WM 2006
Deutsche Elf
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| Montag, 12. Dezember 2005Ideal
Michael Horeni (FAZ) kommentiert die Auslosung aus deutscher Sicht: „Polen, Ekuador und Costa Rica sind nahezu ideale Gegner für ein deutsches Team, das mit offensivem, aggressivem und auch risikoreichem Spiel sein Glück machen will – und machen muß. Gegen ihre zugelosten Widersacher könnten die Deutschen zur Not auch mal einen Rückstand aufholen, wie ihnen dies unter Klinsmann in den vergangenen eineinhalb Jahren immer wieder gelungen ist. Diese Aussicht scheint geeignet, den deutschen Elan noch stärker zu beflügeln und sich selbst und die Zuschauer in der Vorrunde mit attraktivem Spiel für größere Taten im Achtelfinale und den Runden danach zu begeistern.“
FAZ: ein Stimmungsbericht von der Auslosungsgala
FAS-Interview mit Jürgen Klinsmann über die Auslosung und die Ukraine
FR-Interview mit Klinsmann
NZZ: unterschiedliche Reaktionen in den Teilnehmerländern auf die Auslosung
Bildstrecke WM-Auslosung, handelsblatt.de
Ascheplatz
Ware Fußball
Jürgen Dahlkamp (Spiegel) leidet unter der Kommerzialisierung des Fußballs: „Es war ungefähr die größte anzunehmende Auslosung überhaupt, das genaue Gegenteil vom Klein-Klein der Republik, es war: einmal nicht den Gürtel enger schnallen, einmal nicht den Geiz geil finden, einmal ‚Wir sind wieder wer’. Mit der Verteilung der 32 Teams bekamen die Deutschen erstmals auch einen Vorgeschmack auf das Gewicht und die Wucht der WM im nächsten Jahr. Mag die Nachricht gewesen sein, dass Deutschland gegen Costa Rica, Polen und Ecuador spielt, die Botschaft des Spektakels von Leipzig heißt, dass die WM mit einer Opulenz über das Land kommen wird, von der sich die Deutschen bisher noch gar keine rechte Vorstellung gemacht haben. Von ‚Impact’ – ‚Einschlag’ – sprachen die vollzählig aufgelaufenen WM-Sponsoren in ihrem Marketing-Slang. Dass bei so einem Aufprall der Ball nicht immer rund bleibt und Fußball auch nicht mehr das ist, was es einmal war, muss man wohl hinnehmen. (…) Die Fifa veranstaltet das Fußballfest Weltmeisterschaft, ein Fest der Emotionen, der brasilianischen Momente im Leben. Ihre Mitarbeiter aber sehen aus wie junge Broker, die Warentermingeschäften hinterherhetzen. Dunkelgraue Anzüge, dunkelgraue Kostüme. Die Fifa verkauft Fußball wie andere Mikrochips, mit Juristen, Marketingexperten, PR-Spezialisten. Sie ist Monopolist, sie weiß, dass ein Land verdammt dankbar sein muss, ihre Ware Worldcup überhaupt je zu bekommen.“
Reibach
Frank Ketterer (taz) stößt sich an Schleichwerbung und anderen Kleinigkeiten: „Irgendwann kommt Michael Ballack auf die gigantisch große Bühne, lässt den Teamgeist ein bisschen auf seinem Fuß tanzen und sagt, dass Adidas da wirklich ein außergewöhnlicher Ball gelungen sei. Weil all das von schätzungsweise 500 Millionen Menschen in fast 150 Ländern live am TV gesehen wird, ist das für Adidas ein großer Moment. Es ist aber auch der Augenblick, in dem einem Zweifel kommen, nicht die ersten, aber stärker denn je: Vielleicht geht es bei dem ganzen Fest gar nicht um den Ball, sondern um ganz andere Dinge, zum Beispiel um Adidas und Coca-Cola, um McDonald’s und MasterCard, also: um einen riesigen Reibach. (…) Fußball ist längst kein Spiel mehr, sondern ein Wirtschaftsfaktor. Es geht bei der WM um Millionen, ach was, um Milliarden.“ Wolfgang Hettfleisch (FR): „Die Marketing- und Merchandising-Politik der Fifa zum Schutz ihrer handverlesenen Sponsoren treibt bizarre Blüten. Die WM-Städte mussten sich von den Fifa-Aufpassern selbst ihre Kulissen für Leipzig genehmigen lassen. Allein mit dem Ausdrucken des E-Mail-Schriftverkehr zwischen Nürnberg und Zürich in den Wochen vor dem Leipziger Fußball-Allerlei ließe sich jede Tintenpatrone leeren. Es ging dabei um Fragen von weltpolitischem Rang: Ist Nürnberger Lebkuchen ein Andenken oder ein Lebensmittel? Und: Untergräbt das Markenzeichen eines fränkischen Lebkuchen-Bäckers die Null-Toleranz-Politik der Fifa in Sachen ‚Ambush-Marketing’? Die unter Fifa-Präsident Blatter konsequent vorangetriebene Ökonomisierung des größten aller Fußballfeste führt nicht selten schnurstracks nach Absurdistan. Die Nürnberger verpackten ihre Lebkuchen seufzend in (semitransparentes) Butterbrotpapier.“
Ball und Buchstabe
Bratwurst et circenses
Sehr lesenswert! Die These von der Parallele Fußball und Politik ist durch Norbert Seitz’ Bücher (etwa „Bananenrepublik und Gurkentruppe“, „Doppelpässe – Fußball und Politik“) in Deutschland populär geworden. Thomas Klemm (FAS) dreht sie um und definiert Fußball als Fluchtort und Fans als Eskapisten: „Der Fußball scheint nicht recht zu den Zuständen zu passen. In den vergangenen fünf Jahrzehnten war es hierzulande relativ leicht, die Parallelen zwischen Fußball auf der einen Seite sowie Politik und Gesellschaft auf der anderen zu ziehen, gleichzeitige Verläufe zwischen dem Auftreten der besten Kicker auf dem Platz und der Befindlichkeit der Nation zu erkennen. Spielweise und sportliche Erfolge wurden immer als Produkt der deutschen Mentalität gedeutet. Sie wurden ins kollektive Gedächtnis aufgenommen und prägten die nationale Identität. Derzeit scheint es aber so, als führe der Fußball ein Eigenleben (…) Im Stadion goutieren die Fans die Umgestaltung in der Nationalmannschaft und den Profivereinen, außerhalb stellt man Ansprüche und fürchtet Reformen am eigenen Leibe. Auf der Tribüne erfreut man sich an den ausländischen Fußballprofis, am Arbeitsplatz fürchtet man die Wirkungen der Globalisierung. Die Folge: In Deutschland herrscht kaum Wirtschaftswachstum – aber die Bundesliga boomt. Sechs Tage lang sparen viele Deutsche – am siebten Tag aber, wenn ‚ihr’ Bundesligaverein spielt, scheinen sie ohne großes Murren die stattlichen Eintrittspreise für den Stadionbesuch zu bezahlen und Fanartikel zu kaufen. In deutschen Arenen lautet das Motto: Bratwurst et circenses.“
Michael Horeni (FAS) versucht, aus Deutschlands Selbstbeschreibung auf der Eröffnungsgala schlau zu werden: „Es ist bisher die größte Bühne, auf der sich Deutschland vorgenommen hat, sich der Welt zu präsentieren. (…) In der einstündigen Show wurde nicht recht deutlich, welches Bild die Gastgeber eigentlich nun von sich selbst vermitteln wollen. Dazu hätte man um seinen eigenen Standort wissen müssen, aber das ist ja keine Schwierigkeit, die erstmals in Leipzig aufgetaucht wäre. (…) Die interessantesten Momente lieferte ein Filmbeitrag von Wolfgang Becker, der mit deutschen Sujets überraschend leicht Fußball spielte. Gerhard Mayer-Vorfelder fand, daß die richtige Tonlage gefunden worden sei, und das Bedürfnis nach Leichtigkeit und Selbstironie war bei vielen deutschen Repräsentanten zu spüren. Ein bißchen aber wirkte der diesen Wunsch beflügelnde Film auch so, als sollte den Deutschen ein Bild von einem Land gezeichnet werden, das sie erst noch bewohnen sollen.“
Einige Wochen beträchtlicher Lebensfreude
Javier Marías, spanischer Schriftsteller, im Interview mit Paul Ingendaay (FAS)
FAS: Sie mögen die deutsche Nationalhymne. Trifft das auch auf den deutschen Fußball zu?
JM: Das ist nicht dasselbe. Die Nationalhymne stammt von Haydn, und so nehmen wir sie wahr: herrliche, unantastbare Musik. Der deutsche Fußball, wie ich schon sagte, hat die große Tugend, sich nie geschlagen zu geben. Deutsche Mannschaften sind stolz und unbeugsam. Ihre Partien sind also zumindest kurzweilig. Mir fehlten jedoch etwas die Technik, die Improvisation. Und der Wille zum Risiko.
FAS: Mut zum Risiko hat der Bundestrainer seit seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr bewiesen. Was wissen Sie über Jürgen Klinsmann?
JM: Als Menschen kenne ich ihn kaum, meine mich aber zu erinnern, daß er politisch eher links stand – was es unter Fußballern nicht häufig gibt –, daß er Bücher las – was man unter Fußballern noch viel seltener antrifft – und daß er sich nicht konventionell verhielt. Als öffentliche Figur war er mir sympathisch. Von seiner Arbeit als Teamchef weiß ich wenig. (…)
FAS: Was bedeutet Ihnen persönlich eine Weltmeisterschaft?
JM: Einige Wochen beträchtlicher Lebensfreude. Nicht nur aufgrund der Möglichkeit, guten Fußball zu sehen (es gibt ja daneben immer sehr schlechte Spiele, und die wirklich guten kann man zählen), sondern auch, weil es mir Spaß macht, die Spieler verschiedenster Länder dabei zu beobachten, wie sie auf Herausforderungen reagieren. Welche Hoffnung sie erzeugen. Es ist wie eine riesige Theateraufführung, in der alle Arten von Schicksalsschlägen auftreten. Man ist bereit, sich alle Spiele anzusehen. Während einer Fußballweltmeisterschaft ist die Welt sympathischer.
FAS: Der französische Literatur-Nobelpreisträger Albert Camus hat gesagt, das meiste, was er über die Moral des Menschen wisse, verdanke er dem Fußball. Was könnte er damit gemeint haben?
JM: Das kann ich nicht wissen. Doch ich glaube, er sprach von etwas, das immer mehr aus dem Fußball verschwindet: daß es nicht allein ums Gewinnen geht, sondern darum, es mit Fairness und ohne falsche Tricks zu tun. Heute fordern Spieler für den Gegner die Gelbe Karte oder freuen sich schon über einen Elfmeter, bevor sie ihn verwandelt haben, oder bejubeln ihre Tore auf pöbelhafte, sogar beleidigende Weise. Oder sie simulieren Foulspiel, vor allem im Strafraum. Nichts von alledem hat mit Fairness zu tun. Darüber hinaus glaube ich, Camus bezog sich auf das Solidaritätsgefühl, das sich unter den Spielern einer Mannschaft herausbildet. Im Fußball sollte das alte Motto der drei Musketiere von Dumas gelten: ‚Alle für einen, einer für alle.’