Ball und Buchstabe
Niederträchtigkeit
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| Freitag, 18. November 2005Die deutschen Journalisten sind wütend über die Fußtritte und Fausthiebe der Türken und fordern Strafe, wenn auch in unterschiedlicher Höhe. Im Zentrum der Kritik: Trainer Fatih Terim. Viele Zeitungen erinnern sich und uns an einen ähnlichen Vorfall vor zwei Jahren, als türkische Polizisten und Ordnungskräfte die Spieler der siegenden deutschen U21 gehauen und getreten haben. Vermisst werden eine Entschuldigung oder wenigstens ein Wort des Bedauerns seitens des türkischen Verbandes. Felix Reidhaar (NZZ) sitzt der Schock noch in den Gliedern; von seinem Verlangen nach Strafe nimmt er seine Landsleute nicht aus: „Die Abneigung, die der Schweizer Mannschaft von vielen Seiten entgegenschlug, hatte mit Fanatismus und Parteilichkeit, wie sie im Massensport auftreten, wenig zu tun, mit offener Feindseligkeit schon viel mehr. Besonnene, für ihre Gastfreundschaft bekannte und vom Verhalten vieler Landsleute beschämte Türken können sich nicht erinnern, dass jemals einem (Fussball-)Besucher derart hasserfüllt begegnet worden ist. (…) Was bestürzte, waren das erschreckende Verhalten des türkischen Trainers, ziemlich vieler seiner Berufsfussballer und einiger Muskelprotze mit Bodyguard-Manieren in ihrem Umfeld und der anhaltende Hagel an Wurfgeschossen. Das war eine sehr rare Dimension der Niederträchtigkeit und Gewalttätigkeit auf Fussballplätzen. (…) Nur mit exemplarischen Strafen (auch gegen tätlich gewordene Schweizer Spieler) kann die Fifa den türkischen Fussball zur Räson bringen und für das einstehen, was sie so gerne predigt: für das Gute des Spiels.“ Christian Zaschke (SZ) ergänzt: „Insbesondere Fatih Terim hatte seit der Auslosung der Relegationsspiele keine Gelegenheit ausgelassen, an Verschwörungstheorien zu basteln. Im Fall des Sieges wäre er vielleicht sogar insgeheim wegen seiner Methoden bewundert worden. Nun, nach der Eskalation, sucht er die Schuld selbstverständlich bei anderen. Er fände sie bei sich selbst, weil er im Spiel mit der Emotion zu weit gegangen ist. Die Niederlage gehört zum Fußball, aber die Niederlage wird häufig nicht mehr als Teil des Spiels akzeptiert.“
Thomas Kilchenstein (FR) vermisst bei den Türken Sportsgeist und hofft skeptisch auf Einsicht: „Die Fifa muss und sie wird handeln. Aber wird eine wie auch immer geartete Strafe auch Wirkung haben? Es ist in Fällen wie diesen doch in erster Linie eine Frage der Mentalität. Einer Mentalität, die es offenbar ausschließt zu akzeptieren, dass es im Sport eben auch Niederlagen geben kann, dass der andere womöglich an diesem Tag besser war. Und dass es nur um Sport geht. Und folglich eine Niederlage nicht gleichbedeutend ist mit einer grundsätzlichen Missachtung der Nationalität oder Ehre.“ Michael Rosentritt (Tsp) ist erbost über die türkische Gewalt: „Niemand kann trauern, dass die Schweiz statt der Türkei zur WM kommt. Das Verhalten der Gastgeber war unzivilisatorisch. Temperament und südländische Lebensfreude haben nichts mit Verschwörungstheorien, mit subjektiven Nationalismus und vor allem nichts mit Gewalt zu tun.“ Mit Blick auf die WM fordert Thomas Haid (StZ): „Es ist höchste Zeit für ein abschreckendes Beispiel. Oder wie soll sonst im nächsten Sommer die Sicherheit der Mannschaften, der Delegationen und der Fans garantiert werden können?“ Michael Horeni (FAZ) verweist mahnend auf Fehlverhalten von Fans anderer Länder: „Rassistische und rechtsradikale Sprüchemacher und Gewalttäter gehen auch mit der deutschen Nationalmannschaft seit Jahren ständig auf Reisen. Und auch in der europäischen Nachbarschaft, ob nun in Italien, Spanien, Frankreich oder England, beweisen die radikalen Begleiter des Fußballs nirgendwo ihre EU-Tauglichkeit. Gewalt und Rassismus sind in und um die Stadien Europas weiter zu Hause. Da haben auch die gutgemeinten und notwendigen Fair-play-Aktionen der Fußballstars im Auftrag der Verbände nicht mehr als ein Zeichen guten Willens setzen können. In Istanbul aber fehlt selbst diese Geste. (…) Der türkische Fußball hat nicht nur die WM verpaßt, er hat sich international auch ins Abseits gestellt.“
BLZ-Interview mit dem Schweizer Spieler Johann Vogel über die Tritte und Hiebe der Türken
FAZ-Interview mit Köbi Kuhn
BLZ: wie das ARD-Team bedroht worden ist
taz: Eskalation der Gewalt
Bildstrecke, faz.net
Ein bisschen Sex and Crime
Das Urteil im Hoyzer-Prozess im Spiegel der Presse: erstens Überraschung über die Strafe; zweitens reduzieren die Chronisten rückblickend den Rang und das Maß des Falls. Die Financial Times schreibt: „Der vermeintlich größte Skandal, der den deutschen Fußball nach den 70er Jahren heimgesucht hatte, schrumpft auf eine bescheidene Größe.“ Nach Auffassung Jan Christian Müllers (FR/Seite 3) habe die Bundesliga eher Nutzen gezogen, nämlich einen höheren Konversationswert: „Der Unterhaltungsindustrie Bundesliga hat der Raffzahn – ebenso wie der Wettindustrie mit Ausnahme des geschädigten Anbieters Oddset – eher geholfen denn geschadet. Fast 40 000 Fans, so viel wie nie zuvor, kamen im Schnitt zu den 108 Partien der laufenden Saison: plus zehn Prozent. Ein bisschen Sex and Crime hat der biederen Boom-Branche noch gefehlt. Bei der laufenden Ausschreibung der TV-Rechte darf die Bundesliga getrost eine Steigerung von derzeit 300 auf bestimmt rund 400 Millionen Euro pro Saison erhoffen. (…) Es gibt auch einen großen Gewinner: Der heißt Theo Zwanziger und hat die Affäre dem noch amtierenden DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder im Handstreich entrissen, um sie entschlossen abzuarbeiten. (…) Der Skandal um Hoyzer hat den Fußball wider Erwarten nicht erschüttert.“
Stefan Geiger (StZ) verurteilt Oddset: „Der Skandal wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf die Angeklagten, sondern auch auf die Praxis der Buchmacher, vor allem aber auf die staatliche Oddset-Wette. Dem Gericht ist darin zuzustimmen, dass es die Oddset-Verantwortlichen den Tätern nicht nur allzu leicht gemacht haben. Das Verhalten des staatlichen Wettbüros grenzt an Strafvereitelung. Obwohl der Verdacht gegen Ante Sapina längst bekannt war, vermied es Oddset, auch nur eine Strafanzeige zu stellen (…) Der DFB zeigt sich erleichtert. Dafür ist es zu früh. Er täte gut daran, sich über die Rolle des Geldes beim Spiel etwas mehr und auch selbstkritische Gedanken zu machen.“ Wolfgang Roth (SZ/Meinungsseite) staunt über die Hoyzer-Strafe: „Zwei Jahre und fünf Monate – das ist ein ordentliches Strafmaß für jemanden, der im weiten Feld der Wirtschaftskriminalität als Kleinganove gelten muss. Wer sich mit dubiosen Anlage-Geschäften, mit Ausschreibungs- oder Subventionsbetrug ein schönes Einkommen verschafft, wird über die illegalen Gewinne des Herrn Hoyzer nur lächeln.“
FAZ: unerwartet hohe Strafe für Robert Hoyzer
Tsp-Interview mit Theo Zwanziger über das Hoyzer-Urteil