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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Von Superlativen fernhalten

Oliver Fritsch | Samstag, 14. Januar 2006 Kommentare deaktiviert für Von Superlativen fernhalten

Mathias Schneider (StZ) hält die Absage der WM-Gala für einen „Offenbarungseid“: „Mit der Streichung der Show geht eine schwarze Woche für den Ausrichter Deutschland zu Ende, nachdem die Stiftung Warentest den WM-Stadien ein schlechtes Zeugnis ausgestellt hatte. Es bleibt dabei, dass der Ausrichter aus den negativen Schlagzeilen nicht recht herauskommt, nachdem im Dezember die Verbraucherschützer bei der Ticketvergabe Sturm gelaufen waren. Fünf Monate vor dem Start der sollte der Gastgeber Deutschland deshalb schleunigst seine hochtrabenden Erwartungen auf ein realistisches Maß reduzieren. Wie für die Elf von Jürgen Klinsmann kann es für die Veranstalter Fifa und Organisationskomitee seit gestern nur darum gehen, ein Turnier frei von Hiobsbotschaften über die Bühne zu bringen. Von Superlativen aller Art sollten sich die Beteiligten fernhalten.“

Guter Weg

Philipp Selldorf (SZ) hingegen freundet sich mit dem Verzicht schnell an: „Kein Mensch wird dieses überzählige Vorspiel vermissen – es sei denn, er hätte sich damit selbst ins Glanzlicht gesetzt oder als Ausführender ein gutes Honorar verdient. Letzteren gebührt Mitgefühl wegen des Verdienstausfalls, ersteren eine angemessene Menge Schadenfreude. Die dritte Partei sollte man darüber nicht vergessen: Das sind jene Menschen, die eine natürliche Abneigung gegen ein ‚durchkomponiertes Stadionsupereignis’ haben – Hellers Verheißung empfanden sie als Drohung. Das Deutschlandbild, das solcherart vor den Augen der Welt poliert werden sollte, wird durch den Ausfall der Riesengaukelei sicher keinen Schaden erleiden.“ Moritz Schuller (Tsp) begreift es als Gesundschrumpfung: „Von allen schlechten Nachrichten ist die Absage der Gala am leichtesten zu verkraften: Sie stellte vor allem den Versuch der Fifa dar, sich prominent zu präsentieren. (…) Die WM ist dabei, auf ein angemessenes Maß zu schrumpfen. Das ist ein guter Weg.“

SpOn-Interview mit André Heller: „Das wird nicht billig für die Fifa“

Stilempfinden der 50er Jahre

In einem sehr lesenswerten Interview im Tagesspiegel drückt Zeit-Herausgeber Michael Naumann seine Sorge vor 2006 aus: „Ich habe vor diesem Jahr Angst. Ich fürchte, dass diese enorme Kommerzialisierung genauso schrecklich wird wie der WM-Ball: Der ist hässlich wie die Nacht, mit diesem doppelten Nierentisch. Man merkt, im DFB und in der Fifa hat sich seit den 50ern im Stilempfinden nichts verändert. Eigentlich sind das keine Fußballfans, sondern bürgerliche Geschäftsleute mit Goldkettchen am Handgelenk.“

Gelegenheit, den Gästen zu zeigen, wie tolerant wir sind

Das Streiflicht (SZ) erläutert die Internetportale zur privaten Zimmervermittlung: „Die Auswahl auf Brasilianerinnen unter dreißig zu beschränken und englischen Hooligans die Tür zu weisen, läuft dem freundschaftlichen Geist der WM zuwider. Wer die Welt zu sich einlädt, muss jedweden Landsmann willkommen heißen. Auch Engländer. Ebenso klar sollte sein, dass dies auch für Holländer gilt. Wer eine wirklich aufregende WM erleben möchte, ist gut beraten, sich einen niederländischen Fan ins Haus zu holen, sofern es einen gibt, der mangels Wohnwagen eine Unterkunft benötigt. Wie man hört, werden sie leicht zu erkennen sein: Sie tragen einen orangefarbenen Plastikhelm, der exakt so geformt ist wie die Helme der deutschen Wehrmacht. Das Stück kostet 4,95 Euro, mehr als 20.000 sind bereits verkauft. Es wäre jedoch verfehlt, würden deutsche Gastgeber zum gemeinsamen Fußballabend Opas Stahlhelm hervorkramen, um der holländischen Kopfbedeckung etwas Passendes entgegenzusetzen. Nein, dies ist eine Gelegenheit, den Gästen zu zeigen, wie tolerant wir sind. Deshalb empfiehlt es sich, ihr Bett auf möglichst anspruchsvolle Weise zu beziehen: mit der original Oliver-Kahn-Fan-Bettwäsche samt lebensgroßem Porträt.“

FR: Wie Jack Warner in seiner ehrenwerten Funktion als Vizepräsident des Weltverbandes Fifa am WM-Kartenkontingent von Trinidad und Tobago kräftig mitverdient

Wir sind keine Anfänger

Werner Brinkmann, Vorstand der Stiftung Warentest, im FR-Interview
FR: Der nordrhein-westfälische Bauminister Oliver Wittke wirft Stiftung Warentest Boulevardjournalismus vor und bezeichnet die Untersuchung als oberflächlich. Was entgegnen Sie ihm?
Brinkmann: Wer den Bericht liest, erkennt, dass der Vorwurf unsinnig ist. Beim Vorwurf der Oberflächlichkeit wird nur übernommen, was uns einige betroffene Stadionbetreiber vorwerfen: Da wird behauptet, die Untersuchung in den Stadien habe jeweils nur drei bis vier Stunden gedauert.
FR: Wie lange hat sie denn gedauert?
Brinkmann: Mindestens sechs, teilweise auch acht Stunden – und es waren jeweils zwei Leute vor Ort. Da kann man sich schon eine Menge anschauen und ein Bild machen.
FR: Durch welche Kompetenz zeichnen sich denn die Gutachter aus?
Brinkmann: Die Gutachter sind spezialisiert auf komplexe Bauten wie Fußball-Stadien.
FR: Fußball-Stadien sind was anderes als Bügeleisen oder Haarshampoo. Ist das nicht eine Nummer zu groß für Stiftung Warentest?
Brinkmann: Wir sind auf diesem Gebiet keine Anfänger. Das ist nicht der erste, sondern bereits der dritte Test von Fußball-Arenen. Im Übrigen haben wir auch schon die Sicherheit von Flughäfen getestet oder Bahnhöfe untersucht. Und wir haben eigene Prüfverfahren entwickelt.
FR: Warum haben Sie die Fußball-Stadien ausgerechnet jetzt – wenige Monate vor der Weltmeisterschaft unter die Lupe genommen?
Brinkmann: Als Tester kommt man für den Untersuchten mit seinen Ergebnissen nie zum richtigen Zeitpunkt heraus.

FAZ: Schlechte Noten für die Warentester

Ein weites Feld

Martin Böttger (Freitag) erörtert den Vorschlag Daniel Conh-Bendits, den Iran von der WM auszuschließen: „Es ist fraglich, ob ein WM-Ausschluss ein richtiges Zeichen setzen würde. Zum einen wird der Fußballexperte Cohn-Bendit wissen, dass Fußball in den vergangenen Jahren in Iran ein emanzipatorischer Faktor war. Er erlaubte der iranischen Bevölkerung in unerlaubter Weise zu feiern, Frauen verschafften sich Zutritt zu den Stadien. Es gab keine Gläubigen und Ungläubigen, sondern nur Fußballfans, die unter den Augen der geschockten Revolutionswächter auf der Straße ausgelassen feiern durften. Es war noch zur Regierungszeit des Präsidenten Khatami, als die deutsche Mannschaft im Sommer 2004 zur allgemeinen Begeisterung der einheimischen Bevölkerung in Teheran gastierte. Und Bundestrainer Klinsmann sorgte dafür, dass seine Spieler sich nicht nur auf das Spiel, sondern auch auf das gastgebende Volk und seine Lebenslage vorbereiteten, wie es ein guter Außenminister nicht besser hätte dirigieren können. Zum andern würde ein iranischer WM-Ausschluss ein weites Feld öffnen: Wie sieht es mit der politischen Führung der anderen 31 Teilnehmerländer aus? Hier wäre zuvörderst die Elfenbeinküste in den Blick zu nehmen. Dort tobt seit 2002 ein Bürgerkrieg mit allen politischen Ingredienzien für ein ‚zweites Ruanda’ (dort kamen 1994 in hundert Tagen rund 800.000 Menschen durch einen organisierten Völkermord ums Leben). So wie damals in Ruanda schürt der ivorische Präsident Gbagbo rassistisch und religiös aufgeladene Auseinandersetzungen. (…) Es ist aber auch eine andere Variante denkbar: Wie in Iran könnte ein starker Auftritt der Mannschaft das Klima im eigenen Land positiv ändern. (…) Dass nicht nur Verbrecher und Mörder in so mancher Regierung und so mancher ‚Rebellentruppe’ agieren, sondern dass auch Strippen gezogen werden, von US-amerikanischen, französischen, chinesischen und ja, auch deutschen Rohstoffinteressenten, denen ein paar tausend massakrierte Schwarze so egal sind, dass man sich unvermittelt fragt, wer hier eigentlich wirklich von einer WM ausgeschlossen werden müsste. Auf jeden Fall etliche Inhaber der VIP-Plätze.“

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