indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Autosuggestion

Oliver Fritsch | Montag, 20. Februar 2006 1 Kommentar

Hannover 96–Bayern München 1:1

Autosuggestion

Frank Heike (FAZ) lässt sich die Säcke von Uli Hoeneß nicht vollmachen: „Natürlich beanspruchten die Bayern die Deutungshoheit über dieses interessante Spiel. Im Schönreden mäßiger Leistungen zum richtigen Zeitpunkt ebenso geübt wie in der überraschenden Schelte wider den Schlendrian, sagte Hoeneß: ‚Ich bin jetzt beruhigter als vor einer Woche. Die Mannschaft kann den Schalter umlegen und hat nach einem unberechtigten Gegentor die richtige Einstellung gezeigt. So spielt ein deutscher Meister.‘ Herrlich, diese Sätze! So viel Selbstvertrauen kann man also aus einem glücklichen 1:1 in Hannover ziehen. Selbstzweifel wären ja auch ein schlimmer Feind vor der großen Aufgabe. Auch Magath lobte die eigene Mannschaft überschwenglich, als sei es Teil einer Sprachregelung. Das nennt man selektive Wahrnehmung. Oder Autosuggestion. Ist wohl alles Teil des Plans, wenn man ein paar Tage später auf dem Weg nach Paris starke Italiener aus dem Weg räumen muß. Während Peter Neururer noch lange, lange erzählen sollte, wie dieses Spiel für ihn war, er die Tabelle ausdeutete und zum wiederholten Male preisgab, daß ihn der späte Ausgleich doch sehr ärgere, hatte der deutsche Meister wieder einmal so nüchtern und am Ende partiell erfolgreich sein Handwerk verrichtet, wie es Werder, Schalke oder dem HSV wohl nie gelingen wird.“ Andreas Burkert (SZ) bewundert die Arbeitsethik der Bayern: „Für die Münchner ist es allenfalls das zwölfte Auswärtsspiel der Saison gewesen, eher aber das Spiel vor dem Duell mit dem AC Mailand. Vorgeschaltete Pflichtaufgaben sind in München traditionell so beliebt wie Autogrammstunden oder Medizinbälle, doch wie die Plackerei in der Vorbereitung brachten die Bayern auch den Charaktertest von Hannover mit Anstand hinter sich.“

Den Computer jetzt bitte nicht gleich ausschalten, wenn wieder von der Liebe der ARD-Sportschau zu Oliver Kahn die Rede ist – zwei Beispiele vom Samstag: Erst redet der Sprecher einen groben Fehler des Torwarts klein, als Kahn eine Flanke unterläuft: „Kahn verschätzt sich hier etwas.“ Bei jedem anderen Torwart wäre von einem kapitalen Stellungsfehler die Rede gewesen. Dann werden die Hannover-Fans gerügt für ihre Robert-Enke-Sprechchöre bei der Verletzung Kahns: „Nicht gerade die feine Art, das ausgerechnet in diesem Moment zu singen.“ Wirklich sehr, sehr gemein! So ein Käse! Manchmal singen Fans ganz andere Dinge, wenn gegnerische Spieler vom Feld humpeln. Liebe Sportschau-Redakteure, warum diese Watte für unseren Nationaltorhüter? Aus Sympathie? Macht der gemeinsame Sponsor Druck? Oder Uli Hoeneß? Rufen nach der Sendung tausend Bayern-Fans an, wenn Ihr nicht vor den Bayern kniet? Oder versteht Ihr das Spiel nicht? Man hätte zudem erwähnen können, dass sich Kahn die Verletzung selbst zuzuschreiben hat: Er ist in seinen Gegenspieler Brdaric, der den Ball spielt, unbeherrscht reingesprungen. So was nennt man übrigens Foul oder, je nach Auslegung, gefährliches Spiel.

Borussia Dortmund–Werder Bremen 0:1

Janusköpfig

Richard Leipold (FAZ) rät den Bremern, ihre Naivität in der Abwehr abzulegen: „Werder zeigt sich janusköpfig: mutig, aber keineswegs souverän. Die Offensivkräfte wirkten wesentlich tatkräftiger als bei den vorherigen Auswärtsspielen. In der Anfangsphase stürmten die Bremer im Stile einer Heimelf drauflos, auch ohne ihren erfolgreichsten Angreifer Miroslav Klose. Die Stärken der Bremer traten vor allem in der gegnerischen Hälfte zutage. Werder versuchte sich stürmisch dem Wintertief zu entziehen, das über dem Klub heraufgezogen ist. Auch die Verteidiger machten mit – auf ihre Weise. Oft zu weit aufgerückt, frönten sie einem Vabanquespiel, das weniger von Klasse als von guten Nerven zeugte. Zwanzig Meter vor dem eigenen Strafraum auf einer Linie auf Abseits zu spielen, das kann, muß aber nicht gutgehen. Zuweilen hatte das Abwehrverhalten den Anschein, als wollten sie das Schiedsrichtergespann einem Belastungstest unterziehen oder Material für einen Lehrfilm über die Abseitsregel liefern. Die Dortmunder Stürmer tappten zwanzigmal (!) in die Falle – aber bei weitem nicht immer. Nicht auszudenken, wenn im Strafraum Weltklassestürmer wie Trezeguet und Ibrahimovic auf ihre Chance gelauert hätten.“

Hertha BSC Berlin–Schalke 04 1:2

Erbärmliches Bild

Ronny Blaschke (FTD) kritisiert Dieter Hoeneß und Falko Götz: „Hoeneß wollte ein bisschen erzählen, aber nichts sagen, gelungen ist ihm das nicht. Selten hat jemand lauter geschwiegen. (…) Götz hat seinen Anteil an der Misere. Wie schon bei 1860 München lässt er die Geradlinigkeit in seiner Arbeit vermissen – in Taktikfragen, aber auch im Umgang mit seinen Spielern. Er hat es nicht geschafft, die Bildung einer Hierarchie zu beeinflussen. Diese Probleme sind von substanzieller Art, und sie können nicht von heute auf morgen gelöst werden. Er ist jedoch oberflächlich und kurzsichtig, die Probleme ausschließlich bei Götz zu suchen, denn das erbärmliche Bild, das Hertha BSC derzeit abgibt, ist über Jahre entstanden, nicht über Nacht. (…) Eine Opposition, die Ordnung herbeistreiten könnte, gibt es nicht. Und interne Kritiker werden umgehend zur Räson gerufen. In keinem anderen Bundesligaklub gehen so viele Entscheidungen von einer Person aus. Bei Hertha BSC kann nur der Manager den Manager entlassen. Sein Vertrag läuft bis 2010, doch gefühlt läuft er lebenslänglich. Und trotzdem sind die Vereinsstrukturen so einprägsam wie das Londoner U-Bahn-System. “

Entmachtet

Matthias Wolf (FAZ) erkennt Vorzeichen einer Entlassung: „Ruhe verschafft sich die Hertha mühsam. Beim Training schloß der Verein überraschend die Öffentlichkeit aus. Zuletzt war die Schranke am Übungsplatz im November 2003 gefallen, als Huub Stevens vor der Entlassung stand. Parallelen zu damals sind unverkennbar, doch Götz hat zumindest bei Hoeneß noch Kredit. Intern aber kommen verstärkt kritische Fragen, auch von anderen Führungskräften. Götz scheint angeschlagen und noch mehr entmachtet zu sein, wenngleich schon bekannt war, daß Hoeneß mit die Mannschaft aufstellt. Gegen Schalke ließ der Trainer erstmals in der Rückrunde zwei Stürmer spielen. Eine von oben verordnete Abkehr vom Angsthasenkonzept? Hoeneß kommentierte den Vorgang mit süffisantem Lächeln: ‚Also ich war zeitlebens Stürmer und schon immer dafür, daß man nach vorne spielt.‘ Hertha war den leichtfüßigen Schalkern dennoch hoffnungslos unterlegen und erarbeitete sich selbst gegen dezimierte Schalker nur vereinzelt Torgelegenheiten.“ Uwe Marx (FAZ) fügt an: „Es gab Trainer und Manager, die in solchen Phasen sehr laut wurden, um ihre Spieler anzutreiben. Bei Götz und Hoeneß ist das Gegenteil der Fall, und das läßt vermuten, daß beide angeschlagen sind.“

Michael Rosentritt (Tsp) nimmt den Trainer in Schutz: „Die Ursachen, die in der Vergangenheit liegen, hat Götz genau so wenig zu verantworten wie Marcelinho, der divenhafte Star, der als zweiter Sündenbock hingestellt wird. In der öffentlichen Wahrnehmung hat der Berliner Bundesligist an Charme verloren. Der Zuschauerzuspruch ist rückläufig, außerhalb der Region Berlin-Brandenburg wird Hertha kaum wahrgenommen. Bis heute hat Hertha kein Image gefunden. Eine seit Jahren verfehlte Transferpolitik hat den Verein in eine wirtschaftliche Schieflage gebracht und den Spielerkader nachhaltig gehandicapt. Es mangelt dem Team an einer gesunden Altersstruktur, an Persönlichkeiten und an Ausstrahlung. Deshalb fällt es einem großen Teil der Öffentlichkeit schwer, sich mit dem Verein zu identifizieren.“

Ein aufregendes Museum

Klaus Hoeltzenbein (SZ) ordnet die Hertha in Berliner Architektur und Geschichte ein: „Wer nach Berlin fliegt, einen Fensterplatz hat, der kann Hertha nicht entkommen. Nahe der Einflugschneise nach Tegel liegt das renovierte Olympiastadion, in dem der Albert-Speer-Muschelkalk mit der Glasdach-Gegenwart einer Arenen-Architektur in Verbindung gebracht wurde. Nun haben die Berliner einen gebauten Kompromiss. Andere haben ein neues Stadion. Ob Hertha sich in diesem Zwitter, halb bedrückendes Denkmal, halb fröhlicher Fußballplatz, je wohlfühlen wird? (…) Hertha versprach viel, sie sollte sich in eine Bayern-Werder-Borussia verwandeln. Nun ist sie Mittelstand, grau wie der Wedding im Winter. Beglückt wird sie nur von einer verheißungsvollen Nachwuchsarbeit, belastet von der verlorenen Vision und gebeugt von der Gefahr, bald ohne Perspektive (und ohne Trainer?) zu sein. In diesem Reizklima ziehen Gespenster ein: Nach fünf Platzverweisen in einer Woche marschiert in Berlins Medien die ‚Rote Armee‘. Wer mit dem Flieger kommt, landet noch immer in Tegel. Bei Anflug sticht ein riesiges Hertha-Logo ins Auge. Es müsste verpflanzt werden, sollte doch noch der seit dem Mauerfall geplante Bau eines Großflughafens gelingen. Aber warum? Tegel und Olympiastadion, Hertha und Hoeneß – das ist Berlin 2006. Für den, der’s mag, ein aufregendes Museum.“

Borussia Mönchengladbach–1. FC Köln 2:0

Glückliche Umstände

Nicht nur Hans-Joachim Leyenberg (FAZ) fragt sich, ober der Richtige gewonnen hat: „Nach dem Triumph wirkten die Herrschaften vom Niederrhein wie eine Gemeinschaft, die mit dem Schrecken davongekommen war. Horst Köppel wirkte regelrecht aufgescheucht, als er einen Erfolg zu kommentieren hatte, bei dessen Entstehungsgeschichte die Mönchengladbacher Doppelpaß mit für sie glücklichen Umständen spielten (…) Sein Kollege Hanspeter Latour, der stets so wirkt, als stünde der Schweizer Kabarettist Emil wieder auf der Bühne, hörte sich in seinem Fazit fröhlicher an als Köppel.“ Christoph Biermann (SZ) warnt Gladbach vor einem hohen Ziel: „Angesichts der Leistungen in dieser Saison sind die Borussen mit Punktausbeute und Tabellenstand ganz gut bedient. Zugleich ist Gladbach zu einem Klub überproportionaler Ambitionen geworden, was zuletzt vor allem der Trainer ausbaden musste.“

1. FC Kaiserslautern–Arminia Bielelfeld 2:0

Unten durch

Tobias Schächter (FR) stellt fest, dass die Kränkung der FCK-Fans auch durch zwei Siege noch nicht überwunden ist: „Die Leistung der Lauterer war über weite Strecken erneut desolat. Und für einige Spieler war das Spiel trotz des Sieges gar eine bittere Erfahrung: Der konfuse Kapitän Marco Engelhardt und der antrittsschwache Spielmacher Ervin Skela sind beim Publikum unten durch und wurden von den eigenen Fans gnadenlos ausgepfiffen. Auf dem besten Weg, sich ebenfalls jegliche Restsympathie zu verscherzen, befindet sich Torjäger Halil Altintop, ohne dessen 13 Tore der FCK zum Abschluss der Vorrunde nur zwei Zähler gehabt hätte. Das scheint vergessen, seit feststeht, dass der Türke zu Schalke wechseln wird, und keine Tore mehr schießt. Es ist seltsam, dass die eigenen Spieler mehr Angst zu haben scheinen, im Fritz-Walter-Stadion aufzulaufen, als die Gegner.“

Der gute Mensch von Bielefeld

Was für ein Tor! Die Berliner Zeitung stellt klar: „Das war doch Absicht! Hain, der gute Mensch von Bielefeld, wollte nur helfen. Er erinnerte sich, dass man seine Feinde lieben soll wie sich selbst; er wärmte das kalte Profigeschäft mit so viel Nächstenliebe, dass ein ganzes Stadion sich fragte, ob schon Frühling ist. Er half den Lauterern im Abstiegskampf, weil er wusste, dass sie Hilfe brauchen. Und er versetzte sich einen Moment lang in die Lage seiner heimlichsten Helfer. Er war für diesen Moment: ein Balljunge.“

1. FC Nürnberg–VfL Wolfsburg 1:0

Versprengte Truppe

Christof Kneer (SZ) beobachtet die Wolfsburger nach dem Abpfiff und zieht Schlüsse über das Wesen der Bundesliga: „Sollten sie doch den langen Laufweg machen rüber zu den Fans? Sollten sie sich unauffällig in die Kabine schleichen? Oder sollten sie miteinander reden, aber worüber bloß, und: in welcher Sprache? Manchmal reicht es, wenn man Fußballer bei der After-work-Party erwischt, man muss sie dann gar nicht mehr spielen sehen. Die Wolfsburger zum Beispiel sind meist dieselbe versprengte Truppe, egal ob im Spiel oder danach, und langsam drängt sich der Verdacht auf, dass es sich hier um eine Art Kunst handelt. Man muss das nämlich erstmal können: so viele gute Fußballer haben, die so zielsicher aneinander vorbei leben und spielen. (…) Sollten Archäologen in 1000 Jahren zufällig dieses Spiel ausgraben, wüssten sie sofort alles, was man über die urzeitliche Bundesliga des beginnenden 21. Jahrhunderts wissen muss. In ihre Geschichtsbücher könnten die Historiker dann schreiben, dass dies die Zeit nach dem Bosman-Urteil war, in der Spieler namens Hoogendorp, Tskitishvili und Menseguez auf Spieler namens Mnari, Chedli und Glauber treffen, wobei Nürnbergs neuer Brasilianer noch so neu ist, dass nicht mal sein eigener Club textsicher ist. Glauber steht auf dem Trikot, als Berti firmiert er auf dem Aufstellungszettel; manche sagen auch Honorato zu ihm. So sieht sie also aus, die Bundesliga, immer noch. Den Nürnbergern darf man allerdings zugute halten, dass sie nicht freiwillig mit dieser Legionärs-Patchwork-Elf spielten. Trainer Meyer musste viele Verletzte in seinem Kader moderieren. An den Wolfsburgern hingegen dürften kommende Generationen eine rechte Freude haben; an diesem Flickerlteppich von Mannschaft lassen sich herrlich alle Sünden ablesen, die sich die Liga in ihren wilden Jahren zuschulden kommen ließ. Gerets-Spieler stehen neben Fach-Spielern und Strunz-Spielern, und gemeinsam mit den neuen Augenthaler-Spielern ergibt das eine Mannschaft, die außer derselben Trikotfarbe wenig gemeinsam hat.“

Kommentare

1 Kommentar zu “Autosuggestion”

  1. Franz Josef Neffe
    Mittwoch, 2. Dezember 2009 um 00:33

    Nein, Autosuggestion ist mitnichten selektive Wahrnehmung. Autosuggestionen sind einfach Selbstgespräche; die Ergebnisse sind so gut oder schlecht wie die Gesprächsführung. Eben drum sollten wir über die immer und überall wirkende und auch im Schreiben zum Ausdruck kommende (eigene) Autosuggestion was dazulernen, auch als Redakteur. Basisliteratur: Émile Coué (1857-1926): Autosuggestion. Es ist nie zu spät.
    Guten Erfolg!
    Franz Josef Neffe

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

114 queries. 0,608 seconds.