Deutsche Elf
Am Beharrungsvermögen der Branche gescheitert
Kommentare deaktiviert für Am Beharrungsvermögen der Branche gescheitert
| Samstag, 4. März 2006Manche Kommentare über die schwierige Lage Jürgen Klinsmanns klingen endgültig, etwa der Andreas Leschs (BLZ): „In den vergangenen Tagen war der Vorwurf zu hören, Klinsmann, der Dauerlächler, habe das Land geblendet. Er habe es getäuscht mit seiner Positiv-Rhetorik, mit seiner Pose der Allwissenheit, mit seinem herausposaunten Masterplan, der am Anfang so schlüssig erschien. Übersehen wird dabei: Das Land hat sich auch gern blenden lassen. Es war genervt von Jahren der Rumpelei unter Vogts, Ribbeck und Völler, und es empfand Klinsmanns neuartige Hoppla-hier-komm-ich-Mentalität als erfrischend – zumindest aber ihre Spiegelung auf dem Platz. (…) Klinsmann ist angetreten mit dem Anspruch eines Reformators. Er wollte ‚im Prinzip den ganzen Laden auseinander nehmen‘: den DFB, die alten Seilschaften, das Gekungel zwischen Liga und Verband. Diese Reformdebatte hat er längst verloren. Die Ladenhüter haben zurückgeschlagen. Sie haben Klinsmann klar gemacht, dass er die großen Linien des deutschen Fußballs niemals prägen wird, sondern dass seine Macht begrenzt ist; sie endet mit der WM 2006. Er durfte amerikanische Fitnessgurus und einen Schweizer Spielbeobachter einführen, aber wenn er geht, werden sie mit ihm verschwinden. Prägende Strukturen konnte er nicht ändern, die Wahl des künftigen Sportdirektors Matthias Sammer beweist das. Klinsmann ist in der Reformdebatte am Beharrungsvermögen der Branche gescheitert – und an seiner eigenen Sturheit. Er hat, davon handelt die Stildebatte, immer wieder Durchhaltevermögen mit Dickköpfigkeit verwechselt. Er griff das Establishment des deutschen Fußballs so frontal an, dass er Gegenwehr fast erzwang. Er wollte nicht begreifen, dass E-Mails zwar modern sind, dass sie das gute, alte Vier-Augen-Gespräch aber nicht dauerhaft ersetzen können. Er wollte alles anders machen, alles neu, und er übersah, dass es manchmal auch Mittelwege gibt. Klinsmann war nie ein Mann des Kompromisses. Als Spieler, als Stürmer, mag ihm das geholfen haben. Als Bundestrainer, als eine der öffentlichsten Personen der Nation, wurde das zu seinem Problem.“
Adrenalin
Die SZ sucht weiter im Trainer Klinsmann den Spieler Klinsmann; heute wird Klaus Hoeltzenbein fündig: „Den Kleiderwechsel hatte Klinsmann empfohlen, weil die Signalfarbe Rot eine Grundhaltung ausdrücken soll: Aggressivität, Leidenschaft, Neugier, in summa die entschlossene Liebe zum Beruf. Im Augenblick steht die Farbe eher für die Attitüde eines routinierten Zockers, der die Spielregeln kennt: Alles auf Rot! Also alles auf die WM und die Eigendynamik, die daraus erwächst. Alle Energie rauspressen aus der einmaligen Situation, in der dem Schwachen übermenschliche Kräfte zufallen können. Rein in den Tunnel, und rennen, rennen, rennen, bis, unter dem Hurra des Publikums, das Adrenalin in Strömen fließt und der Ball seine Richtung findet. So hat der Spieler Klinsmann seine großen Momente erlebt. Wenn die Deutschen schon als Turniermannschaft gelten, so ist Stürmer Klinsmann der Prototyp des Turnierspielers. Er hatte schwache Länderspiele, aber nicht ein schwaches Turnier. (…) Man muss sich die Laufbahn des Jürgen Klinsmann als Profi noch einmal in Erinnerung rufen, wenn man versucht zu begreifen, was im Klinsmann von heute, der die Amtsbezeichnung Bundestrainer führt, so vorgehen könnte.“
Unerfahren
Klinsmann und der deutsche Fußball, zwei Pole – Michael Horeni (FAZ/Leitartikel): „Die Fußballnation fürchtet, daß Klinsmann mit seinen Methoden scheitert und eine zum Titelgewinn untaugliche Mannschaft zur WM schickt, die den Deutschen womöglich sogar die Freude an diesem Großereignis verdirbt. (…) In seinem ersten Jahr als Bundestrainer erwarb sich Klinsmann schnell das Verdienst, einen verkrusteten Verband in einem schmerzhaften, aber überfälligen Prozeß für neue Ideen und für Fachleute zu öffnen, die nicht der engen deutschen Fußballwelt entstammten. In Amerika hat er als Geschäftsmann das Sportgeschäft kennengelernt. Über die WM spricht er mitunter auch wie von einem geschäftlichen Projekt. Die analytische Kühle, mit der Klinsmann und sein Helferstab an einmal gefaßten Überlegungen festhalten, widerspricht aber der Erfahrungswelt im Fußball, in der sich die Dinge und Strategien über Nacht ändern können. Als Bundestrainer ist er ebenso unerfahren wie viele seiner Spieler.“
Ich habe auch nicht geglaubt, dass ich mal mit einem Blackberry rumlaufen würde
Theo Zwanziger im Interview mit Philipp Selldorf (SZ)
SZ: Eine brasilianische Zeitung hat geschrieben, Jürgen Klinsmann stünde ‚am Vorabend der WM vor dem Rausschmiss‘. Wissen die mehr?
Zwanziger: Nein. Das ist ausgeschlossen. Wir haben diesen Weg mit Jürgen Klinsmann in einer Situation begonnen, in der wir wussten, dass die WM 2006 ein schwieriges Projekt wird und sich unsere Mannschaft nicht von selbst aufstellt. Wir haben nicht die Spielerqualität, wie wir sie 1974 oder 1990 oder auch 1996 noch hatten. Das beruht einfach auf der Entwicklung der neunziger Jahre im deutschen Fußball, auf den Entscheidungen zur Marktöffnung nach dem Bosman-Urteil und dem Mauerfall. All das hat 2004 zu der Erkenntnis geführt: Bei der WM 2006 haben wir eine einzige große Chance – und die liegt im Heimvorteil, in den Fans als zwölftem Mann. Wir wussten, dass wir eine junge Mannschaft haben würden, die einen Trainer braucht, der ungewöhnliche Wege geht. Im Übrigen muss ich sagen, dass es auch in Zeiten, in denen wir bessere Mannschaften hatten, in der Vorbereitungszeit Niederlagen gegeben hat. Da muss ich nur meinen alten Freund Horst Eckel sehen, der als Weltmeister von 1954 gefeiert wird – wenn Sie mal nachlesen, was dem armen Sepp Herberger passiert ist, als er die Fünf aus Kaiserslautern und keinen aus Hannover aufgestellt hat, dann weiß man, wie Fußball ist. Wir wollen nicht Vorbereitungsweltmeister werden, sondern im Turnier eine spielstarke, konkurrenzfähige Mannschaft haben, die weit kommt. Das Ziel wird Klinsmann weiterverfolgen, und ich bin überzeugt, dass er das schafft. Ich habe meinen Optimismus für diese WM nicht verloren.
SZ: Gibt es Zweifel am Konzept des Bundestrainers?
Zwanziger: Nein, es gibt zu diesem Konzept keine Alternative, auch wenn es mit all den Ecken und Kanten verbunden ist, die sich aus Klinsmanns Persönlichkeit und Einstellung ergeben.
SZ: Speziell Klinsmanns persönliche Einstellung bietet Ansatz zur Kritik. Ein berühmter italienischer Kommentator hat zur kalifornisch-deutschen Fernbeziehung bemerkt: Training via Internet – wie soll das funktionieren? Rückblickend: Hat man diesen Punkt unterschätzt?
Zwanziger: Die Tatsache, dass Klinsmann nicht in Deutschland wohnt, hat Vor- und Nachteile. Das wussten wir, dabei bleibe ich. Es war seine Entscheidung, es ergibt keinen Sinn, diese Diskussion nach jedem schlechten Spiel wieder aufzurufen. Das ist nicht die Ursache für das schlechte Spiel in Florenz.
SZ: Dazu stehen Sie unverändert?
Zwanziger: Wäre er hier, hätte er natürlich die Möglichkeit, häufiger Bundesligaspiele zu sehen, aber an die Spieler kommt er in den Klubs trotzdem nicht heran. Die sind in erster Linie bei ihren eigenen Trainern. Er kann also eigentlich nur beobachten. Diese Aufgabe hat er an Joachim Löw delegiert, der ja ein erfahrener Trainer ist.
SZ: Erfahrener als Klinsmann.
Zwanziger: Viel erfahrener. So deckt Löw diesen Teil der Aufgaben ab. Klinsmann ist mehr derjenige im Trainerstab, der sich mit Konzepten und internationalen Analysen befasst. Die Ruhe dazu könnte er hier nicht haben. In Deutschland sind eben die Medien, Sponsoren und auch der DFB, der seine großen Persönlichkeiten gerne zeigen will. Es hat alles sein Für und sein Wider. Entscheidend ist nur die Frage, ob der Eindruck entsteht, dass er durch seine Abwesenheit die Mannschaft nicht richtig vorbereiten kann. Und das glaube ich nach wie vor überhaupt nicht. Im Gegenteil.
SZ: Woher stammt Ihre Überzeugung?
Zwanziger: Ich sehe doch, mit welcher Intensität er sich mit jedem einzelnen Spieler befasst. Nicht nur vor den Spielen. Auch durch Telefonate, was natürlich keiner sehen oder wissen kann. Wie er sich zum Beispiel mit Lukas Podolski auseinander setzt, da macht er wirklich alles, was möglich ist. Die Regelung, dass Klinsmann in den USA wohnt, ist ungewöhnlich – aber da wird auch sehr konservativ gedacht …
SZ: Fußball ist ein konservatives Geschäft.
Zwanziger: Aber das heißt nicht, dass sich nichts verändert. Ich habe in meinem Leben auch nicht geglaubt, dass ich mal mit einem Blackberry rumlaufen würde – inzwischen weiß ich, dass ich damit manches erledige, was ich sonst nicht schaffen würde.
Für mich ist er ein Trainer, der am Spielfeldrand steht
Christoph Daum beäugt im Interview mit der Welt die Gründe Matthias Sammers, Sportdirektor geworden zu sein: „Ich sage Ihnen ganz ehrlich, daß ich das bis heute nicht so richtig verstehen kann. Ich kenne Matthias ja sehr gut. Er war mein Spieler, später haben wir uns als Trainerkollegen ausgetauscht. Für mich ist er ein Trainer, der am Spielfeldrand steht und mit seiner Mannschaft arbeitet. Nun hat er sich für einen Job entschieden, wo er viel hinter dem Schreibtisch sitzt, er muß organisieren und verwalten. Ich kann es mir, wie bereits gesagt, nicht vorstellen. Aber wer weiß, was hinter den Türen noch alles besprochen wurde und was sie ihm beim Verband alles erzählt haben. (…) Hundertprozent richtig, daß Jürgen Klinsmann Christian Wörns nach dessen öffentlicher Kritik verbannt hat. Es gab für ihn keine andere Wahl. Hätte er sich das in der Form gefallen lassen, hätte er vor seiner Mannschaft doch ein Stück seines Gesichtes verloren. Ich schätze Wörns sehr. Er hätte einfach nur ruhig bleiben und warten sollen. Klinsmann muß die vielen jungen Spieler holen, um sie zu testen und weiter zu entwickeln. Erst recht, wenn einige in ihren Klubs nur auf der Bank sitzen. Wörns hingegen kannst du eine Woche vor Turnierbeginn dazu holen, der hätte keine Probleme, sich in eine Mannschaft spielerisch einzufinden.“