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Internationaler Fußball

Der türkische Fußball steht sich selbst im Weg

Oliver Fritsch | Samstag, 19. November 2005 Kommentare deaktiviert für Der türkische Fußball steht sich selbst im Weg

Die Lektüre türkischer Zeitungen ergibt ein unterschiedliches Stimmungsbild über die Scharmützel und die Gewalt nach dem Schweiz-Spiel. Thomas Seibert (Tsp) vernimmt einen Wechsel in der Schuldfrage: „Verschwörungstheorien haben in den vergangenen Tagen die Reaktionen in der Türkei bestimmt. Inzwischen aber wandelt sich das Bild. Einige Zeitungen drucken am Donnerstag Fotos, aus denen hervorging, dass der türkische Assistenztrainer Mehmet Özdilek – und nicht etwa ein Schweizer Spieler – nach dem Abpfiff die ersten Tritte ausgeteilt hatte. Noch am Donnerstag ist Özdilek als Opfer dargestellt worden, jetzt gilt er als Täter. Die Zeitung Vatan räumt ein, dass die Redaktion lange diskutiert habe, ob sie für die Türkei negative Bilder veröffentlichen solle. Damit kommt eine Selbstzensur der Medien ans Licht, die im Nachhinein mit Patriotismus begründet wird: Um dem Land nicht zu schaden, würden einige Fakten bewusst verschwiegen, berichtet ein Kolumnist der Hürriyet. So bleibt in der türkischen Öffentlichkeit bisher der Vorwurf unerwähnt, dass Kameraleute von Sicherheitskräften an der Berichterstattung über die Schlägerei gehindert wurden. Nach und nach wird nun das öffentliche Schweigen gebrochen. Sogar der bislang verehrte Nationaltrainer Fatih Terim gerät in die Kritik. (…) Auch die türkische Regierung in Ankara rügt inzwischen das Verhalten der Verbandsspitze und der Fans.“ Für Tobias Schächter (StZ) hingegen bleibt alles beim alten: „Auch zwei Tage nach dem Gewaltausbruch unterstützen in der Türkei die meisten Zeitungen die Fatih Terim und einigen Verbandsoberen verbreiteten Erklärungsmuster. Schuld am WM-Aus sowie an den damit verbundenen Ausschreitungen sind vor allem die anderen: die Schweizer, die Schiedsrichter und Joseph Blatter. Blatters Drohung, die Türkei möglicherweise von der nächsten WM-Qualifikation auszuschließen, bevor der offizielle Bericht vorlag, wird in allen Zeitungen hart gegeißelt. (…) Die Frage, wie ein stolzer WM-Dritter von 2002 innerhalb von vier Jahren in die sportliche Bedeutungslosigkeit abstürzen kann, ist unangenehm, weswegen sie am besten gar nicht erst gestellt werden sollte. Denn die Antworten darauf sind noch unangenehmer. Überheblichkeit kostete die EM-Teilnahme 2004, der abgebrochene Generationswechsel unter dem Steinzeittrainer Terim nun die WM. Der türkische Fußball steht sich selbst im Weg: Grabenkämpfe der großen Istanbuler Vereine, Manipulationsskandale und Gewalt in den Stadien regieren die Szene. Sieger werden verehrt, Verlierer verdammt. Egal wie hoch die Strafe der Fifa ausfällt: der türkische Fußball braucht Reformen.“

Die Idee des mündigen Spielers hat sich in England nie durchgesetzt

Raphael Honigstein (SZ) bedauert den Rauswurf Roy Keanes: „Die netten Worten von beiden Seiten täuschen niemanden: Roy Keane wurde vor die Tür gesetzt. Er hätte seinen im Juni auslaufenden Vertrag gerne verlängert, war aber vor drei Wochen bei Ferguson wegen eines allzu kritischen Interviews im Vereinssender MUTV in Ungnade gefallen. Keane hatte Mitspieler so scharf attackiert, dass der Sender das Band vor der Ausstrahlung vorsorglich zerstörte. Die Idee des so genannten mündigen Spielers hat sich auf der Insel nie durchgesetzt; wer öffentlich Stellung bezieht, der gilt als Spalter, der die Kampfmoral zersetzt. Zu Keanes 480 Matches im Trikot der Red Devils (51 Tore, 13 Rote Karten) wird nun wohl nicht einmal mehr ein Abschiedsspiel dazu kommen. Mitleid braucht man für man den cholerischen Grätscher mit Hang zur Brutalität zwar nicht zu empfinden. Aber schade ist es trotzdem, dass eine Legende am helllichten Tag mal eben so rausgeschmissen wird.“ Sven Goldmann (Tsp) muss sofort an Michael Ballack denken: „Es gibt sportlich attraktivere Aufgaben, als die Nachfolge Keanes anzutreten. Sollte es Ballack allerdings schaffen, diesen Mann in Manchester vergessen zu machen, hätte er mehr geleistet, als in Mailand oder Madrid je möglich sein wird.“

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