Internationaler Fußball
Krise der Serie A
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| Samstag, 22. Oktober 2005Die FAZ setzt heute die Krisenbeschreibung fort, der sich die Serie A (primär) und die Premier League ausgesetzt sehen. Beide Ligen stehen im Verdacht, bei der Erschließung neuer Geldquellen die Fans vergessen zu haben und das eigene Wachstum überschätzt. Nun kämpfen sie mit Zuschauerrückgang.
In Italien sind die Symptome drastischer und die Ursachen zahlreicher; die NZZ stellt eine „Verwässerung fest durch die Aufstockung der Liga auf zwanzig Mannschaften“, und merkt an, dass die Ticketeinnahmen allenfalls noch ein Zehntel des Budgets ausmachten. Die FAZ betont heute, im Einklang mit einigen Offiziellen des italienischen Vereinsfußballs, die Bedeutung der alten Stadien als Grund für die Krise: „Geisterspiele in der Betonwüste“.
Das größte und dauerhafteste Problem der Premier League erkennen die Chronisten in der Einseitigkeit des Wettbewerbs, sprich: der Überlegenheit Chelseas. Die SZ zitiert heute das „Manifest“, das Roman Abramowitsch einer Chelsea-Chronik ins Vorwort schreibt. Dort kündigt er 100-jährige Dominanz an. Philipp Selldorf schwant Böses: „Man fühlt sich zwar an sowjetische Politbüros und deren Fünf-Jahres-Staatspläne erinnert. Andererseits ist Abramowitsch dank eines Privatvermögens von elf Milliarden Euro dazu fähig, Vorkehrungen durchzusetzen, die viel weiter führen. In Chelseas Fall sogar länger als ein Menschenalter – Abramowitsch verspricht den Fans 100 Jahre Weltherrschaft.“ Auffällig: Der Erfolgsanteil José Mourinhos, schon mit einem weniger reichen Team Champions-League-Sieger, wird zurzeit verschwiegen.
Ohne echte Kulisse
Dirk Schümer (FAZ) prüft die Ursachenzuschreibung einiger italienischer Offizieller, wonach die alten Stadien den Zuschauerschwund begründeten: „Die Gründe sind vielschichtig. (…) Zudem weiteten die geldgierigen Vereinspräsidenten die Übertragungsrechte immer mehr aus. Abonnenten können längst alle Spiele der Serie A live verfolgen, seit neuestem auch im digitalen Angebot, dazu kommen stundenlange Fußball-Werbeshows im Privatfernsehen. Offenbar hat niemand geglaubt, der Fußballhunger der Italiener könnte irgendwann einmal gestillt sein. (…) In jedem Fall hat der Medienfußball schmerzlich erkannt, daß man ohne eine echte Kulisse in Europa nicht konkurrenzfähig ist. Vor allem junge Leute, die früher von allein kamen, geraten als Kunden immer mehr ins Visier. Nationaltrainer Lippi beklagte erst diese Woche, Fußball sei anders als Basketball kein Trendsport für die Ragazzi mehr; auf den Straßen und in den Vorstädten werde kaum noch gekickt. Könnte also sein, daß in der kommenden Generation auch in nagelneuen Arenen das Publikum wegbleibt. Zu Recht warnen Kommentatoren darum davor, einzig die Stadien für die Probleme des von allzuviel Werbung und Sendezeit überlasteten Produktes Fußball verantwortlich zu machen. La Repubblica kommentierte sarkastisch: ‚Die Leute gehen ja auch nicht öfter zu Beerdigungen, wenn man die Friedhöfe verschönert.’“
Den heimischen Fan vernachlässigt
Christian Eichler (FAZ) rät der Premier League zu besserer Dienstleistung: „Mehr als die unbefriedigende Wettkampfsituation an der Spitze zeigt sich, wie sehr die Premier League einen Faktor vernachlässigt hat: den Zuschauer, das unbekannte Wesen. Mit großem Erfolg haben sich englische Klubs auf fernen Kontinenten vermarktet. Doch dem heimischen Fan muten sie die höchsten Ticket-Preise in Europa zu und denkbar wenig Komfort. Bei vielen Klubs mußte sich ein Ticket-Interessent jahrelang wie ein unliebsamer Bittsteller vorkommen. Und ein simpler Service wie der, zwei nebeneinanderliegende Plätze zu erhalten, ist bei vielen Spielen unmöglich. Auch die Übersättigung mit 138 Live-Spielen im Bezahlfernsehsender Sky führte zur nachlassenden Attraktivität des Stadionbesuchs. (…) All das kann man aber auch als Zeichen der Stärke der Premier League sehen: Daß nämlich schon ein winziger, eher spür- als meßbarer Rückgang des Zuschauerinteresses als ‚Krise’ betrachtet wird. Immer noch liegt die Auslastung der Spiele deutlich über 90 Prozent, beträgt ihr globales TV-Publikum über 600 Millionen Menschen.“