Internationaler Fußball
Europäisch wie nie
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| Freitag, 20. Januar 2006Alle Zeitungen schauen auf die Afrikameisterschaft, die heute beginnt – eine Backpfeife für die Berliner Zeitung, die das Turnier als „Cup der guten Hoffnung“ ankündigt (zumal es doch in Ägypten stattfindet). Christian Eichler (FAZ) lobt süffisant die Organisation: „Diskussionen um Stadionsicherheit? Undichte Dächer? Schwankende Tribünen? Abgesagte Galas? Nein, es gibt auch Ausrichter von Fußball-Großereignissen 2006, die vor dem Anpfiff ohne Skandale auskommen. Sie sitzen in Ägypten. Mit Sicherheit und Haltbarkeit von Immobilien kennt sich das Land der Pyramiden seit Jahrtausenden aus. Die Afrikameisterschaft wird traditionell gern als Gegenentwurf zum gut organisierten, professionell gestalteten, zum gezähmten europäischen Fußball gesehen; als Hort unzähmbarer Spielfreude des ärmsten Kontinents. Doch dieses Jahr dürfte das Turnier so europäisch daherkommen wie nie. Die Ägypter bemühen sich, ihre Organisation europäischem Standard zu nähern – die Spielweise der meisten Teams tut es ohnehin. Weil immer mehr afrikanische Profis für europäische Topklubs spielen und viele Nationalteams von Europäern trainiert werden, wird das Niveau des Turniers und damit des afrikanischen Fußballs höher eingeschätzt denn je. Dennoch, ein paar kleine kontinentale Unterschiede bleiben: Etwa in der durchschnittlichen Haltbarkeit von Trainern. Von den sechzehn, die bei der letzten Afrikameisterschaft 2004 im Amt waren, ist bis heute nur einer nicht gefeuert worden, nämlich der, der das Turnier gewann: der Franzose Roger Lemerre.“
Christoph Biermann (SZ) befasst sich mit dem Gastgeber: „Es ist nicht mehr zu übersehen, dass die Nordafrikaner eine gefallene Fußballgroßmacht sind und nur noch die Geschichte auf ihrer Seite haben: Schon 1934 in Italien waren sie als erste Afrikaner bei einer WM dabei und dominierten lange den Fußball auf ihrem Kontinent. Viermal hat Ägypten die Afrikameisterschaft gewonnen und so oft wie keine andere Nation an den Endrunde teilgenommen (19 Mal), die meisten Spiele gewonnen (36) und die meisten Tore geschossen (112). (…) Außergewöhnliche Anstrengungen wurden unternommen, um neue Standards für Afrika zu setzen. Allein der Umbau des Nationalstadions in Kairo dauerte zwei Jahre, kostete 22 Millionen Euro und stand wie alle Infrastrukturmaßnahmen unter Leitung des Militärs. Das Tourismusministerium kümmert sich um Unterbringung und Transport von Mannschaften, Fans und Journalisten. Die sehr professionellen Mediencenter wurden vom Informationsministerium und dem Ministerium für Telekommunikation eingerichtet. Noch immer grämt es die Ägypter, dass die erste afrikanische Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika und nicht am Nil stattfinden wird.“ Rod Ackermann (NZZ) schildert die Stimmung vor Turnierbeginn: „Im Eifer der Vorfreude wird von Fans wie Mannschaftsbegleitern derart dick aufgetragen, dass es schon Heiterkeit erregt. Hat es mit orientalischer oder schwarzafrikanischer Beredsamkeit zu tun, wenn man sich über den nächsten Gegner mit triefender Verachtung statt mit sportlicher Fairness auslässt? Vollmundige Drohungen, im Preisboxen der Normalfall, gehören in hiesigen Gefilden eben zum Spiel; wer Provokationen dieser Art für bare Münze nimmt, ist von des Gedankens Blässe angekränkelt.“
Selbstzerstörende Reflexe
Das Turnier bedeutet auch ein Konflikt zwischen den Länder- und den europäischen Vereinsmannschaften, in denen die Spieler ihr Geld verdienen. Daniel Theweleit (FR) nennt das Risiko: „Oft kommen die Spieler erschöpft, angeschlagen und in einer insgesamt schlechten Verfassung von dem Turnier zurück. Der Alltag während des Wettbewerbs ist oft wenig professionell strukturiert, die Trainingsarbeit ist kurzfristig angelegt, zudem wird in Afrika sehr hart gespielt. (…) Gerade für die WM-Teilnehmer ist das Problem fatal: Die Spieler fehlen in ihren Ligen, schauen mit einem Auge auf den Klub und den dort in Gefahr geratenen Stammplatz. Gleichzeitig müssen sie in Ägypten erfolgreich sein, damit die Sportminister und Verbandspräsidenten nicht panisch werden, Trainer feuern oder anderen selbstzerstörerischen Reflexen des afrikanischen Fußballs folgen. Die Aussichten der Afrikaner bei der WM verbessert das Turnier eher nicht. Als Grund für das sture Beharren auf dem Termin nennt der Kontinentalverband CAF den WM-Qualifikationskalender und Verpflichtungen den Sponsoren gegenüber. Kenner glauben eher, dass es sich um den Stolz des chronisch zu kurz Gekommenen handelt. Deutlich wird: Je mehr Afrikaner in Europa spielen, desto mehr schadet sich der Fußball vom Schwarzen Kontinent mit dem Afrika-Cup selbst.“ Von Oke Göttlich (taz) erfahren wir: „Mit welchen Mitteln die Vereine versuchen, die afrikanischen Verbände dazu zu bringen, von ihren Stars abzusehen, zeigte vor allem der Fall Didier Drogba: Chelsea verlangte für die Abwesenheit Drogbas die Hinterlegung einer Unfallversicherung sowie die Übernahme des Gehalts.“
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Probleme mit dem Treusein
Wie konnte er nur auf den Trick mit dem Scheich reinfallen? Raphael Honigstein (taz) hat wenig Schmeichelhaftes über Sven-Göran Eriksson zu erzählen: „Das große Problem ist, dass die Story nur bestätigt, was mittlerweile zum Allgemeinwissen gehört: Der 57-Jährige hat Probleme mit dem Treusein, und das in jeglicher Hinsicht. Affären mit einem Fernsehstar und einer Verbandssekretärin hat man dem unverheirateten, aber fest gebundenen Freund von tibetischer Poesie schnell verziehen, doch der selbst verschuldete ‚Wüstensturm’ (Mirror) wirft ein schlechtes Licht auf seine professionelle Integrität. Als eine ‚Möwe mit einem wandernden Auge’ hat ihn ein FA-Boss einst beschrieben. Dass der Nationaltrainer fünf Monate vor WM-Beginn schon an den nächsten Job denkt, verstört das Fußballland gehörig. Passieren wird trotzdem nichts. Dem Verband fehlt nicht nur die Zeit für eine drastische Maßnahme, sondern auch eine Alternative. Das kickende Personal steht außerdem weiter zu Eriksson, obwohl der in seiner Champagnerlaune in Dubai allerhand Unbedachtes über Nationalspieler wie Michael Owen (‚er spielt nur wegen des Geldes bei Newcastle’), Rio Ferdinand (‚faul’) und Wayne Rooney (‚kann sich nicht beherrschen’) plauderte. Eriksson hat seine Schützlinge fünf Jahre lang verhätschelt und deswegen noch reichlich Kredit.“