Bundesliga
Es gibt keinen Spieler, der wichtiger ist als der Klub
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| Mittwoch, 16. November 2005Ausufernde Berichterstattung über Bayern München, das sein Vertragsangebot an Michael Ballack zurückgezogen hat, und von den meisten Zeitungen dafür Respekt erhält. Nur die FR hält dem Verein Manichäismus vor und legt ihm George Bushs Worte in den Mund: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“. Heinz-Wilhelm Bertram (FTD) hingegen kann Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß gut verstehen: „Was sich anhörte wie ein cooler Akt im Sportbusiness, kommt faktisch einem Eklat gleich. Vor allem Hoeneß soll verstimmt, ja verletzt sein. Was hat der Manager seinen wichtigsten Angestellten auf dem Platz nicht umschmeichelt und umgarnt in den vergangenen Wochen. Aus der Hand gefressen hat er ihm. (…) Noch nie seit Gründung der Bundesliga 1963 hat ein Profi in vergleichbarer Situation einen solch etablierten Arbeitgeber dermaßen ungeniert hingehalten und brüskiert. Der Annullierung des Angebots lag eine stark gefühlsbedingte Motivation zu Grunde.“ Auch Thomas Haid (StZ) empfindet die Gründe für die Entscheidung nach: „Es ist wieder mal klar, warum der FC Bayern die unangefochtene Nummer eins im deutschen Fußball ist. In Zeiten, in denen die Macht der Millionäre in den kurzen Hosen fast schon unendlich groß geworden zu sein scheint, ist das ein richtungweisendes Signal an den Rest der Liga nach dem Motto: Es gibt keinen Spieler, der wichtiger ist als der Klub. Mag es auch etwas populistisch gewesen sein, diesen Beschluss auf der Mitgliederversammlung zu verkünden, so zeugt der Schritt der Bayern doch von einer Konsequenz, die anderen Vereinen nur zur Nachahmung empfohlen werden kann.“ Markus Hesselmann (Tsp) ergänzt: „Der FC Bayern ist ein vorbildlich geführter Klub. Er schafft es seit Jahrzehnten, ohne protzende Präsidenten und ihre Geldvernichtungsmaschinen, ohne das ganze Gewese zwischen Madrid, Mailand und Manchester in Europa weit vorn mitzuspielen. Dieser Klub hat es nicht nötig, sich beim Poker um Ballack zu leugnen. Der Superstar kann gehen. Das wird ihm gut tun. Denn Michael Ballack soll sich ändern. Der FC Bayern soll bleiben, wie er ist.“
Ein Weltstar kann er nur im Ausland werden
Andreas Burkert (SZ) zeigt Verständnis für Verein und Spieler: „Mit Geld hat dieser Vorfall nur periphär zu tun. Es geht um etwas Größeres: um die Philosophie des FC Bayern. Weil kein Spieler größer, mächtiger und vor allem wichtiger als der FC Bayern zu sein hat, haben die prominenten Unterhändler Hoeneß und Rummenigge nun ein Signal gesetzt. Der ruhmreiche FC Bayern braucht – ganz im Gegensatz zur Nationalelf – keinen Ballack, das ist ihre Nachricht, die man jetzt ganz bewusst verbreitet hat. (…) Doch Ballack braucht auch den FC Bayern nicht, das ist in all den Wochen des Zauderns seine indirekte Nachricht gewesen; weil ja der komplette Hochadel des europäischen Fußballs den einzigen deutschen Fußballer von Weltrang umgarnt.“ Klaus Bellstedt (stern.de) unterstreicht Ballacks Perspektive: „Ballacks Entscheidung, den Sprung zu einem Weltverein zu wagen, ist nicht nur klug, sondern auch logisch. Über die Stationen Karl-Marx-Stadt, Chemnitz, Kaiserslautern und Leverkusen kam der 29-Jährige zu den großen Bayern. Auf seiner persönlichen Karriereleiter steht er beim deutschen Rekordmeister nunmehr seit fast drei Jahren auf der zweihöchsten Stufe. Ganz oben angekommen, wäre er wirklich erst als Teammitglied einer Mannschaft vom Kaliber eines Klubs wie Real Madrid. In Deutschland ist Michael Ballack ein Star, ein echter Weltstar kann er nur im Ausland werden. Dem deutschen Fußball täte es ohne Frage gut, wenn sein Aushängeschild für Milan oder Real die Fußballschuhe schnüren würde – dem ehrgeizigen Ballack, der im Ausland zu einer noch stärkeren Persönlichkeit reifen könnte, sowieso.“ Elisabeth Schlammerl (FAZ) verweist auf sein schwaches Image bei den Fans: „Die Fans der Bayern standen Ballack ohnehin sehr lang reserviert gegenüber und hatten erst in der vergangenen Saison so richtig begonnen, ihn in ihr Herz zu schließen. Sein Zaudern hat die alten Vorbehalte wieder geweckt, und nur weiterhin tadellose Vorstellungen dürften ihm Pfiffe im Stadion ersparen.“
Kernig-männliche Wehrhaftigkeit
Wenn Ballack wechselt, wohin? Eine Frage, die Fußball-Journalisten aus allen Redaktionen seit Monaten beschäftigt. Vor Wochen hat Christian Eichler (FAS) über das Ziel Manchester gemutmaßt: „Tatsächlich spricht viel dafür, daß Ballack genau der ist, auf den sie bei ManU seit ein paar Jahren warten: ein Anführer, Antreiber, Torjäger – und vor allem einer jener Schlüsselspieler oder besser: Knotenspieler, die das komplizierte Netz einer Elf zusammenhalten. ManU hat zwar Offensivspieler, die in jeder Weltauswahl glänzen könnten, aber die beiden Figuren im Zentrum, Keane und Scholes, sind über ihren Zenit hinaus. Auf keiner anderen Position ist der Rückstand zu Chelsea so eklatant geworden. Die Voraussetzungen für Erfolg in England bringt er mit: Zweikampf-, Schuß- und Kopfballstärke, dazu jene kernig-männliche Wehrhaftigkeit, ohne die man in der Premier League nicht weit kommt. Seinen Hang zum Übertreiben von Stürzen oder Schmerzen müßte er sich noch abgewöhnen.“ Michael Horeni (FAZ) schließt Ballacks Verbleiben in München nicht aus: „Das internationale Karussell beginnt sich erst langsam zu drehen – und bevor die Richtungsentscheidungen nicht getroffen sind, wollen sich die großen Akteure nicht im Detail festlegen. Ballack und sein Berater haben sich entschieden, bei diesem großen europäischen Verschiebe-Spielchen mitzumachen. Der Rückzug des erstklassigen Münchner Angebots war der Preis für den Einstieg zum Poker im Paradies. Wenn Ballack in den kommenden Monaten jedoch nicht wie erhofft den Klub seiner Träume findet, muß er nicht unbedingt mit beleidigten Bayern rechnen. Der deutsche Meister will zwar jetzt nach einem Nachfolger suchen. Aber die Marktlage ist dürftig. Nur soviel ist derzeit bei all den offenen Fragen sicher: Eine Liebesheirat zwischen Ballack und Bayern wird es nicht mehr geben. Eine erfolgreiche Zweckgemeinschaft für die kommenden Jahre ist aber allemal drin.“
Philipp Selldorf (SZ) skizziert Bayerns „Sonderweg“ in der Vertragspolitik: „In England ist es nicht üblich, dass Klubs riskieren, Spieler ablösefrei zu verlieren. In der Premier League werden die Klubs wie Firmen geführt, es gibt Anteilseigner mit Anspruch auf Dividenden; die Spieler bilden Vereinskapital und sind durch langfristige Verträge gebunden, um der Gefahr zu begegnen, dass ein Spieler ohne Entschädigungszahlung zur Konkurrenz wechselt. Dieser Trend besteht aber nicht nur in England. Ronaldinho, Deco, Eto’o und Puyol verlängerten ihre Verträge mit dem FC Barcelona bis 2010, Nachwuchsstar Messi sogar bis 2014. Beim AC Mailand unterzeichneten Nesta und Kaká ebenfalls bis 2010, auch Real Madrid, Inter Mailand und Juventus Turin sicherten Größen wie Robinho, Ibrahimovic oder Adriano mit langfristigen Vereinbarungen gegen Abwerber. Udinese Calcio gab ein exzentrisches Beispiel dieser Politik, als er den Stürmer Iaquinta auf die Tribüne verbannte, bis der seine Weigerung aufgab, den auslaufenden Vertrag bis 2009 zu verlängern. Nur die Bayern verfahren im Vertrauen auf ihre finanzielle Unabhängigkeit völlig anders. Sie gingen mit einem knappen Dutzend offener Verträge in die Saison.“