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Mitspielender Torwart

Oliver Fritsch | Dienstag, 21. Februar 2006 Kommentare deaktiviert für Mitspielender Torwart

Oliver Kahn nehme seine Konkurrenten ernst und wolle die Bühne Mailand unbedingt betreten – Florian Haas (FAZ) über das Fernduell mit Jens Lehmann: „Die englische Boulevardpresse neigt nicht zu einer überschwenglichen Bewertung deutscher Fußballspieler. Um so verwunderlicher war es, als die Jens Lehmann gegenüber meist kritische Sun von einer ‚wunderbaren One-Man-Show‘ des deutschen Nationaltorwarts schwärmte. Lehmann hatte beim 0:1 gegen den FC Liverpool stark gehalten, einen Elfmeter pariert und seine beachtliche Form bestätigt. Gegen Real Madrid dürfte er abermals Gelegenheit erhalten, sich hinter einer wackeligen Abwehr auch auf internationaler Bühne auszuzeichnen und so Jürgen Klinsmann ein weiteres Zeichen zu senden. Bereits im vergangenen Jahr hatte Lehmann im Nationaltrikot weit weniger Gegentreffer kassiert als Oliver Kahn und mit dem 0:0 gegen Frankreich einen guten Abgang in die fast viermonatige Länderspielpause hingelegt. Vielleicht auch deshalb hat Klinsmann seine beim Confederations Cup geäußerte Erklärung pro Kahn bisher nicht wiederholt (…) Für Kahn ist das Spiel gegen den AC Mailand von großer Wichtigkeit. Vor allem aber könnte er sich, dessen letzte Einsätze für Deutschland vom vergangenen Oktober datieren, gegen das Mailänder Starensemble mal wieder auf höchstem Niveau bewähren und Lehmann sportlich Kontra geben. Gewiß setzte sich Kahn auch in der Bundesliga zuletzt gut in Szene. Doch eine Positiv-Serie wie die der Bayern und die national beste Abwehr ermöglichten ihm nicht so viele Möglichkeiten, sich wie Lehmann (in der gerade von Klinsmann viel und wohlwollend beachteten englischen Liga) Woche für Woche auszuzeichnen. Die derzeit sehr schwankenden Leistungen der deutschen Abwehrspieler sprechen auch für Lehmann. Denn bei nun noch mehr zu erwartenden Defensivschwierigkeiten ist ein ‚mitspielender Torwart‘ mehr denn je gefragt. Der ballsichere Lehmann wird dieser Anforderung wohl gerechter als Kahn. (…) 2004 sorgte sein Patzer für das Aus gegen Real Madrid, vergangene Saison schoß der FC Chelsea sechs Tore in zwei Spielen. Auch in der Nationalelf und der Liga stellten schwächere Leistungen in wichtigen Spielen die Nervenstärke, deren sich Kahn selbst gerne rühmt, in Frage. Die Attacken auf andere Spieler taten ihr übriges, um das Bild vom stets auf den Punkt konzentrierten ‚Titanen‘ zu beschädigen. Die Verve, mit der die Bayern-Verantwortlichen dabei andere für die Mißgeschicke von Kahn verantwortlich machen, ist auffällig.“

Räuber und Poli

Vor dem Spiel in München und nach dem 1:0 gegen Cagliari – Dirk Schümer (FAZ) schreibt über den AC Mailand: „Wie dieser Sieg zustande kam, ist typisch für den opportunistischen Sicherheitsfußball, den Trainer Carlo Ancelotti am liebsten spielen läßt. Bereits nach 23 Minuten verwandelte Gilardino einen Foulelfmeter. Zuvor war Filippo Inzaghi auf bezeichnende Weise nach einer minimalen Berührung seines Gegenspielers wie ein Torpedo abgehoben und wälzte sich anschließend spektakulär am Boden. Hinterher beklagte Cagliaris Trainer Sonetti treffend, Inzaghi sei nicht gefoult worden, sondern beim Laufen ohnmächtig geworden. Nach diesem einzigen nennenswerten Arbeitsnachweis hatte der defensivstarke AC Mailand gegen einen überforderten Gegner, der kein einziges Mal aufs Tor schießen konnte, keine sonderliche Lust mehr, etwas für die Unterhaltung der Tifosi oder für die Tordifferenz zu unternehmen. Angesichts eines solchen spielerischen Offenbarungseids, dem in München mit Sicherheit das eingespielte, vorsichtige Konterspiel folgen wird, ist man überrascht, vom neuartigen Motivationstraining der Mailänder zu hören. Im spärlichen Gebüsch rund um ihr luxuriöses Trainingsgelände in Milanello müssen die verwöhnten Spieler neuerdings Geländespiele und Überlebensübungen abhalten – nach dem Vorbild des harten ‚team building‘ für den Managernachwuchs. So soll eisenharter Opferwille und verschworener Zusammenhalt entstehen. Bisher ist vom paramilitärischen Elan der Kicker freilich noch nichts zu spüren, aber vielleicht haben sie sich ihren ersten bissigen Auftritt ja für die Bayern aufgespart. Und sollte es mit der neuen Härte gegen sich selbst nichts fruchten, reicht den Milanesi vielleicht ja auch ein schwacher Moment ihres Schwalbenkaisers Inzaghi.“ Kindergeburtstag? Peter Hartmann (NZZ): „Die geheime Mission, so stellte sich heraus, hatte Ancelotti und seine Kicker in den finsteren Wald verschlagen. Dort trieben sie unter Aufsicht des Psychologen ein bisschen Krieg, aufgeteilt in zwei feindliche Gruppen: fingierte Schiessgefechte mit Spielzeugwaffen, Verfolgungsjagden im Unterholz. Räuber und Poli hiess das einst in der Welt der Kinder. “

Ernstfall

Jesses! Birgit Schönau (SZ) fällt auf, dass sich Silvio Berlusconi in Milan rar macht: „Jetzt ist Wahlkampf, doch Berlusconi verzichtet erstmals darauf, im Meazza-Stadion Hof zu halten. Er lässt sich auf der Vip-Tribüne kaum noch blicken. Sicher, die Regierungsverantwortung hält ihn auch mal in Rom, wenn gerade ein Minister zurückgetreten ist, dessen Fernseh-Auftritt mit einer Mohammed-Karikatur auf dem T-Shirt Ausschreitungen mit elf Toten in Libyen provoziert hat. Aber früher wäre Berlusconi trotzdem auf die Vip-Tribüne geeilt. Oder gerade deswegen. Die Zeiten können noch so schwierig sein, mein Milan hält Kurs. In diesem Stil. Neuerdings aber hält sich ‚der erfolgreichste Klubbesitzer aller Zeiten‘ (Selbstbezichtigung) auffallend zurück. Zum traditionellen Schulterklopfen für die Mannschaft kurz vor dem Abflug nach München erschien Berlusconi auch nicht, er ließ sich im letzten Moment entschuldigen und übergab gute Wünsche an seinen Vikar Adriano Galliani. Jetzt kann man sich fragen: Ist die Lage bei Milan so ernst, dass der Ministerpräsident sich im Wahlkampf lieber nicht auf seine Mannschaft verlassen will? Oder ist die Lage in Italien so ernst, dass man sich als Regierungschef besser nicht mit dem Fußball in den Vordergrund rücken mag? Wie dem auch sei, der Ernstfall ist da.“

Welt: AC Mailand steht unter Erfolgsdruck – Ancelotti droht Entlassung
NZZ: Bayern München vertraut auf die Form des Spielmachers Michael Ballack

NZZ: Das unbesiegbare Arsenal ist unberechenbar geworden

Zweifel

Paul Ingendaay (FAS) schildert die schöne Fragilität des FC Barcelona: „Ein Hauch von Unsicherheit und Gefährdung umweht Rijkaards Team immer, egal wie brillant es spielt, und vielleicht ist es symbolisch, daß ein Mittelfeldrenner wie Edgar Davids, der vor zwei Jahren mit seinem Kampfgeist wesentlich zu Barcelonas Renaissance beigetragen hat, nicht lange blieb: Die Mannschaft strebt nach technischer Raffinesse, Kunst und Schönheit. Sie hat mit Ronaldinho den zur Zeit besten Fußballspieler der Welt in ihren Reihen und mit Eto‘o den schnellsten und treffsichersten Stürmer der spanischen Liga. Daneben den Brasilianer Deco und den phänomenalen Argentinier Leo Messi, der alles mit so hoher Drehzahl macht, daß die Verteidiger links und rechts zur Seite sinken. Und das alles sollte gegen Chelsea nicht reichen? Es könnte, es müßte. Auch diesmal werden zwei Spielkulturen aufeinanderprallen, und die brennendste Frage lautet, ob Barcelona endlich beweisen kann, nicht nur den schönsten, sondern auch den erfolgreichsten Fußball der Welt zu spielen. Zwei Liganiederlagen in Folge haben bei den Katalanen den Zweifel gesät. Auch das ist leider typisch. Denn zur Skepsis besteht, genau besehen, wenig Anlaß. (…) Chelsea, Inbegriff einer erfolgreichen Fußballmaschine mit wenig Tradition, aber sprudelnden Geldquellen und unstillbarem Ehrgeiz, hat schon die ersten Grußadressen geschickt. Kapitän John Terry erklärte, ein Spieler wie Ronaldinho sei nur durch Tritte und Einschüchterung zu stoppen, man müsse so einem von der ersten Minute an zeigen, wo es langgeht.“ Die WamS ergänzt: „Keine Mannschaft in Europa kommt der Perfektion so nahe, aber nirgendwo ist die Perfektion eben gleichzeitig so brüchig wie bei den Virtuosen aus Barcelona.“

Raus aus der Melancholie

Beckham, bleib bei Deinen Flanken! Ronald Reng (BLZ) erklärt den Formanstieg des Engländers: „Beckhams kraftvolle Auftritte sind nicht nur ein Triumph, sondern gleichzeitig ein Eingeständnis seines Scheiterns in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren: Er spielt wieder am Rand, ein rechter Außenläufer mit Courage und einem wunderbaren Gefühl im Fuß, seine Flanken sind noch immer die besten der Welt. Er spielt nicht besser als ein Jahrzehnt lang für Manchester United – es fällt nur so positiv auf, weil er bei Real bis vor kurzem etwas Besseres sein sollte und wollte: ein zentraler Mittelfeldspieler. Doch ihm fehlte die Intuition, um im Mittelpunkt des Getümmels zu bestehen. ‚Beckham denkt zu langsam‘, beobachtete Spaniens Nationaltrainer Luis Aragonés. ‚Auf dem Flügel leiste ich mehr‘, sagt Beckham, und das ist keine selbstverständliche Feststellung, sondern ein Ausdruck neuer Reife: Er hat seinen Traum aufgegeben, ein Mittelfelddominator wie sein großes Vorbild Bryan Robson zu werden. Er akzeptiert, dass seine Rolle die des Spezialisten am Rande ist. Es war schon zu fürchten, dass er dieses seelische Gleichgewicht nicht mehr finden würde. Zwei Jahre, seit Januar 2004, war er gefangen in Melancholie: Frust über die eigenen Schwierigkeiten auf der ungewohnten Position mischte sich mit Machtlosigkeit angesichts einer nicht funktionierenden Elf, mit Verletzungspech, mit privaten Problemen, mit mangelndem Training. Ist er mit Real auf dem Weg zurück in die Zukunft oder macht die Krise nur kurz Pause? Noch schleppt Real zu viele Spieler in frühzeitiger Midlife-crisis mit, Zinédine Zidane, Ronaldo, Roberto Carlos. Aber Ansätze, das hier etwas entstehen könnte, sind zu erkennen.“

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