Internationaler Fußball
Amateurhaftigkeit
Kommentare deaktiviert für Amateurhaftigkeit
| Dienstag, 29. November 2005Real Madrid steht im Schatten des FC Barcelona – ein Grund für die Chronisten, sich zu sorgen. Paul Ingendaay (FAS) nennt die Fehler des Trainers und des Präsidenten und verlangt neue Köpfe: „Das Maß der Krise beim berühmtesten Klub der Welt scheinen weder Wanderley Luxemburgo noch Florentino Perez begriffen zu haben. Real Madrid ist eine graue, unansehnlich kickende Elf geworden, die ihr Bestes – Angriffsspiel als ästhetische und riskante Darbietung – schon vor gut zwei Jahren verloren hat. Nicht eine Serie von drei schwachen Partien, sondern der Charakterverlust empört das Publikum. Das Elend hat einen äußeren Grund und einen inneren. Außen wirbelt ein Präsident, der dem Popstar-Prinzip verpflichtet ist und nichts dabei findet, um einiger hunderttausend verkaufter Beckham-Trikots willen die Madrider Spielkultur zu opfern. Innen werkelt ein Trainer mit immer neuen Spielern an einem System herum, das wie von vorgestern wirkt. Daß dabei gravierende Fehler begangen wurden, weckt inzwischen den Eindruck von fehlendem Weitblick und unausrottbarer Amateurhaftigkeit. (…) Wann wacht der Präsident auf und gewinnt die Einsicht, daß diese Mannschaft einen Neuanfang verdient hat?“
Clever komponiertes No-name-Team
Christian Eichler (FAZ) erklärt den Aufschwung des Aufsteigers Wigan Athletic, Vierter der Premier League: „Der Aufstieg von der vierten in die erste Liga ließ sich noch mit dem vielen Geld erklären, das der frühere Fußballprofi und heutige Sportläden-Multimillionär Dave Whelan in sein Hobby investierte. Doch um auch einen Spitzenplatz in der Premier League zu erkaufen, muß man schon russischer Milliardär sein. Also setzte Wigan auf ein clever komponiertes No-name-Team. Der Erfolg dieser Billiglösung rentiert sich für einige, die bei großen Klubs nicht mehr oder noch nicht gefragt waren. (…) Trainer Paul Jewell sieht mit seinem Trainingsanzug und dem runden, kurzgeschorenen Kopf aus wie einer, den man in jeder Vorstadtkneipe treffen kann. Er hält nichts davon, Maßanzug zu tragen und sich mit einer Superhirn-Aura zu umgeben wie die Fußball-Weltmänner Mourinho und Wenger. Er pflegt seine Wurzeln in der Arbeiterklasse und spricht Klartext, ‚Scouse’, den Akzent seiner Heimatstadt Liverpool.“
Ein unglückseliger, geographischer Unfall
Der FC Reading spielt heute gegen Arsenal im League Cup; der Tagesspiegel denkt an seine Fever-Pitch-Lektüre: „Nick Hornby war seine Nähe zu diesem Fußballklub einst peinlich. Dem englischen Schriftsteller, der den ‚Middle classes’ in den Neunzigerjahren den Fußball nahe brachte, war sein lokaler Verein nicht attraktiv genug. Der FC Reading ‚war meine nächstgelegene Ligamannschaft. Ein unglückseliger, geographischer Unfall’ schrieb er in dem Kapitel, das sich mit einem Spiel Readings gegen Arsenal befasst. Als Jugendlicher aus Maidenhead westlich von London hätte Hornby Fan des unglamourösen, ganz in der Nähe spielenden FC Reading werden können. Er begleitete lieber seinen Vater ins Highbury-Stadion zum Spitzenverein FC Arsenal nach London. Heute hätte er sich vielleicht anders entschieden, denn Reading, der viertälteste Fußballklub Englands, könnte zum ersten Mal in der Klub-Geschichte in die höchste englische Liga aufsteigen. Eine erstaunliche Wende, schließlich drohte vor knapp fünfzehn Jahren der Bankrott.“
Kontinuität
Jean-Marie Lanoë (NZZ) hätte das Steigen des AJ Auxerre nach Guy Roux’ Abschied nicht unbedingt erwartet: „Gibt es in der AJ Auxerre ein Leben nach Guy Roux? Ja, es gibt eines – und ein erfolgreiches dazu. Nach 16 Runden ist die AJ Auxerre als erster Verfolger von Leader Lyon im 2. Rang klassiert, allerdings vom Serienmeister bereits um elf Punkte distanziert. Diese Momentaufnahme ist wohl etwas überraschend. Ganz ohne Vorzeichen kündigte sie sich jedoch nicht an. Denn der Klub, inklusive Roux, war bei der Wahl des Nachfolgers um ‚Kontinuität’ bemüht und beriefen in der Person von Jacques Santini einen erfahrenen Trainer, der wie Roux bäuerlicher Abstammung ist, mit beiden Füssen auf dem Boden steht und in seinem Wesen geerdet scheint.“