Interview
Wenn Jürgen das ganze Jahr über hier wäre, wäre er nicht so positiv
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| Mittwoch, 12. Oktober 2005Oliver Bierhoff mit Stefan Hermanns & Michael Rosentritt (Tsp 12.10.)
Tsp: Vor vier Wochen haben Sie sich mit den Bundesligatrainern getroffen. Anschließend haben alle die harmonische Atmosphäre gelobt, und jetzt werden Sie von denselben Trainern angegriffen?
OB: Wir sind auch ein bisschen überrascht. Der Austausch wurde ja von unserer Seite gesucht. Felix Magath hat gerade erst bestätigt, dass er noch zu keinem Bundestrainer einen so engen Kontakt hatte wie zu Jürgen Klinsmann. Ich kann auch nicht verstehen, dass um den Leistungstest so ein großes Theater gemacht wird. Wir reden über sieben Sprints, einen Ausdauerlauf über 3,5 Kilometer und ein paar Stabilisationsübungen. Es kann doch nicht der Anspruch eines Bundesligaspielers sein, dass das eine zu hohe Belastung ist.
Tsp: Haben Sie mit solchen Schwierigkeiten in dieser Phase der Saison gerechnet?
OB: Nein, viel früher. Aber deswegen können wir nicht von unserer Linie abgehen. Ich habe das selbst als Spieler erlebt. Sobald ein Trainer hin- und herhüpft, fängt es an, verkehrt zu laufen. Die Ratschläge von erfahrenen Leuten hören wir uns an. Was wir letztlich daraus machen, ist unsere Sache.
Tsp: Ralf Rangnick hat gesagt, er erwarte keine rege Kommunikation, sondern eine fruchtbare.
OB: Fruchtbar kann aber nicht bedeuten, dass jeder seine Wünsche äußert und wir die dann erfüllen. Es gibt genug Beispiele, dass Klinsmann auf Einwände reagiert hat. Miroslav Klose hat am Ende der vorigen Saison zwei Monate verletzt gespielt – wir haben beim Confed-Cup auf ihn verzichtet, damit er sich operieren lassen konnte. Aber wir müssen eben auch mal Spieler einsetzen, die der Vereinstrainer lieber geschont sähe. Die Bremer haben sich vor einem Jahr darüber beschwert, dass ihre Spieler in der Nationalmannschaft zu kurz kommen, jetzt beschweren sie sich, dass sie zu viel spielen. Wir können den Spielern doch nicht dauernd einreden, dass die Belastung zu hoch ist. Per Mertesacker bestreitet in dieser Saison 34 Bundesligaspiele und noch ein paar Länderspiele – das müsste für einen 21-Jährigen gerade noch zu bewerkstelligen sein. (…)
Tsp: Die Spieler sollen Opfer bringen. Wie sieht es mit Klinsmann aus? Müsste sein Opfer nicht sein, dass er von Los Angeles nach Deutschland umzieht?
OB: Die Frage ist, ob es nicht ein Opfer ist, immer hin- und herzufliegen. Vor allem wenn man an das ganze Theater denkt, das um dieses Thema immer veranstaltet wird. Ich glaube, die Forderung an Klinsmann ist eher eine emotionale als eine inhaltliche. Man will das Gefühl haben, er ist in der Nähe. Aber Jürgen muss für sich ausmachen: Wo kann ich meine beste Leistung bringen? Wenn er das ganze Jahr über hier wäre, wäre er nicht effektiver – und vor allem nicht so positiv.