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Deutsche Elf

Allianz für Kahn

Oliver Fritsch | Donnerstag, 10. November 2005 Kommentare deaktiviert für Allianz für Kahn

Nehmen wir mal an, Jens Lehmann wäre kurz vor der WM in besserer Form als Oliver Kahn, würde Jürgen Klinsmann den Mut haben, sich für Lehmann zu entscheiden? Die Kosten und Risiken wären sehr hoch: das Geschrei und das Gestänker kann man sich in Bild und Ton sehr genau vorstellen. Auch wenn der „Frieden von Frankfurt“ nichts gebracht hat – eine Entscheidung für Lehmann und damit gegen die „Allianz pro Kahn“ würde nun noch mehr Tapferkeit von Klinsmann fordern. Auf seine sportübliche Strategie, die Torhüter in Konkurrenz zu setzen, reagiert ein Großteil des deutschen Fußball-Stammtischs sehr allergisch.

Übermorgen wird Lehmann im Tor spielen; im Tor „stehen“ ist für einen modernen Torwart wie ihn übrigens der falsche Begriff. Warum gilt er eigentlich als Lautsprecher? Warum hat er den Ruf, ein Störenfried zu sein? Ist von ihm im letzten Jahr ein unfaires Wort gegenüber seinen Konkurrenten überliefert? Dass er etwas Essenzielles zu sagen hat, beweist er in zwei aktuellen Interviews. Der Bild-Zeitung sagt Lehmann heute auf die Frage, wie er das Votum der Bundesliga-Funktionäre gegen die Torwartrotation bewerte: „Was Karl-Heinz Rummenigge sagt, interessiert mich – mit Verlaub – nicht besonders. Jeder Vereinsvertreter ist zu verstehen, wenn er sich für seinen Spieler einsetzt. Aber mit solchen Aussagen soll keiner hingehen und behaupten, er habe ein ehrliches Interesse daran, der Nationalmannschaft zu helfen. Es wäre traurig, wenn Lobbyisten oder sogenannte Experten über die Besetzung der Nationalelf entscheiden. Ich habe Klinsmann so kennengelernt, daß er sich davon in keiner Weise beeinflussen läßt. Das wäre auch der erste Schritt zur Erfolglosigkeit. Als Spieler kann ich einen Trainer nur akzeptieren, wenn er seinen Worten auch Konsequenzen folgen läßt. Es wäre traurig, wenn über die Nummer 1 bei der WM nicht allein die Leistung entscheiden würde. Seit Beginn der Rotation sage ich: Wenn einer besser ist als ich, muß er spielen. Aber wenn ich besser bin, dann muß ich spielen. Leider gibt es darüber in Deutschland selten fachliche Begründungen. Die sogenannten Experten können oft nicht mehr beurteilen, was wichtig ist im Fußball von heute. (…) War Arsène Wenger eigentlich auch nach Frankfurt eingeladen?“

Die maßgeblichen Lobbyisten bewerten mich nicht differenziert

Was Lehmann unter modernem Torwartspiel versteht, erzählt er dem Magazin Rund in einem sehr lesenswerten Interview: „Wenn man zehn Paraden macht, war die Abwehr schlecht gestellt. Je besser die Abwehr steht, desto weniger muss man halten. Darauf hat der Torwart einen großen Einfluss. Die Zuschauer denken dann natürlich immer, man hätte nichts zu tun gehabt, aber Trainer und Mitspieler werden zufrieden sein. (…) In Bezug auf die Nationalmannschaft war es immer mein Hauptproblem, wie über mich berichtet wird. Die maßgeblichen Lobbyisten bewerten mich nicht differenziert. Ich kenne deren Hintergründe, muss solche Meinungen aber akzeptieren. Ich weiß jedoch von meinen beiden Auslandsstationen, dass meine Wahrnehmung im Ausland eine andere ist als in Deutschland. Aber daran werde ich nichts mehr ändern. Mein Spielstil ist so wenig spektakulär, da wird sich in der öffentlichen Meinung nicht viel tun. Die Meinung wird maßgeblich von Leuten beeinflusst, die mir sportlich nicht wohl gesonnen sind, warum auch immer. Persönlich habe ich mit niemandem Probleme. Seitdem mir allerdings sogar Franz Beckenbauer einen sportlichen Ritterschlag verliehen hat, bin ich ganz optimistisch.“

Die Bild-Zeitung spricht mittlerweile mit einer auffälligen Selbstverständlichkeit von der „Bayern-Lobby“, was eine Kritik an deren Macht bedeuten muss. Wer oder was ist die Bayern-Lobby? Wie funktioniert sie? Ein Beispiel vielleicht: Karl-Heinz Wild, Chefreporter beim kicker, früher verantwortlich für die Berichte über den FC Bayern, heute für die Nationalelf, hat kürzlich im DSF eingeräumt: „Man muss zugeben (!), dass Lehmann im Moment sehr gut spielt.“ Die Sprache ist die Mutter und nicht die Magd des Gedankens des Gedankens, sie verrät den Standpunkt. Diesen Satz hätte auch Uli Hoeneß sagen können. Warum sollte ein Unvoreingenommener etwas über seinen Berichtgegenstand zugeben müssen?

Bayern immer gefräßiger – noch mehr Geld, noch mehr Macht

Ich muss zugeben, dass die Sport Bild zurzeit den Bayern ganz schön die Leviten liest. In der aktuellen Ausgabe heißt es auf Seite 1 und in Schlagzeilen über die TV-Verhandlungen: „Bayern immer gefräßiger – noch mehr Geld, noch mehr Macht“ und weiter im Text: „Rummenigge giftet gegen die Liga, bei den neuen Plänen kann es einem angst und bange werden. Ob bei Spielern, Bossen oder in der Rechtsabteilung – an allen Fronten kämpfen sie darum, ihre Vormachtstellung auszubauen.“ Letzte Woche hat die Sport Bild die Bayern an „ihr Versprechen erinnert, daß sie das Gerüst der Nationalelf bilden wollten“ und gemahnt, „daß dies schwer möglich ist, wenn Abwehr und Angriff mit Söldnern aus Brasilien und Frankreich, Peru, Holland und Paraguay besetzt sind.“ Über das Frankreich-Spiel, zu dem „Sport Bild, die Nr. 1 im Sport“ gemeinsam mit DFB-Sponsor Bitburger ein großes Dossier publiziert, fürchtet der Chefredakteur im Prolog: „Wenn die Deutschen diese eine Chance nicht nutzen, endlich eine Supermacht aufs Kreuz zu legen, hat Klinsmann seinen Kampf gegen die Besitzstandswahrer in der Bundesliga verloren, denen er mit neuen Ideen und Methoden Angst eingejagt hat. Die haben nämlich kein Interesse daran, daß da einer kommt, um ihr erobertes Terrain zu bestreiten: Einer, der ihr Training kontrolliert, den Profis weniger Erholung gönnt, sogar verdiente Spieler in Frage stellt, mit den Herren Rudi Assauer und Uli Hoeneß nicht täglich ein Bier trinkt, kurz: der sich nicht von der Liga ins Korsett zwängen läßt.“

Die Bayern geben nicht mehr alleine den Ton an

Klaus Allofs im Interview mit Michael Horeni (FAZ)
FAZ: In diesen Tagen hört man anders als zuletzt kein öffentliches Gemäkel über die Torwartrotation, die amerikanischen Fitnesstrainer und den Wohnsitz von Klinsmann. Ziemlich ungewohnt.
KA: Das ist die Konsequenz aus dem Treffen in Frankfurt.
FAZ: Ist das öffentliche Schweigen der Liga schon der konstruktivste Beitrag des Profifußballs im Hinblick auf eine erfolgreiche WM – oder kommt da noch ein bißchen mehr?
KA: Das Wichtigste ist, daß man optimale Bedingungen für die Nationalmannschaft schafft – dafür reicht ein schöner Rasenplatz nicht aus. Die Stimmung im gesamten Umfeld muß gut sein. Was in den letzten Wochen an öffentlichen Diskussionen stattfand, hat dazu nicht beigetragen. Da hat sich am Ende jeder zu Wort gemeldet und manchmal war gar nicht mehr nachzuvollziehen, ob einige Aussagen tatsächlich so gemacht wurden – und ob nicht Verantwortliche aus der Bundesliga für Geschichten in den Medien herhalten mußten, um Unruhe zu verbreiten. Das war kein Umfeld, in dem sich eine Nationalmannschaft weiterentwickeln kann. Deswegen war das Zusammentreffen so notwendig – und nicht, um fachliche Dinge bis ins letzte Detail zu besprechen. Wir haben nur eine Chance, eine gute WM zu spielen, wenn sich alle in den kommenden Monaten entsprechend verhalten und Diskussionen nicht mehr über die Medien geführt werden. Ich glaube, das haben alle verstanden. (…)
FAZ: Die Bremer gelten als besonnene Kräfte im deutschen Fußball. Aber an der Diskussion um die Nationalmannschaft beteiligen sie sich stärker denn je – kritisieren aber gleichzeitig die Aufgeregtheiten. Wie paßt das zusammen?
KA: Daß wir stärker wahrgenommen werden, liegt daran, daß wir vier, fünf Spieler in der Nationalmannschaft stellen. Unser Gewicht ist größer geworden. Wir haben im Sinne unserer Spieler und unseres Vereins reagiert – wir sind aber auch benutzt worden. Wir haben nie den Konflikt gesucht, sondern uns immer als Ratgeber in persönlichen Gesprächen gesehen.
FAZ: Sie wollen auch dem FC Bayern nicht mehr alleine das Wort im Profifußball überlassen, wenn es um die Nationalmannschaft geht.
KA: Wenn die Bayern, wie das in der Vergangenheit noch stärker der Fall war, einen Großteil der Nationalspieler stellen, ist es legitim, Einfluß auszuüben. Es ist auch richtig, daß Uli Hoeneß der Sprecher der Arbeitsgruppe Nationalmannschaft ist. Aber unseren Spielern kommt jetzt eine wichtigere Rolle als früher zu. Das hat sich verändert – und daß sich damit auch die Verhältnisse ein wenig verändern, ist doch normal. Es ist schon richtig: Die Bayern geben nicht mehr alleine den Ton an.

Die Bayern-Lobby, ein zentrales Thema der freistoss-Analyse Die deutsche Fußballnationalmannschaft im Umbruch

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