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Interview

Profis müssen zurück zu Dankbarkeit, Demut und Bescheidenheit

Oliver Fritsch | Montag, 15. August 2005 Kommentare deaktiviert für Profis müssen zurück zu Dankbarkeit, Demut und Bescheidenheit

Joachim Löw im Spiegel-Gespräch (15.8.)
Spiegel: Sie gelten als der strategische Kopf im Betreuerstab der Nationalelf. Was sind die taktischen Lehrinhalte der Rotterdam-Woche?
JL: Die Schwerpunkte stehen ja seit langem fest. Wir haben uns Etappenziele gesetzt, und der Confederations Cup hat uns Aufschlüsse gegeben, was bis Mitte 2006 noch zu tun ist.
Spiegel: Welche Etappenziele sind erreicht?
JL: Wir haben eine Mannschaft geformt, die ein positives Auftreten hat, mit der sich das Publikum identifiziert. Mit einer offensiven, risikofreudigen Spielweise. Wir haben konsequent junge Spieler eingebaut, die Mannschaft ist zu einem Team zusammengewachsen. Wegen der begrenzten Zeit wollten wir zunächst nicht zu viele Schwerpunkte setzen. Bislang betrafen sie mehr die Offensive, jetzt müssen wir das Gleichgewicht herstellen: Wir wollen die Mannschaft insgesamt defensiv verbessern. Das gilt nicht nur für die Abwehrspieler, sondern für die gesamte Organisation unseres Spiels.
Spiegel: Ist die Phase der attraktiven Spiele also vorbei? Wird von nun an der ernsthafte Fußball geprobt, der auch bei der WM gefragt sein wird?
JL: Nein, wir wollen uns defensiv verbessern, ohne die offensiven Stärken zu verlieren. Das System verfeinern. Es muss am Ende sitzen wie ein paar alte Schuhe. (…)
Spiegel: Sie haben den Spielern Hausaufgaben mitgegeben. Was erhoffen Sie sich von den Zusatzschichten, die sie neben dem Vereinstraining zweimal in der Woche absolvieren sollen?
JL: Heute muss ein Spieler über 90 Minuten hochkonzentriert sein. Wenn zwei, drei kräftemäßig nachlassen, schwindet die Konzentration – und es passieren Fehler. Ein Fehler kann aber bei der WM das Aus bedeuten. Deshalb muss die körperliche Basis im Idealzustand sein. Wenn ich Weltmeister werden will, muss ich damit jetzt beginnen. Die Spieler sollen sich fragen: Wie kann ich jeden Tag ein bisschen besser werden? Das wollen wir ihnen vermitteln.
Spiegel: Das klingt nach einem missionarischen Ansatz.
JL: Das können Sie interpretieren, wie Sie wollen. Wir wollen die Spieler auch neben dem Platz begleiten, ihnen auch fürs Leben gewisse Werte und Verhaltensweisen vermitteln. Es geht um Gesundheit, Regeneration, Ernährung. Und auch um andere Dinge, die uns wichtig sind, die die ganze Karriere betreffen.
Spiegel: Nämlich welche?
JL: Mich persönlich widern zwei Dinge unglaublich an_ Wenn jemand unprofessionell ist – oder wenn er arrogant ist, selbstgefällig gegenüber Mitspielern, Mitmenschen, Fans oder Medienvertretern. Nehmen Sie das Beispiel Ailton: Der bekommt bei Schalke 04 jede Aufmerksamkeit und Zuneigung, dazu viel Geld. Dann geht er nach Istanbul, zu einem Verein, der ihm noch mehr zahlt.
Spiegel: Ja und?
JL: Ich kenne aus meiner Trainerzeit dort die türkische Mentalität und weiß, welche Hoffnungen die Leute in den Spieler setzen. Kaum hat er den Vertrag unterschrieben, haut er ab nach Brasilien, ignoriert alle Terminabsprachen, kommt erst drei Tage vor dem ersten Spiel zurück. Und beschwert sich noch, dass er nicht eingesetzt wird. Wir wollen unseren jungen Spielern klarmachen: zu glauben, etwas Besonderes zu sein, ist falsch. Die Profis müssen zurück zu einer gewissen Dankbarkeit, zu Demut und Bescheidenheit.
Spiegel: Glauben Sie im Ernst, dass Sie die Profis zu besseren Menschen erziehen können? Oder akzeptieren die nicht eher Ihren Verhaltenskodex genau so lange, wie Sie und der Bundestrainer über ihre Teilnahme an der WM befinden können?
JL: Wir sind nicht ihre Erziehungsberechtigten. Aber wir sehen es als unsere Aufgabe an, ihnen zu vermitteln, dass neben dem Fußball noch andere Dinge wichtig sind: Disziplin, Ehrlichkeit, Offenheit, respektvoller Umgang untereinander und nach außen. Bei der Auswahl der Spieler ist das ein wichtiges Kriterium: Wer ist teamorientiert, wer ist charakterstark?

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