Ball und Buchstabe
Zeichen einer neuen Geisteshaltung?
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| Mittwoch, 14. September 2005Der Historiker Nils Havemann hat im Auftrag des DFB eine Studie über den DFB in der NS-Zeit geschrieben; Matti Lieske (BLZ 14.9.) kommentiert die bisherige Geschichtspolitik des DFB: „Kein anderer Sportverband hat die braunen Flecken in seiner Historie so ausdauernd ignoriert wie der DFB, kaum ein anderer Verband hat in seiner Führungsspitze so hartnäckig eine nationalkonservative Ideologie gepflegt, die der Aufdeckung und Anerkennung von Verfehlungen in jener Epoche entgegen stand und alle diesbezüglichen Mahnungen in den Wind schlug. Da gab es den DFB-Präsidenten Peco Bauwens, der in seiner berüchtigten Rede nach dem WM-Gewinn 1954 von bestem Deutschtum und stolzen deutschen Fahnen schwärmte. Da gab es Hermann Neuberger, der 1978 in Argentinien den Wehrmachtsflieger und Neonazihelden Rudel ins Trainingslager der deutschen Mannschaft einlud und die Militärdiktatur lobte, die eine ‚Wende zum Besseren’ in Argentinien bewirkt habe. Und da war Gerhard Mayer-Vorfelder, der Schüler die erste Strophe des Deutschlandliedes singen lassen wollte und erklärte, dass ‚die Chaoten in Berlin, der Hafenstraße in Hamburg und in Wackersdorf schlimmer herumspringen als die SA jemals.’ Es ist zu hoffen, dass das überfällige Bekenntnis des Verbandes zu seiner Vergangenheit tatsächlich Zeichen einer neuen Geisteshaltung ist.“
Aufklärerisch
Erik Eggers (Tsp 14.9.) rezensiert: „Das überaus lesenswerte Buch beantwortet zwar nicht alle Fragen zum Fußball im Dritten Reich, die krude Geschichtspolitik des DFB nach 1945 und die personellen Kontinuitäten etwa werden nur angeschnitten. Womöglich wird es aber Debatten provozieren. Insofern wäre es im besten Sinne aufklärerisch.“
Ein Anfang
Folgt eine Götz-Aly-Debatte? Wolfgang Hettfleisch (FR 14.9.) nennt die Schwäche der Havemann-Studie: „Die große Stärke dieser aufwändigen Studie, der scharfe Blick für persönliche Zusammenhänge und biografische Details, offenbart das bemerkenswerte Interesse für das Individuum und die Motive seines Handelns zugleich deren größte Schwäche: Die rasch fortschreitende politische Durchdringung des Sports, der Prozess seiner formalen wie ideologischen Eroberung durch das Regime gerät über der dominanten Frage nach den persönlichen Motiven der DFB-Funktionäre zu einer Art Rahmenhandlung – kaum mehr als Beiwerk für die eindrucksvollen Charakterskizzen. Es ist immer aufschlussreich, aus der Geschichtsschreibung zu erfahren, warum jemand mutmaßlich so und nicht anders gehandelt hat. Aber es muss dabei doch das Ziel jedes Historikers bleiben, nach der weit umfassenderen Erkenntnis zu trachten, warum etwas so und nicht anders geschehen ist. Havemanns verdienstvolle Arbeit bildet deshalb hoffentlich einen neuen Anfang in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Rolle des DFB im Nationalsozialismus – und dient nicht der Verkündung von deren Ende.“
Gerd Herzog (BLZ/Feuilleton 14.9.) ergänzt: „Am Ende bleibt ein merkwürdiger Eindruck: Je mehr Havemann die Distanz der Funktionäre zur NS-Ideologie betont – sie also in dieser Hinsicht entlastet –, umso mehr zeichnet er das Bild eines DFB, der ohne Skrupel einzig und allein auf das Geschäft blickte. Es ist kein Bild, das Sympathien weckt.“
Thomas Kistner (SZ 14.9.) hofft auf eine Analyse des Sports in der DDR: „Vielversprechend ist, dass der DFB bei künftigen Veranstaltungen den Umgang des Sports mit seiner Geschichte nach 1945 beleuchten will. Das bezöge ja auch die jüngere Vergangenheit ein und müsste aktuelle Debatten kreieren, die sich die vereinigte Sportskameradschaft bisher nur unter erbittertem, konzertiertem Widerstand aufzwingen ließ: Stasi, Staatsdoping und andere beschämende deutsche Beiträge zur Körperkultur. Auch, weil die Zeit der Teilung nicht mit der unterm Hakenkreuz gleichzusetzen ist, wird hier der Wille zur wahrhaftigen Aufarbeitung leichter prüfbar sein.“
FAZ: Studie über NS-Zeit – der DFB stellt sich seinem finstersten Kapitel
SZ: späte Öffnung
Tsp: endlich ehrlich