Champions League
Wundervolles Ensemble stürmender Künstler
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| Freitag, 4. November 2005Werder Bremen – Udinese Calcio 4:3
Einerseits Freude und Jauchzen unter den Journalisten bei dem „wahnwitzigen Spektakel“ (SZ) im „Erlebnispark Weserstadion“ (FAZ). Andererseits bleibt, angesichts dreier Gegentore in sechs Minuten, die Skepsis der Experten über die Tauglichkeit der „taktisch limitierten Bremer“ (BLZ) für höchstes Niveau. Die FR mäkelt: „Den berauschten Bremern wird es nie und nimmer gelingen, Europa mit einem derartigen Sturmlauf zu erobern.“ Jörg Marwedel (SZ) definiert die Bremer, indem er sagt, was sie nicht sind: „Es war eine Phase, in der sich wieder einmal bestätigte, was dieses wundervolle Ensemble stürmender Künstler eben nicht ist: ein kühl kalkulierendes Kollektiv, das nach einem 3:0 auf Nachtbetrieb schaltet, das Ergebnis ökonomisch verwaltet und irgendwann seine wichtigsten Stützen auswechselt, um sie für das Kräftemessen mit dem FC Bayern zu schonen. So gesehen, sind die Bremer keinen Schritt weiter gekommen auf dem Weg zu einem auch international souveränen Spitzenteam.“ Marcus Bark (taz) mag für Bremer Erfolg nicht die Hand ins Feuer legen, schließt aber auch nichts aus: „Eine Prognose, wie es mit Werder weitergeht, ist kaum möglich. Bremen packte das gesamte Spektrum an möglicher Leistung in 90 Minuten. Manchen Trainer würde das zur Verzweiflung bringen, Thomas Schaaf machte das irrsinnig stolz.“ Klaus Bellstedt (stern.de) schildert Wonne und Entsetzen der Fans: „Wieder einmal zelebrierte das Team Fußball der allerersten Klasse – Leidenschaft, Kampf und Spielwitz inklusive. Die Zuschauer hielt es nicht mehr auf ihren Sitzen, bis das Unfassbare passierte. Innerhalb von sechs Minuten verspielten die bis dahin so brillant spielenden Norddeutschen ihre Drei-Tore-Führung. Die Werder-Anhängerschaft erstarrte zur Salzsäule und schrie einen stummen Schrei aus, so als hätte man ihr das grün-weiße Herz herausgerissen. (…) Der Jubel danach war, anders als sonst, gespenstisch. Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen, so als hätten sie einen Flugzeugabsturz überlebt. Mit zitternden Knien verließ die Werder-Gefolgschaft die Arena, die schon Schauplatz so mancher Europapokal-Schlacht war. Die Zuschauer in Bremen sind Gefühlswechselbäder gewohnt, aber so eine Horror-Show hatten sie noch nie erlebt.“
Juventus Turin – Bayern München 2:1
Berechnende Irreführung
„Die Partie hat ganz unterschiedliche Wertungen hervorgerufen“, fasst die SZ die Kritik zusammen; doch eigentlich tanzt nur Uli Hoeneß aus der Reihe, der in „berechnender Irreführung“ (FTD) sein übliches Bäuerchen macht: „Weltklasse, Weltklasse!“ Auf mehr Zustimmung trifft das Champions-League-Zertifikat der FTD für den FC Bayern: „nicht mehr unten, noch nicht oben“. Heinz-Wilhelm Bertram (FTD) sieht bei Michael Ballack genau hin: „Wieder einmal war der FC Bayern, und zwar in komfortabler Tabellensituation, ohne Not in zaghaften Verwaltungsfußball verfallen. Und Juventus deckt auf: So perfekt Ballack in seiner Motorik mit Beinen und Kopf sein mag, so überfordert ist er in der strategischen Aufgabenerfüllung. So wurde der Status des abwanderungswilligen Ballack nun, gegen einen Gegner von internationaler Klasse, nach zuletzt als himmlisch gefeierten Leistungen wieder geerdet. Und Hoeneß, der schlaue Manager, der Ballack wegen dessen Abwanderungskoketterie seit Monaten umgarnt, dürfte im Stillen frohlockt haben.“
Ungehobelt
Ein Randereignis. Ein Randereignis? Oliver Kahn erhält Tadel, weil er Jubilar Gerd Müller ignoriert. Allerdings ist niemand überrascht durch Kahn, dem wir nie vergessen werden, dass er, als Kapitän der deutschen Nationalelf, den Tod Fritz Walters in einem TV-Interview kaugummikauend kommentiert hat und den der Edeljournalist und Stil-Lehrer Wolf Schneider als „arrogantesten Torhüter Deutschlands“ bezeichnet. Elisabeth Schlammerl (FAZ) wünscht sich bessere Manieren: „Gerd Müller genoß die Ovation für seine Lebensleistung schweigend. ‚Er ist ein Mensch’, sagte Rummenigge, ‚der auch den Spielern von heute sehr viel geben kann: Demut und Bescheidenheit. Attribute, die heute nicht unbedingt an der Tagesordnung sind.’ Wie zur Bestätigung dieser Sätze rauschte Kahn an Müller vorbei, ohne ihm prompt und von Herzen zu gratulieren. Der mit exquisiten Umgangsformen nicht gerade gesegnete Bayern-Kapitän war noch derart angefressen von der Niederlage, daß er in seiner für den Moment verfinsterten Innenwelt gefangen schien. ‚So ist er halt’, zeigte Müller großmütig Verständnis für den manchmal arg ungehobelten Kapitän der heutigen Bayern-Mannschaft.“ Philipp Selldorf (SZ) fügt hinzu: „Von Willy Sagnol gab’s nach französischer Sitte ein Küsschen links und ein Küsschen rechts, von Martin Demichelis eine kleine Verbeugung, und vom Kapitän Oliver Kahn eine Gratisvorführung schlechter Laune.“
Inter Mailand – FC Porto 2:1
Eleganter Killer
Peter Hartmann (NZZ) hat Julio Ricardo Cruz und damit den richtigen Stürmer behalten: „‚El Jardinero’ heisst der 31-Jährige seit seiner Jugend, weil sein Vater Platzwart war in Banfield, einem ärmlichen Aussenquartier der Megalopolis Buenos Aires. Cruz ist ein eleganter Killer, unauffällig, mit der Technik eines Torero, der mehr mit Körpertäuschungen als mit Kraft arbeitet; und in einer Equipe, in der sich die Selbstdarsteller auf die Füsse treten (Adriano, Figo, Recoba, Mihajlovic, Stankovic, Veron) und auch Trainer Roberto Mancini mit einem schwierigen Ego geschlagen ist, trägt er, Cruz, wie es sein Name sagt, das Kreuz der Bescheidenheit. Im Sommer ist Cruz bei Inter geblieben, gehen musste hingegen Vieri, der Rambo und Macho, der neun Millionen Euro netto verdiente, (fast das Vierfache von Cruz) und der bei der italienischen Presse unten durch ist, seit er an der EM 2004, wo er ein Versager war, die Journalisten anblaffte: ‚Ich bin männlicher als ihr alle zusammen.’ Der Spruch fällt auf ihn zurück, seit er nicht mehrt trifft.“