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| Montag, 25. Juli 2005Der Confederations Cup in den Medien – Betrachtungen eines Zeitungslesers
Von Oliver Fritsch
Der Confederations Cup – kleine WM oder „Konfetti-Cup“, Titel vieler Glossen und Wortwitze? Selten ist sich die Presse in der Wertschätzung eines Sportwettbewerbs so uneinig. Und mittendrin wir Orientierung suchende Leser. Gerne geben wir uns dem Pathos der FAZ hin, die nach dem Finale eine neue Epoche ausruft: „Der Fußball ist dabei, eine neue, spektakuläre Interpretation von Spielfreude und Lebenslust unter den kommerzialisierten und medialisierten Bedingungen des 21. Jahrhunderts zu finden.“ Auch wir finden all die vielen schönen Tore, um es mit unserem Bundestrainer zu sagen, sehr, sehr toll, lesen aber in der BLZ: „Man hat fast den Eindruck, dieser Cup sei nach der Wahl Ratzingers zum Papst das größte und wichtigste Ereignis unserer Zeit.“ Ja, auch an dieser Skepsis ist was dran. Wem sollen wir glauben, was dürfen wir fühlen? Als wäre diese Hinundhergerissenheit nicht genug, sind wir zarte deutsche Fußball-Seelen noch dem Schweizer Spott der NZZ ausgesetzt: „Kann eine profane Weltmeisterschaft so einen Vergleich aushalten? Vermaledeit, alle Last den Deutschen – allein gelassen mit dem Druck der Erwartung. Und über allem thront die Fifa mit ihrem Konföderationen-Cup, erhaben wie die goldene Ananas des Weltfussballs.“
Wenden wir uns anderen Früchtchen zu: Steffen Simon spricht, und die Experten drehen der Welt den Hintern zu. Über Fußball-TV-Reporter zu lamentieren ist zwar so neu und originell wie die Klage gegen Guido Knopps Geschichtsbild; im Prinzip scheint alles gesagt. Doch die SZ muss noch was loswerden: „Simon schafft es, den Platzverweis Hankes gegen Mexiko zunächst chauvinistisch zu bewerten (Fehlentscheidung!) und am Ende mit der Dummheit des Spielers zu begründen.“ Auch Delling und Netzer bekommen schlechte Zensuren, das Feuilleton der FAZ schildert Szenen einer Ehekrise: „Wenn es gar nicht mehr geht, man sich nur noch im Wege und auf der langen Leitung des anderen steht, wenn von Hingabe, gar Liebe aber auch gar kein Spurenelement mehr sichtbar, hör- oder spürbar ist, dann ist es an der Zeit, voneinander zu scheiden.“ Bleibt ein Gewinner im Fernsehen: Jürgen Klopp – eigentlich eine Nichtnachricht, denn wer hätte etwas anderes von dem eloquenten Mainzer Trainer erwartet?! Die FAS beklatscht die „frischen Auftritte als mediale Fortsetzung von Jürgen Klinsmanns forscher Strategie“ und fordert: „Jürgen Klopp muß zur WM!“ Netzer und Delling hält sie für WM-untauglich: „Bis zur WM ist für ihre Auswechslung noch Zeit.“ Reformator Klinsmann, übernehmen Sie!
Apropos Reform, als ihr Lackmustest erweist sich Klinsmanns Gunst zu Robert Huth. Nach den drei Gegentreffern durch Australien schreibt die Bild-Zeitung den beiden ins Stammbuch: „Huths Horror-Show, Klinsis Schießbude“. Ein Sündenbock ist gefunden, wie praktisch, ein Nachfolger Carsten Ramelows (den man schon für Niederlagen der deutschen Elf schuldig sprach, bei denen er gar nicht mitgespielt hat). Doch die Zuschauer in Köln, Nürnberg und Leipzig sprechen Klinsmann und Huuuuuth das Vertrauen laut und mehrheitlich aus, erkennt die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Die Rufe sind eine Volksabstimmung für den Erneuerungskurs des Bundestrainers und dessen Mut.“ Aber warum ausgerechnet Huth?, rätselt der Tagesspiegel, „der deutsche Fußball erlebt eine Inflation an Publikumslieblingen, die Auswahlkriterien sind diffus“. Und Bild stichelt: „Kultfigur trotz oder wegen seiner Fehler?“ Die Antwort ist einfach: Die Fans rufen nun mal am liebsten „Uuuuu“s, sie frühstücken sie mit großen Löffeln, sagt Johanns B. Kerner, den man für diesen Gag wirklich mal loben muss. Marketing-Experten und Manager, aufgehorcht! Zieht Eure Lehre! Kauft Huths, Lukes und Rudis! Die Bild-Zeitung verdreht derweil weiter die Augen. Nach dem 4:3 gegen Mexiko dankt sie auf Seite 1: „Ballack, Poldi, Schweini – Dieser Sieg ist geili!“ Ja, liebe Bild-Redakteure, wir lieben Eure erhabenen Reime und Schlagzeilen, doch liegt Euch zum vierten Torschützen keine Erinnerung vor? Huth natürlich, wir helfen gerne. Aber nachdem Bild ein neues Genre erfindet, nämlich den Huth-Witz („Huths Mutter im Beichtstuhl zum Pfarrer: ‚Hochwürden, ist es schlimm, daß mein Sohn sonntags Fußball spielt?‘ Pfarrer: ‚Daß er spielt, nicht – aber wie er spielt, ist eine Sünde.‘“), muss Fußball-Deutschland auf folgende Definition wohl vergeblich warten: „Wir sind Huth!“
Der allwissende Rat der Bild-Zeitung, wie kann man ihn nur so mir nichts, dir nichts in den Wind schlagen? Klinsmanns Vorgänger waren da einsichtiger. Wem außer Bild haben wir die Nominierung des Alt-Liberos Lothar Matthäus (inzwischen Sport-Bild-Kolumnist) zur EM 2000 zu verdanken? Doch Klinsmann geht so viel Mitbestimmung zu weit: „Wir lassen uns von außen nichts diktieren“, stößt er den Demokraten vom Boulevard vor den Kopf. Außerdem hat er einen anderen Koalitionspartner – und zwar „eine PR-Agentur aus dem süddeutschen Raum, die des Trainers Wort verkündet“, stellt die taz bissig fest. Gemeint ist die SZ, „das Leitmedium Klinsmanns, das er sich geschickt zunutze macht“, ergänzt die FR „und das ihn auf dem Weg zum Titel mit Zuneigung begleitet.“ Eine Verschiebung der Medienmacht also. Bild stampft mit dem Fuß; die Änderung der Taktik vor dem Tunesien-Spiel kritzelt sie sich auf die eigene Fahne: „Klinsi mit Matthäus-Taktik.“ Gruppensieg als Plagiat.
Wer wird denn gleich von Diebstahl reden? Man kann doch mal eine Empfehlung annehmen, auch Ihr, liebe Damen und Herren der Politik. Wieso nicht vom Fußball für das Leben lernen? Doch die FAS senkt den Blick auf den 18. September: „Möglicherweise erleben wir unter einer Kanzlerin Merkel die Erich-Ribbeck-Phase der deutschen Politik. Programmatisch scheinen die beiden nicht weit auseinanderzuliegen: ‚Konzepte sind Kokolores‘ hieß Ribbecks Motto. Mit Glück wird es unter Merkel wenigstens so wie unter Rudi Völler: nicht schön, aber halbwegs effizient. Auf einen Klinsmann-Kanzler, der die Menschen mitreißt, darf weiter gewartet werden.“ Die entscheidende Frage der nächsten elf Monate lautet: Können wir mit Angela Merkel Weltmeister werden?
Der Text ist in der August-Ausgabe der 11 Freunde erschienen, denen ich für die Erlaubnis danke, ihn hier zu veröffentlichen.