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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Ersatzbundestrainer zur Hand

Oliver Fritsch | Samstag, 11. Februar 2006 Kommentare deaktiviert für Ersatzbundestrainer zur Hand

Jürgen Klinsmann kann sich seinen Trotz über die Ablehnung seiner Idee durch den DFB leider nicht verkneifen, dem Tagesspiegel sagt er: „Die Neuausrichtung hätte nur mit Bernhard Peters funktioniert, da er der intellektuelle Kopf des Konzeptes gewesen wäre. Sein Wissen wäre elementar gewesen in der Umsetzung vieler Ideen“; mit Sammer sei das Konzept nicht umzusetzen, führt er auf Nachfrage fort. Der Argwohn gegenüber Sammer, den fast alle großen Tageszeitungen zumindest im Ansatz teilen, richtet sich nun auch gegen seine Tätigkeit beim Springer-Konzern, wo er seit diesem Jahr Kolumnist bei der Welt am Sonntag ist. Bild, der große Vetter der WamS, will immer mitreden in Sachen Nationalmannschaft, Bild und Klinsmann sind seit zwei Jahrzehnten nie Freunde geworden (siehe unsere Studie über den Confederations Cup).

Sven Goldmann (Tsp) schreibt dazu und begründet seine Skepsis gegenüber Sammer: „Sammer wird durch seine bloße Präsenz Unruhe schüren. Die Zeitungen eines großen Verlagshauses, die Klinsmann nicht gerade wohlgesinnt sind, haben jetzt einen Ersatzbundestrainer zur Hand. (…) Zwar sagte Sammer, seine Fußball-Philosophie decke sich mit der des Bundestrainers. Aber schon kurze Zeit später referierte er über seine Bewunderung des traditionellen deutschen Kraftfußballs. Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, wofür Klinsmann beim Confed-Cup gefeiert wurde, als die Nationalmannschaft mit attraktivem Angriffsfußball glänzte. Sammer plauderte bei seiner Vorstellung ironisch über diese Versuche des deutschen Fußballs, modern und mit System spielen zu wollen: ‚Wir müssen uns daran erinnern, dass wir früher alle niedergeknüppelt haben – und zwar ohne System.‘ Klinsmann wird die Botschaft verstanden haben.“ Andererseits: Sammer, dem wir nichts unterstellen wollen, könnte doch niemals dauerhaft als Bundestrainer in Ruhe arbeiten, sollte er irgendwann Klinsmann aus dem Amt gedrängt haben. Was wäre das für ein Makel! Was wäre das für eine Anrüchigkeit, mit dem ständigen Verdacht zu leben und zu arbeiten, einen Verrat begangen zu haben!

Irrational

Sehr lesenswert! Im Management-Channel, einem Expertenforum zur Unternehmensführung, lesen wir, warum die Entscheidung gegen Peters falsch begründet und aus falschen Gründen gewürdigt wird: „Hier ist nicht der Ort zu diskutieren, welcher der beiden Kandidaten besser geeignet ist. Gleichwohl ist kritisch zu reflektieren, auf Basis welcher Argumente die Entscheidung zu seinem Ergebnis gefunden hat: Ist es nicht sonderbar, daß sich der von außerhalb kommende Kandidat bis ins Kleinste rechtfertigen muß, daß er der Aufgabe gewachsen ist, obwohl er auf eine überragende Erfolgsgeschichte verweisen kann, während der interne Kandidat in dieser Hinsicht über jeden Zweifel erhaben zu sein scheint, obwohl er ein Zögling des bestehenden – erfolglosen!! – Systems ist? Müßte man nicht eher prüfen, warum der interne Kandidat trotzdem Innovation bringen kann, obwohl er durch die Mühlen der Organisation doch längst auf müde Linie getrimmt sein dürfte? Das hier zu beobachtende Phänomen trägt in der Managementlehre einen Namen, es ist das NIH-Syndrom: ‚Not Invented Here‘. Es beschreibt die Tendenz von Unternehmen (und Organisationen, Abteilungen und Gruppen), Anregungen, Ideen oder auch Denkmuster von außerhalb deshalb gering zu schätzen, weil sie von außerhalb kommen. Im Kern handelt es sich um eine irrationale Abwehrhaltung, die aber mit rationalen Gründen öffentlich vertreten wird, denn zu einem halbwegs komplexen Sachverhalt lassen sich immer scheinbar rationale Gründe finden, mit denen sich der wahre Grund, das NIH-Syndrom, überspielen läßt.“

Die Welt zu Gast bei Formschwäche

Christof Kneer (SZ) lenkt die Aufmerksamkeit auf den Sport: „Der Leistungseinbruch seiner Spieler ist für Klinsmann dramatisch genug, aber erschwerend kommt für ihn hinzu, dass er nicht mehr derselbe Klinsmann ist. Mit seiner Sammerpetersposse hat sich der DFB den Luxus geleistet, kurz vor der WM seinen Bundestrainer anzugreifen, und die spannendste Frage ist nun, wie das funktionieren soll, dass ein geschwächter Trainer mit einem geschwächten Team ins Turnier zieht. Die Welt zu Gast bei Formschwäche, das ist nicht direkt der Slogan, den Klinsmann im Sinn hatte, als er dieses heilige Amt übernahm. (…) Während sich Deisler weiter auf der Suche nach seinem Spiel befindet, hat sich Schweinsteiger in einem Interessengestrüpp zwischen Berater, Umfeld und Familie verheddert. Nicht mal Ballack geht derzeit als verlässliche Konstante durch. An Abwehrsorgen hatte man sich ja schon gewöhnt; dass die Schwächeanfälle nun aber auch schon die vorderen Spielfeldbereiche erreicht haben, ist die eigentliche schlechte Nachricht. Kuranyi und Asamoah sind vom mysteriösen morbus Schalke befallen, der arme Klose reiht eine Verletzung an die nächste, und Podolski spielt in Köln. Die Versäumnisse seines Vorgängers wird sich Klinsmann kaum leisten können. Rudi Völler hatte vor der Euro 2004 auf den formstarken Borowski verzichtet, weil der, wie man unter Trainern so sagt, noch nicht so weit war. Klinsmann aber wird kaum etwas anderes übrig bleiben als die Welle zu reiten; die, die gerade obenauf surfen, werden ihm im Sommer am ehesten helfen können – nach derzeitigem Stand sind das Spieler wie Frankfurts Kampftechniker Jermaine Jones oder der leidenschaftliche Nürnberger Stefan Kießling. Und wer im WM-Viertelfinale gegen Holland Ruud van Nistelrooy ausschaltet, ist ja auch schon klar: Das macht dann Markus Brzenska.“

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