Interview
Bei Tempo 350 gewinnst du, mit 360 fliegst du aus der Kurve, mit 340 verlierst du
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| Dienstag, 16. August 2005Giovanni Trapattoni mit Uwe Marx und Oliver Trust (FAS 14.8.)
FAS: Immer, wenn Sie einen neuen Job als Trainer annehmen, heißt es, Ihre Familie müßte weiter auf Sie warten. Sind Sie ein guter Opa?
GT: Ich glaube ja. Alle paar Tage rufe ich meine beiden Enkel an. Ich stelle immer drei Fragen: Wie geht es dir? Wie geht es in der Schule? Trainierst du mit rechts und links? Die Frage nach dem rechten und linken Fuß ist wichtig. Sie gehen zwar auf eine Sportschule, aber selbst dort vergessen viele die Grundlagen.
FAS: Ging es in Ihrer Kindheit auch schon so gewissenhaft zu?
GT: Ich war in der Schule des AC Mailand, da habe ich vieles mitbekommen. Zum Beispiel wie talentierte Spieler nicht mehr weiterkamen, weil sie die Grundlagen vernachlässigt haben. Nehmen Sie Lothar Matthäus bei Inter. Ich habe zu ihm gesagt: Lothar, ein Weltstar wie du muß mit rechts und links spielen können. Er hat trainiert, jede Woche, rechts, links. Auch ein Tor mit links ist schließlich ein Tor. In der Meisterschaft hat er dann zwei Tore mit links geschossen. Auch jeder Musiker übt täglich Tonleitern und grundlegende Techniken.
FAS: Ist eine Fußballmannschaft wie ein Orchester?
GT: Im Grunde schon. Aber ich sehe einen großen Unterschied: Ein Orchester spielt nach Noten und hört auf den Dirigenten. Aber wir leben zusammen, wir müssen den Charakter unserer Kollegen verstehen. Wenn du dich selbst verstehst, den Kollegen, die Situation, dann holst du einen Punkt mehr in der Saison. Und das kann entscheidend für die Meisterschaft sein. (…)
FAS: Muß Fußball schön sein oder nur erfolgreich?
GT: Ich bin auch Ästhet, sicher ist es besser, schönen Fußball zu spielen. Aber es gibt Regeln, auch bei schönem Fußball. Wir wollen beides, ein gutes Ergebnis und ein gutes Spiel. Das verlangt eine Art Harmonie, die nur durch Arbeit zu erreichen ist. Diese Suche, dieses Bemühen, dieses Bauen fasziniert mich. Es treibt mich an. Fußball ist Effizienz, Fußball ist Ergebnis. Darauf baut alles andere auf. Fußball ist kein Theater. Gehst du ins Theater, ist es schön, aber du hast kein Ergebnis. Ich liebe das Theater, aber ich suche das Ergebnis.
FAS: Wäre für Sie ein 22. Titel noch wichtig?
GT: 21, 22, 23, 25 oder 29 – das ist doch völlig egal. Es geht mir um den Aufbau, um eine Weiterentwicklung. Den genauen Punkt zu finden, mit dem ich gewinnen kann, das ist reizvoll. Wie in der Formel 1: Bei Tempo 350 gewinnst du, mit 360 fliegst du aus der Kurve, und mit 340 verlierst du.