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Internationaler Fußball

Rennpferde gegen Dinosaurier

Oliver Fritsch | Montag, 21. November 2005 Kommentare deaktiviert für Rennpferde gegen Dinosaurier

Fast alle Zeitungen befassen sich mit der Demütigung Real Madrids durch den FC Barcelona, 3:0-Sieger in Bernabeu. Aus dem Ergebnis und aus dem Spiel leiten die Autoren einen dringen Strategiewechsel Reals ab. Ralf Itzel (BLZ) bringt den Unterschied auf den Punkt: „Drastischer wurde das Ergebnis zweier gegensätzlicher Klubphilosophien nie gezeigt. Hier eine mit jungen, hungrigen Talenten nach einem sportlichem Plan und getreu einem Stil konstruierte Mannschaft, da eine im Profit-Denken zusammengekaufte, seelenlose Sammlung von Individuen, die ihre besten Tage gesehen haben.“ Paul Ingendaay (FAZ) schreibt dem Florentino Perez hinter die Ohren: „Nicht das Ergebnis, sondern die Art, wie es zustande kam, nahm epische und für den neunfachen Champions-League-Sieger tief deprimierende Züge an. Es war, als träten elegante Rennpferde gegen Dinosaurier an. Bei jeder Bewegung waren die Urviecher langsamer, träger und stumpfer. Staunend sahen 75 000 Zuschauer, wie die ehemals berühmteste Mannschaft der Welt von Barcelona vorgeführt und in aller Seelenruhe demontiert wurde. Als Ronaldinho das 3:0 erzielt hatte, erhoben sich die Madrider Fans mit steinernen Mienen von den Sitzen und zollten dem unumschränkten Herrscher des Abends Beifall. Es war eine große Geste. (…) Jetzt müßte Reals Neuaufbau beginnen, und er fordert nicht die neunzig Millionen Euro, die der Präsident letzten Sommer verpulvert hat, sondern Geduld, Augenmaß und vor allem ein Konzept. Es ist unwahrscheinlich, daß der Verein dafür den richtigen Trainer hat. Es ist ebenso unwahrscheinlich, daß Perez dafür der richtige Präsident ist. Der Niedergang auf Raten wird weitergehen.“

Patrick Krull (Welt) fasst zusammen: „Bisher war nur einem anderen Profi aus Barcelona Mitte der 80er Jahre eine ähnliche Huldigung der Fans von Real im Bernabeu-Stadion zuteil geworden: Diego Maradona. Die bisher letzte Auflage des Klassikers indes zeigte, daß Ronaldinho den Vergleich nicht mehr scheuen muß. (…) Während die Gäste Tempofußball auf höchstem Niveau zelebrierten, waren die Aktionen der Madrilenen von einer geradezu tragischen Lethargie geprägt. Die Real-Stars trennten Lichtjahre von ihrer Bestform. Und das in einem Spiel, das seit jeher unter besonderen Vorzeichen steht.“ Markus Jakob (NZZ) bemerkt eine vermeintliche Randfigur: „Lionel Messi trägt jenes Gran physischer Vehemenz bei, das dem Team bisher fehlte. Seine ‚Karosserie’, wie es El País nennt, verleiht dem ohne ihn vielleicht allzu zartblütigen Teamganzen jene Durchschlagskraft, die es letzte Saison noch vermissen liess. Messi, der neue Bolide des Weltfussballs. Wie alt sah Roberto Carlos gegen ihn aus.“

Bildstrecke, faz.net

Wir haben eine Prüfung nicht bestanden

Sehr lesenswert! Mehmet Ali Birand (NZZ / Original in den Turkish Daily News) erkennt den Balken in seinem türkischen Auge: „Jetzt erkennen wir, dass zwei völlig verschiedene Länder gegeneinander spielten, in deren Gesellschaften sich die Prinzipien spiegeln, die sie im täglichen Leben und in ihrem Blick auf die Welt haben. Die Schweizer hatten sich seriös vorbereitet. Vor allem ihre Leistung in Bern zeigte, wie gut sie unser Team analysiert hatten. Sie spielten mit System und Präzision, gewannen 2:0 und damit einen grossen Vorteil. Sie hatten keine besseren Spieler als wir; sie brillierten nicht; sie waren durchschnittlich. Aber weil sie ihren Auftritt so gut vorbereitet hatten, gewannen sie. Und nur das zählt. Wir hingegen handelten in Übereinstimmung mit unseren Prinzipien. Das heisst, wir bemühten uns zu wenig im Hinspiel und vertagten die Arbeit auf das Rückspiel in Istanbul. Wir vergeudeten in Bern unsere Zeit und machten uns damit das Leben schwer. Wir machten genau das, was wir nicht machen sollten. Und jetzt können wir die Schuld dem Schiedsrichter zuschieben oder dem Pech. Wir werden natürlich auch nach anderen Schuldigen suchen –und schliesslich sagen, dass wir zwar verloren, aber unsere Ehre gerettet haben. Diese Spiele haben uns wunderbar die Differenz zwischen den beiden Gesellschaften aufgezeigt, und zwar in Sachen Struktur, Mentalität und Berufsauffassung. (…) Wir haben nicht nur die Qualifikation verpasst, sondern auch eine Prüfung nicht bestanden.“

Thomas Seibert (Tsp) ergänzt: „Das Skandalspiel könnte zu einem Wendepunkt im türkischen Fußball werden. Fatih Terim, bis vor einer Woche noch einer der größten Helden des türkischen Sports, erhielt von der Verbandsspitze inzwischen ein Redeverbot. (…) In der Türkei ist eine breite Debatte über die eigenen Fehler entflammt. Nachdem anfangs die Schuld bei Schiedsrichtern und Gästen gesucht wurde, gewinnen die besonnenen Stimmen Oberhand.“ Christoph Daum schreibt im WamS-Interview den Türken ins Stammbuch: „Solche Vorkommnisse lassen sich aus der Wahrnehmung in der Welt nicht einfach wieder ausblenden. Die führenden Politiker sind hier deshalb auch sehr erzürnt darüber, daß der nationale Fußballverband nicht größere Anstrengungen unternommen hat, für die Sicherheit der Schweiz zu garantieren und damit ein friedliches Bild der Türkei zu vermitteln. Darüber wurde in den vergangenen Tagen heftig diskutiert. Es wurde eine große Chance verpaßt zu zeigen, daß sich die Türkei als ein verläßlicher Partner in Europa darstellen kann. Statt dessen wurden überholt geglaubte Bilder des Fanatismus bestätigt. (…) Es muß Strukturveränderungen und einen Neuaufbau geben, so daß die Türkei sich für die EM 2008 qualifizieren kann. Man muß die Ursachen für das Scheitern analysieren und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Diese Diskussion muß geführt werden, so kann es nicht weitergehen.“

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