Deutsche Elf
Die Hasenherzigkeit des deutschen Michels
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| Donnerstag, 9. Februar 2006Zwanzigers Fußballer wird neuer Technischer Direktor beim DFB, Klinsmanns und Bierhoffs Kandidat Bernhard Peters wird abgelehnt. „Schwarzer Mittwoch – DFB fügt Klinsmann bittere Niederlage zu“ (FAZ) lautet im Durchschnitt die Schlagzeile von heute. Klinsmann zeigt sich in einigen TV-Statements, man lasse sich nicht von seinem Lächeln irritieren, sehr enttäuscht und hält nicht hinter dem Berg mit dem, was er über die Entscheidung und die Entscheider denkt: „Es ist nicht über die Sache entschieden worden, sondern über Personen. Mit dem Dokument, in dem Peters sein Konzept vorstellt, haben sich manche Präsidiumsmitglieder heute zum ersten mal beschäftigt.“ Das ist saftig. Viele Redaktionen mutmaßen nun, dass Klinsmann nach der WM aufhören wird. Diese Vermutung sowie die kreischenden Schlagzeilen von heute mögen übertrieben sein und einer ersten Wut geschuldet. Sollte er denn wirklich so ein Waschlappen sein, dass er sich von der Hasenherzigkeit des deutschen Michels abhängig macht? Wir hatten bisher nicht den Eindruck, sondern haben ihn als der Freiheit freiesten Bruder achten gelernt.
Wäre der große Schaden mit Gerhard Mayer-Vorfelder, der in dieser Woche am Herzen operiert worden ist, zu verhindern gewesen? Hätte er im besten „Münte“-Stil seine Reihen disziplinieren können? Mayer-Vorfelder, in der Vergangenheit nicht gerade die erste Adresse für Anrufe von Reformern, ist für seinen politischen Instinkt und seine dicke Haut bekannt und in letzter Zeit aufgefallen durch Loyalität gegenüber Klinsmann. Theo Zwanziger hingegen wollte es wohl allen recht machen, eine Überzeugung ist nicht zu erkennen.
Schlagzeilen von heute – eine Auswahl:
„DFB düpiert Klinsmann“ (Financial Times)
„Niederlage für Klinsmann“ (SZ)
„Fauler Kompromiss“ (Spiegel Online)
„Ohrfeige für Klinsi“ (Bild)
„Restauration beim DFB“ (Tagesspiegel)
Anfang vom Ende des Bundestrainers Klinsmann
Sven Goldmann (Tsp) spekuliert über das Ende Klinsmanns: „Die Entscheidung ist mitnichten eine für Matthias Sammer und gegen Bernhard Peters. Es ist eine für die Restauration und gegen alles Fortschrittliche, was Jürgen Klinsmann verkörpert. (…) Sammer ist vorzuwerfen, dass er sich im Sinne seiner Karriere hat instrumentalisieren lassen. Er weiß, dass er sein Amt zu einem heiklen Zeitpunkt gegen den erklärten Willen Klinsmanns antritt. Seine Berufung erzeugt Unruhe, wo doch Ruhe unerlässlich ist. Sammer hat eine egoistische Entscheidung getroffen. Darüber hinaus haben die DFB-Granden das Ansehen eines Mannes beschädigt, der sich nicht aufgedrängt hat, der nicht wegen seines Namens, sondern wegen seines Sachverstandes umworben wurde. Das Angebot an Peters, ein halbes Jahr nach Sammer in nicht näher definierter Weise einzusteigen, muss dieser als Ohrfeige empfinden. Wie auch sein Fürsprecher. Der Mittwoch war der Anfang vom Ende des Bundestrainers Klinsmann.“
Erhebliche Beschädigung des Bundestrainers
Axel Kintzinger (FTD) zweifelt an Sammers Qualität als Manager: „Für Klinsmann kommt die Entscheidung beinahe einer Entmachtung gleich (…) Sammer selbst hätte diesen Job, den er nun unter erheblicher Beschädigung des Bundestrainers – und das vier Monate vor der Weltmeisterschaft – einnehmen wird, schon früher haben können. Erst im Oktober des vergangenen Jahres hatten Klinsmann und Bierhoff ihm dieses Amt angetragen. Doch Sammer lehnte ab: Er sah seine Zukunft eher als Chefcoach eines Bundesliga-Klubs. Die zahlreichen Trainerwechsel der letzten Wochen haben ihn wohl bewogen, seine Chancen neu zu bewerten. Sammer ist, obwohl erst 38, ein erfahrener Fußballlehrer. Schon als Spieler eilte ihm der Ruf voraus, wie ein Trainer zu denken. Mit modernem Fußball, wie er in den wichtigen europäischen Ligen gespielt wird, brachte man den Ex-Nationalspieler bislang allerdings nicht in Verbindung.“
Inkonsequenz
Peter Stolterfoht (StZ) hält die Entscheidung für einen großen politischen Fehler: „Nach diesem vom DFB zum Ausdruck gebrachten Misstrauen wird der Bundestrainer nicht gleich wieder zur Tagesordnung übergehen können – auch wenn er das behauptet. Wahrscheinlich hat sich Klinsmann gestern sogar schon entschieden. Und zwar dafür, nach der Weltmeisterschaft zurückzutreten. Im DFB-Präsidium wurde nicht über Sammer und/oder Peters abgestimmt, sondern über die Zukunft von Klinsmann. (…) Das Wahlergebnis offenbart auch die Inkonsequenz des DFB und seines Präsidenten Theo Zwanziger. Der unbequeme Bundestrainer wurde nicht mit Gegenargumenten in die Schranken gewiesen, sondern mit dem Stimmzettel. Auf dem stand schon der Name eines bequemeren Nachfolgers.“ Moritz Müller-Wirth (zeit.de) fügt an: „Klinsmanns Möglichkeiten, sich bis zur WM mit weiteren unorthodoxen Vorschlägen durchzusetzen, haben sich erheblich reduziert. Reduziert hat sich gleichsam die Wahrscheinlichkeit, dass Klinsmann auch nach der WM noch Bundestrainer bleibt.“
Die schlechteste aller Lösungen gewählt
Chance vergeben – Jens Todt (SpOn) rümpft die Nase: „Das DFB-Präsidium hat die schlechteste aller Lösungen gewählt. Die Verbandsbosse verhelfen dem Fußball-Establishment zum Sieg – auf Kosten von Klinsmann. Im deutschen Fußball, der seit Jahrzehnten ein gegen andere Sportarten abgeriegelter Exklusivclub ist, wäre das einer Revolution gleichgekommen. Dass der deutsche Fußball von anderen Disziplinen, Randsportarten gar, Impulse bekommen könnte, läuft dem Selbstverständnis der Branche zuwider. Die öffentliche Debatte um den neuen Posten, den Klinsmann und Bierhoff beim DFB etablieren wollten, war vor allem eines: peinlich. Und sie zeigt, wie sehr der deutsche Fußball im eigenen Saft schmort. Bernhard Peters, ein anerkannter Experte, wird einen tiefen Einblick in die Gepflogenheiten der Fußballbranche als Erfahrung mitgenommen haben. Er ist der erfolgreichste deutsche Trainer in einer Sportart, die sich schon mit modernen Trainingsmethoden, Didaktik und Sportpsychologie auseinandergesetzt hat, als in vielen deutschen Fußballclubs noch Protagonisten mit Parolen aus Turnvater Jahns Zeiten den Ton angaben.“
Allein Thorsten Jungholt (Welt) verteidigt Zwanziger und das DFB-Präsidium: „Klinsmann hat den Führungswillen Zwanzigers genauso unterschätzt wie den seines ehemaligen Mannschaftskollegen Sammer. Und, schlimmer noch, der Bundestrainer hat in der Niederlage Größe vermissen lassen: Sammer als ‚Pille‘ zu bezeichnen, die man schlucken müsse, ist stillos und bestärkt die Zweifel, daß er über den Sommer hinaus für den DFB arbeiten wird. In nachhinein hat der Bundestrainer damit ein weiteres Argument dafür geliefert, daß die Entscheidung für Sammer richtig war.“ Bild fordert: „Redet jetzt endlich wieder über Fußball!“ Das fassen wir mal als Selbstgespräch auf.
Stimmen, faz.net
Morgen mehr zu diesem Thema, noch haben nicht alle Zeitungen ihre Klage drucken können. Morgen auch: der 20. Bundesliga-Spieltag