WM 2006
Die Weltmeisterschaft
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| Dienstag, 6. Dezember 2005Die Weltmeisterschaft
wirft ihre Schatten voraus.
hält uns außer Atem.
lässt den Blätterwald rascheln/rauschen.
Suchen Sie sich eine Sprachstanze aus! Am Freitag wird in Leipzig das Tableau ausgelost, Sepp Blatter hält Hof in Deutschland – ein Vorgeschmack auf den nächsten Sommer. „Die Fifa regiert die Fußball-Republik“, prangert die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einer großen Überschrift auf Seite 1 ihres Sportbuchs an. Der indirekte freistoss hält Sie, liebe Leser, in einer Extra-Ausgabe auf dem laufenden – sieben Themen in drei Rubriken.
Ascheplatz
Populismus
1. Ticketing – das WM-OK wird von Verbraucherschützern und auch wohlmeinenden Redaktionen weiter dafür gerügt, sein Monopol zu Lasten der Fans auszunutzen. Die SZ stößt sich an dem „Ticketsystem, das Hunderttausende begeisterte Normalbürger (und -verdiener) in ein Heer muffeliger, weil unfreiwilliger Kreditgeber verwandelt, die am Ende nicht mal in den Genuss ihrer Monate voraus bezahlten Eintrittskarten gelangen.“ Kritik auch an dem Unverständnis, mit dem die Offiziellen dem Tadel begegnen; die FAS bemängelt: „All diese Vorwürfe streiten der DFB und das WM-OK natürlich ab – und zwar reichlich selbstherrlich.“ Heute steht Horst R. Schmidt, Vizepräsident der WM-Organisation, Roland Zorn (FAZ) Rede und Antwort:
FAZ: Verschafft sich das OK mit den Einnahmen aus den Optionstickets eine Art Kredit beim Kunden?
HS: Davon kann überhaupt keine Rede sein. Die Einnahmen aus den jetzt verkauften Tickets fließen nun einmal dem OK zu. Das müssen sie auch, denn die Gelder aus dem Kartenverkauf sind unsere wichtigste Einnahmequelle. Der Umsatz, den wir machen müssen, kann nicht in den letzten vier Wochen getätigt werden. Im übrigen zwingen wir ja niemanden, von den Optionstickets zu den jedermann zugänglichen Bedingungen Gebrauch zu machen.
FAZ: Verstehen Sie es, wenn Interessenten an einem der Optionstickets darüber klagen, daß sie eine Bearbeitungsgebühr von 5 Euro zusätzlich zahlen müssen?
HS: Wir haben uns bei den Preisen für die normalen Tickets bemüht, alles einzuschließen, was eigentlich Bearbeitungsgebühr ist. Es ist die Vorverkaufsgebühr inkludiert sowie die Umsatzsteuer und die Informationstechnologie-Gebühr sowie die Nahverkehrsabgabe. Es ist alles im Preis enthalten. Auf der anderen Seite haben wir einen Kartenlieferanten, der sagt: ‚Ich habe mit dem OK einen Vertrag gemacht über die Abwicklung des Ticketings. Wenn ich jetzt neue Programme für zusätzliche Tickets entwerfen soll, dann will ich auch eine zusätzliche Vergütung haben.’ Ich bin überzeugt, daß niemand an den Dingen, die wir jetzt zusätzlich machen, zusätzlich Geld verdient. Ich bin sogar sicher, daß die Zusatzoperation teurer wird als das durch die Bearbeitungsgebühr generierte Geld.
FAZ: Lassen Sie sich das Geld für die Optionstickets auch deshalb von vornherein überweisen, weil Sie beim normalen Kartenverkauf schon schlechte Erfahrung mit der Zahlungsmoral gemacht haben?
HS: Wir haben eines gelernt: Es gibt Möglichkeiten, Zahlungen zu verhindern, die von Kreditkarten abgebucht werden sollen. Das Risiko, daß wir dann das Geld nicht hätten, ist nicht geringzuschätzen. Das haben wir beim normalen Kartenverkauf erlebt, bei dem 40 000 Tickets auf diese Weise nicht bezahlt wurden. Das sind fünf Prozent aus dem Gesamtangebot.
FAZ: Nun sind Sie vom Bundesverband der Verbraucherschützer verklagt worden. Beunruhigt Sie dies?
HS: Wir finden es sehr bedauerlich, daß es so weit gekommen ist, zumal wir uns mit hohem Aufwand den Anliegen der Verbraucherschützer gewidmet haben. Der Bundeszentrale Verbraucherschutz geht es nicht um gute Lösungen im Interesse der Verbraucher. Hier geht es der Institution und einzelnen Personen darum, die öffentlichkeitswirksame Plattform ‚WM 2006’ in populistischer Art und Weise zu nutzen.
Volker Stumpe (FAS) hört einem Fan zu, der die zu harte Regulierung beklagt: „Die Preise sind ja okay. Wer Fußball liebt, zahlt das. Aber das ist alles völlig überorganisiert. (…) Der Schwarzmarkt soll blühen, damit die hingehen, die wirklich Fußball sehen wollen – und nicht Firmen und Sponsoren.“ Liebe Volkskommissare des DFB, hingehört! Der Schwarzmarkt ist nicht das Böse, der Schwarzmarkt ist eine soziale Institution.
Gunst und Missgunst
2. Sponsoring – Thomas Klemm (FAS) kritisiert die harten Maßnahmen der Fifa, Ambush-Marketing zu verhindern: „Die Fifa übertreibt es mit dem Schutz der WM-Sponsoren und sorgt mit seiner Regulierungswut für Verdruß. (…) Die Fifa regiert und reguliert die Fußball-Republik Deutschland, und Strenge und Ausmaß ihrer Forderungen sorgen für Unmut bei Interessengruppen sowie Partnern, die sich wichtiger fühlen, als sie genommen werden. Ob es um Ausstattung der Mannschaftshotels geht, um Fernsehvermarktung, um Präsentation der Sponsoren sowie der WM-Städte oder um die Gestaltung des WM-Kuchens – alles regelt das ‚Pflichtenheft zur Organisation der Fifa-Fußball-Weltmeisterschaft’ (…) Es sind die fünfzehn Fifa-Sponsoren sowie die sechs nationalen Förderer, die besondere Gunst genießen.“
Ball und Buchstabe
Eine Wegguckkultur können wir uns nicht leisten
3. Sicherheit – Dass am Wochenende in der Bundesliga Fans Gegenstände auf Spieler geworfen haben, bewerten die Journalisten mit sorgenvollem Blick auf die WM. Klaus Bellstedt (stern.de) empfiehlt das Vorbild Premier League, die seit Jahren strenge Sicherheitsprüfungen an den Zuschauern durchführe: „In England werden die Fans durch ein mehrstufiges Schleusensystem geleitet, nur persönliche Gegenstände dürfen mitgenommen werden. Niemanden stört das und der guten Stimmung tut das im Übrigen auch keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die Atmosphäre in den englischen Stadien von Old Trafford bis zur Anfield Road dürfte weltweit ihresgleichen suchen. Dort wird gesungen, ‚nur’ gesungen. ‚Handeln sie!’, mag man den WM-Machern zurufen. Noch ist es nicht zu spät.“ Der Fan-Soziologe Gunter A. Pilz ergänzt in einem StZ-Interview, beschwört die Fans und maßregelt Peter Neururer: „Erstens müsste das Ordnungspersonal besser geschult werden, so wie in England, wo die Sicherheitskräfte schon zwei Stunden vor dem Anpfiff Stellung beziehen. Während der Spiele achten diese Personen nur darauf, was sich auf den Rängen tut. Bei uns ist das anders. Da verhalten sich die Ordner oft wie normale Besucher, die sich mehr für die Aktionen auf dem Platz interessieren als für das Drumherum. Mein zweiter Kritikpunkt ist mir fast noch wichtiger: Die Fans müssten viel mehr darauf aufpassen, was sich um sie herum ereignet. Das ist die Voraussetzung, wenn diese Form der Selbstregulierung nicht in die Köpfe gebracht wird, ändert sich nichts. In der Pflicht stehen auch die Fanklubs und die Ultras, die ja immer darauf pochen, dass sie sich selbst disziplinieren. Jetzt können sie es beweisen. Sie müssen die schwarzen Schafe identifizieren und aussortieren. Das muss die Botschaft für die Fanszene sein. Eine Wegguckkultur können wir uns in den Stadien nicht leisten. (…) Ich verfolge mit großer Besorgnis Äußerungen wie die von Peter Neururer. Er hat gesagt, er hasse Dortmund, die Leute dort seien Zecken. Abgesehen davon, dass es sich bei dem Wort Zecken um einen Begriff aus dem Nationalsozialismus handelt, ist das Scharfmacherei. Durch solche Bemerkungen werden automatisch Aggressionen bei den Fans geweckt. Wenn daraufhin dann einige ausflippen, braucht man sich eigentlich nicht mehr zu wundern.“
Dauerbaustelle
4. Stadion – Über die Schäden an deutschen WM-Stadien, nach Frankfurt und Nürnberg nun auch Kaiserslautern, schütteln die Kommentatoren die Köpfe: ausgerechnet die vermeintlich gut organisierten und gut organisierenden Deutschen. Jörg Hahn (FAZ) legt dem OK nahe, Kaiserslautern von der WM auszuschließen: „Die Pfalz als Dauerbaustelle. Im Unterschied zu den anderen beiden Schauplätzen sind die Schäden so gravierend, daß im Fritz-Walter-Stadion vorerst nur Fachleute vom Bau und nicht solche am Ball geduldet werden. Außerdem ist diese WM-Dependance auch ein personeller Sanierungsfall – Rene C. Jäggi kann als gescheiterter Reformer aussteigen, aber weiter die WM-Geschäfte führen. Das Organisationskomitee wird handeln müssen – warum nicht nach dem Motto ‚elf Freunde, elf Stadien’?“ Andreas Burkert (SZ) flunkert: „Worauf sich die Deutschen wirklich noch verlassen können, ist inzwischen nicht mehr ganz klar, seitdem die Nation der Häuslebauer massive Sorgen um ihre schönen, neuen WM-Arenen plagt.“ Thomas Kilchenstein (FR) mahnt zu Geduld: „Täuscht der Eindruck oder ist 188 Tage vor Beginn der WM bei den Organisationsweltmeistern noch nicht alles im Lot? Fast sieht es so aus. Aber nur fast. Jeder Häuslebauer weiß doch: Kein Bau ist ohne Makel, kein Bau gelingt auf Anhieb, Nachbesserungen sind an der Tagesordnung. Warum sollte es bei ungleich komplexeren Bauten wie Fußball-Stadien, hochmodern und einzigartig, so viel anders sein?“ Christian Hönicke (Tsp) verdreht es ins Gegenteil: „Durch die Probleme in den Stadien müsste die Welt so langsam mitbekommen haben, dass auch bei uns nicht immer alles perfekt nach Plan verläuft. Und das ist wohl die beste Imagekampagne für dieses Land.“ Ich weiß ja nicht, welches angebliche Etikett Hönicke entkräftet haben möchte – oder wie alt es ist. Verbindet die Welt mit den Deutschen noch immer Perfektion?
SZ: Brandenburger Tore – vor Berlins Wahrzeichen soll während der Weltmeisterschaft sechs Wochen lang Dauerparty herrschen, auf Deutschlands größter Fanmeile
Welt: Klinsmann will mit Fünfjahresplan zurück an die Weltspitze – Bundestrainer gewinnt bei Symposium in Rio Sympathien
Am Grünen Tisch
Die Fifa steuert das Losglück
5. Auslosung – Markus Lotter und Martin Henkel (WamS) zitieren einen dehnbaren und verräterischen Paragraphen der Fifa-Regeln: „Die Gruppeneinteilung der Mannschaften erfolgt durch öffentliches Setzen und Losen, unter größtmöglicher Berücksichtigung sportlicher, geographischer und wirtschaftlicher Faktoren.“ Die Autoren durchschauen den Grund: „Die Fifa steuert das Losglück. Bei der Festlegung des Modus läßt sich der Weltfußballverband auch von wirtschaftlichen Faktoren leiten. (…) Seit der WM 1998, als mit der Aufstockung des Teilnehmerfeldes von 24 auf 32 Nationen der Kommerzialisierung ein weiterer Anstoß gegeben wurde, hält man es für angebracht, Einfluß auf das Losglück zu nehmen. Erstmals wurden für das Turnier in Frankreich die nach einer eigenen Formel aufgestellte Fifa-Weltrangliste und des Passus’ als Kriterien bei der Wahl der Gruppenköpfe herangezogen. Offiziell wird propagiert, daß auf diese Weise mit hoher Wahrscheinlichkeit gerecht gemischte Gruppen zustande kommen. Ein Motiv, das der Fifa, die sich selbst als Hort der Demokratie und Harmonie sieht, natürlich gut zu Gesicht steht. Inoffiziell unterstützt man mit diesem System ökonomische Großmächte, die lukrative Sponsoren- und Fernsehverträge garantieren, auf ihrem Weg ins Achtelfinale.“
FAZ: Leipzig, in dieser Woche Nabel der Fußballwelt
Beim deutschen OK brennt die rote Lampe
6. Pädagogik – Joseph Blatter schreibt heute in zwei Zeitungen dem WM-OK ins Stammbuch; dem Tagesspiegel sagt er: „Beim deutschen OK brennt die rote Lampe. Die zwölf WM-Städte waren schließlich ein Vorschlag der Deutschen, nicht der Fifa. Nun müssen sie sich auch darum kümmern. Wir werden Anfang nächsten Jahres noch einmal alle Stadien kontrollieren. Innerhalb eines bestimmten Zeitraums, den wir noch festlegen werden, müssen dann alle Probleme behoben sein. (…) Die Sicherheit muss groß geschrieben werden, aber das darf nicht dazu führen, dass die Kontrollen vor den Stadien vier Stunden dauern. Wenn jeder Besucher am Eingang seinen Ausweis zeigen muss, dann wird es kompliziert. Die optimale Lösung muss noch gefunden werden (…) Sitzende Zuschauer sind ruhiger. Auf den Stehplätzen sind die Menschen ständig in Bewegung, sie müssen ja sogar um ihren Platz kämpfen. Wir wollen einen Fußball, bei dem der Vater mit seinen Kindern ins Stadion geht und am Ende die Kinder wieder heil nach Hause bringt.“ In der FAZ fordert er ein Stehplatzverbot für die Bundesliga und ein Rauchverbot in allen Stadien der Welt.
7. Korruptionsermittlung – worüber wir in nächster Zeit vermutlich mehr lesen werden: Die Schweiz ermittelt gegen hohe Fifa-Funktionäre wegen Korruption, unter anderem ist Blatters Büro durchsucht worden. Jens Weinreich (BLZ I und II) und Thomas Kistner (SZ), die jüngst vom Aufklärungsjournalisten Hans Leyendecker in einem 11-Freunde-Interview geadelt worden sind, sind dran an der Story: „Die Lage scheint ernst“ (SZ).