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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Am Grünen Tisch

Kastensystem

Oliver Fritsch | Mittwoch, 14. Dezember 2005 Kommentare deaktiviert für Kastensystem

Europas Fußball ist in Gefahr. Viele Vereine sind verschuldet, zum Teil sehr, in allen wichtigen Ligen ist ein Mehrklassensystem zementiert, es gewinnen immer dieselben, es verlieren meist dieselben. Manche im Dunkeln sieht man kaum noch: In Deutschlands Amateurligen etwa strampeln Traditionsvereine um ihr Leben; ihre Chance, sich selbst bei guter Arbeit wieder im Profifußball zu etablieren, gleicht der eines Sechsers im Lotto – obwohl manche regelmäßig 15.000 Zuschauer und mehr anziehen. Diese Entwicklung, die einem Artensterben gleichkommt, hat sich seit den neunziger Jahren verschärft. Und sie hält an. Viele Kommentatoren machen dafür die Champions League verantwortlich; jetzt, zum zehnjährigen Jubiläum, rückt das Erklärungsmodell Bosman-Urteil wieder in den Vordergrund. Christian Eichler (FAZ) legt die Stirn in Sorgenfalten: „Das Urteil betonierte ein Kastensystem im europäischen Fußball, angeführt durch die G 14, dahinter andere Vereine im atemlosen Versuch, mit hohem Risiko und Wahnsinnsgehältern einen Platz an der Sonne zu ergattern; ein Versuch, der meist mehr Schulden als Erträge bringt. Die hohen Schulden in Europas Ligen sind das Spiegelbild des Reichtums der Spieler. Die Balance zwischen Klubs und Spielern verschob sich, beide mußten neue Strategien entwickeln. Wer nicht zu den wenigen Klubs gehört, die mit Riesensummen Spieler aus Verträgen herauskaufen können (oft dank der Alimente von Gönnern), wie Chelsea oder Real Madrid, ist darauf angewiesen, Talente in Billigländern zu finden oder Profis mit auslaufenden Verträgen zu umwerben. Diese wiederum kennen ihre Marktmacht und planen Karriereschritte strategisch (…) Besonders am unteren Ende des Spektrums sind die Zeiten durch Bosman härter geworden.“

Bernd Müllender (FR) referiert eine Studie der Bielefelder Sportwissenschaftler Klaus Cachay und Ansgar Thiel über Globalisierung und Nationalität im Sport; die prägnantesten Entwicklungen lauten: „Ein Spieler stammt aus Land A, hat die Staatsbürgerschaft B, arbeitet in schneller Folge bei Klubs in den Ländern C-F, deren Sponsoren und Werbepartner aus G-L kommen, der Trainer aus M, der Clubmanager aus N, der eigene Berater aus O und die Mitspieler aus P-Z. (…) Eigentlich scheint die Existenz einer Nationalelf in der globalisierten Welt überholt. Thiels Erkenntnisse sind andere: ‚Der Verlust von lokalen Identitäten fördert einen nationalen Hafen der Gefühle.’ Einen Hafen, den auch die Vereinsschiffe brauchen: ‚Lange dachten die Klubs, das kümmert mich nicht’, hat Cachay beobachtet, nun aber hat man gelernt, dass sich ‚das Aushängeschild Nationalmannschaft’, gerade im Fußball, und die Vereine gegenseitig brauchen.“

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