Deutsche Elf
Vertreter einer neuen Rationalität
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| Freitag, 2. Dezember 2005Wie viel wissen wir über Jürgen Klinsmann? Wenig, und würden gerne mehr wissen – besonders über seine Arbeit und seine Haltung zum Fußball, vielleicht würde er „Trainingsphilosophie“ dazu sagen. Moritz Müller-Wirth (Zeit) hat sich mit Klinsmann in Kalifornien getroffen (übrigens nicht bei Starbucks) und ein sehr lesenswertes und sehr langes Feature verfasst, in dem er unter anderem Klinsmanns Abneigung gegen Interesse an seinem Privatleben und seine Unbestechlichkeit beschreibt: „Erst langsam scheint er zu erkennen, dass die Unabhängigkeit, die sich der Spieler Klinsmann herausnehmen konnte, dem Bundestrainer Klinsmann nicht zugestanden wird. Darunter leidet er, vor allem, wenn er mit ansehen muss, wie gläsern ein Mann in seinem Amt gemacht wird. Schon als Spieler bei Bayern München litt Klinsmann unter den vereinstypischen Indiskretionen. (…) Wenn Klinsmann über seine Familie redet, entspannt sich sein Gesicht, nichts erinnert mehr an die angestrengte Selbstverteidigung. Verschwunden ist der imamhafte Drang zur Perfektion des Mannes, der mit Hilfe von Zahlenkolonnen zu Fitnesswerten den Erfolg herbeirechnen will. Klinsmann ficht das nicht an, er kennt all die Zweifel an seiner Methodik. Sollen die Leute doch reden: ‚Unsere Vorgaben und Forderungen sind in den Spitzenclubs weltweit schon lange eingeführt, sie sind bei erfolgreichen Nationalmannschaften wie Brasilien seit Jahren selbstverständlich.’ Ganz natürlich bekämen auch die in aller Welt verstreuten brasilianischen Weltstars von ihrem Trainer Carlos Alberto Pereira Hausaufgaben mit auf den Weg. Mit Rudi Völler ließ sich altes DFB-Selbstverständnis noch verbinden. Obwohl sich Völler während seiner Profi-Jahre in Rom eine gewisse Weltläufigkeit angeeignet hatte, blieb er doch immer der ‚Ruuudi’. Er packte seine Jungs bei der Ehre, forderte ihnen aber nie systematisch die Trainingseinheiten ab. Bei Klinsmann entscheidet der bessere Sprintwert und nicht der Kumpelfaktor. Das Zauberwort heißt Effizienz. Damit passt Klinsmann in das neue Deutschland mit seiner Großen Koalition der Pragmatiker. Auch im Profifußball beginnt die Dämmerung der Ideologen, der schwitzigen Männerbünde und feucht-fröhlichen Mannschaftsabende. Volksnähe ist trotz aller Logen zwar noch gewünscht, die Fraternisierung mit der Basis wird als anachronistisch empfunden. Als Vertreter einer neuen Rationalität ähnelt Klinsmann Angela Merkel, von der es heißt, dass sie vom Volk nicht wirklich geliebt werde, weil sie ihrerseits das Volk nicht wirklich liebe.“
Klinsmann hat Müller-Wirth ein sehr spannendes und rares Thema genannt – Klüngel zwischen Spielern, Funktionären auf der einen und Journalisten auf der anderen Seite: „Wir beschäftigen uns seit unserem Amtsantritt mit dem Phänomen Informationskorruption. Nach meinem ersten Treffen in New York, als meine Gesprächspartner vom DFB zurückgeflogen waren, vergingen keine zwei Stunden, da war die Begegnung bei einigen Journalisten schon publik. Gerhard Mayer-Vorfelder und Horst R. Schmidt sind verlässliche Personen, aber in ihrer Umgebung gab es offenbar Menschen, die etwas gehört hatten und das sofort nach außen getragen haben. Ich habe es als Spieler bei Mannschaftskollegen nicht nur in Deutschland erlebt, dass Indiskretionen nie ohne Gegenleistung abliefen: Der eine verrät Interna und wird dafür beim nächsten Spiel etwas freundlicher beurteilt. Das ist zu einem Problem geworden, in ganz Europa. (…) Natürlich gab es gewachsene Bindungen und einen gezielten Informationsaustausch zwischen Leuten im DFB und Journalisten. Das haben wir durch unsere inzwischen vollzogenen Wechsel im Umfeld der Nationalmannschaft beendet, vertrauliche Informationen bleiben jetzt wirklich intern.“
Reformer gescheitert, Reform durchgesetzt
Helmut Schümann (Zeit) blickt zurück auf Klinsmanns Zeit bei Bayern München (sollte der VfB-Fan sagen: Klinsmanns Verrat?) und seinen bleibenden Einfluss auf den Verein: „Sie wollten Klinsmann, unbedingt. Den treffsicheren Stürmer, den Strahlemann, der ein Jahr zuvor bei der WM selbst den drögen Amerikanern Soccer nahe gebracht hatte, den vergleichsweise Intellektuellen, den Weltmann, der fließend englisch spricht, fließend italienisch und passabel französisch. Vor Klinsmann war der FC Bayern geprägt von, nun ja, von Lothar Matthäus, das war Plapperei in fränkischer Vollendung, seicht, weitgehend sinnentleert und fest verankert auf dem Boulevard von Bild. FC Hollywood wurde der Klub in diesen Tagen genannt, zur Freude von Lothar Matthäus, zum zunehmenden Ärger von Uli Hoeneß. Dieses Image zu ändern, das war Klinsmanns unausgesprochener Auftrag. (…) Darauf angesprochen, dass Klinsmann lange vergeblich gefordert hätte, das Medienspektakel um den FC Bayern zu bremsen, sagte er: ‚Ich bin ja lernfähig. Wir werden den FC Bayern jetzt nur noch mit Sport, Sport, Sport präsentieren. Dann haben wir nicht mehr den FC Hollywood, sondern wieder den Fußballklub Bayern München.’ Der Reformer Klinsmann war gescheitert, aber die Reform hatte sich durchgesetzt.“ Fabian Heckenberger (StZ) rezensiert die Klinsmann-Biographie des FAZ-Autoren Michael Horeni: „Horeni zeichnet mehr als nur das Bild des Sonnyboys, des ‚Cleansman’, des Saubermanns. Er zeigt die Entwicklung der Nummer 18 vom unbedarften Fußballer zum kühlen Profi des Geschäfts, der die Regeln der Branche zwar nicht für gut befand und sich ihnen bis heute nicht unterordnen will, andererseits aber sehr wohl gelernt hat – nicht zuletzt in seiner Zeit als Geschäftsmann in den USA –, diese Regeln für sich auszunutzen.“
Michael Horeni: Klinsmann – Stürmer, Trainer, Weltmeister. Scherz-Verlag, Frankfurt am Main, 2005.