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Deutsche Elf

Nicht Klinsmann ist das Problem des deutschen Fußballs, sondern die Bundesligatrainer sind es

Oliver Fritsch | Montag, 6. März 2006 Kommentare deaktiviert für Nicht Klinsmann ist das Problem des deutschen Fußballs, sondern die Bundesligatrainer sind es

Das Land teilt sich mittlerweile in eine Pro- und eine Contra-Klinsmann-Fraktion. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat Für- und Gegenrede gleich in zwei Ressorts gedruckt. Im Sportbuch verteidigt Peter Heß den Bundestrainer: „Klinsmann hat Fehler gemacht, aber nicht bei der unmittelbaren Arbeit mit der Nationalelf, sondern indem er viele Funktionäre und andere der Branche mit seiner rigorosen Art verprellte. Er hat damit mehr Druck aufgebaut, als sein Team benötigt. Viele warteten nur auf einen Patzer, um es dem Schwaben heimzuzahlen. Nun ist mehr als ein Patzer geschehen. Doch was ist Klinsmann vorzuwerfen? Er hat ein schlüssiges Konzept, die Mannschaft steht hinter ihm, und noch nicht einmal seine Kritiker halten ihm vor, den falschen Spielern zu vertrauen. Es gibt keine besseren in Deutschland. Damit kommen wir zum Kern des Problems und zur großen Stärke Klinsmanns: Er hat sich mehr Gedanken darüber gemacht, wie er mit seinem überfroderten Personal den überhöhten Ansprüchen für die Heim-WM gerecht werden kann, als alle seine Kritiker. Zu seinem Schluß kommen übrigens viele Kollegen, die einen völlig verunsicherten, akut abstiegsgefährdeten Klub übernehmen. Sie widmen sich dem Ausbau der Sekundärtugenden: Fitness, Glaube, Wille. Sie wissen, bis ihr Team das Fußballspielen wieder erlernt hat, ist es gescheitert. (…) Das grausame Erwachen von Florenz ist nicht Klinsmanns falschem, sondern seinem fehlenden Einfluß zuzuschreiben. Viel zu wenige Tage hatte er seine Spieler seit dem vergangenen Sommer beisammen – und wenn er seine Schäfchen um sich versammelte, dann erschienen die allermeisten verunsichert und verzagt, weil sie keinen Stammplatz in ihren Klubs haben. Nicht Klinsmann ist das Problem des deutschen Fußballs, sondern die Bundesligatrainer sind es, wie ein Felix Magath, die die Schweinsteigers, Deislers und Lahms versauern lassen. (…) Für einen Klinsmann in Topform gibt es keinen Ersatz. Oder wollen Sie, daß ein Christian Wörns die WM-Hoffnung verteidigt und wir mit einer altmodischen Defensivtaktik, einer einsamen Sturmspitze und Zeitlupenfußball im Mittelfeld versuchen, die Vorrunde zu überstehen?“

Aktionismus?

Roland Zorn hingegen drückt seine Skepsis gegenüber Klinsmanns neuen Methoden aus: „Gegen Italien offenbarte sich nicht nur die spielerische Unterlegenheit von Klinsmanns Auserwählten gegen die Mann für Mann weitaus bessere Squadra Azzura, es zeigte sich auch nicht zum ersten Mal, daß der Bundestrainer selbst noch ein Azubi ist. Mit der falschen offensiven Taktik versuchte der wie früher als Angreifer auf rücksichtslose Eroberungsstrategien setzende Coach Italien zu erschrecken und mußte dafür selbst einen hohen Preis zahlen. (…) Vieles von dem, was dieser Bundestrainer angepackt hat, sah nach Revolution aus und hinterließ entsprechende Wirkung zwischen Staunen, Erstaunen und Erschrecken. Im Moment ergeht es Klinsmann wie dem späten Völler: Die anfängliche Begeisterung ist jäher Ernüchterung gewichen. Es sind nicht allein die Spieler, an deren Klasse jetzt viele heftig zweifeln. Auch der Trainer muß sich Fragen nach seinem ichbezogenen, oft sehr kommerziellen Handeln gefallen lassen. Die Aufbruchsbotschaften, die Klinsmann mit dem kalten Lächeln eines Geschäftsmanns verkündet hat, werden auf ihre wirkliche Substanz abgeklopft. Gibt es wirklich ein System Klinsmann, oder hat sich ein ganzer Verband dem Aktionismus eines Mannes ausgeliefert, der seinen ‚american way of life‘ selbst allzu undifferenziert zur Folie für alles und alle anderen erhoben hat?“

Eklatanter Mangel an Klasse und Erfahrung

Alfred Weinzierl und Dirk Kubjuweit (Spiegel) verweisen auf das Handicap, mit dem Klinsmann arbeiten muß: „Klinsmann hat hoch gepokert, er hat viel bewegt, aber knapp hundert Tage vor dem WM-Eröffnungsspiel scheint Fußball-Deutschland den Glauben an ein Märchen verloren zu haben. Der Erneuerer hat seinen Zauber eingebüßt. Der schwäbische Weltbürger ist einem Irrtum erlegen. Er war davon ausgegangen, mit einer klar definierten Spielidee, einer optimistischen Verkaufe und dem Ausnutzen aller Ressourcen wie Fitnessspezialisten oder Psychologen die Defizite seines Personals ausgleichen zu können. Das Publikum hatte ihm seine Roadmap zum WM-Finale in Berlin dankbar abgenommen. Wer so furios startete wie er, dem glaubte man auch gern, dass sich bis zum Juni 2006 alles weiterentwickeln werde. Wachsen. Steigern. Verbessern. Hinderlich nur, dass Klinsmanns Kerle nicht auf einem eigenen Raumschiff Richtung WM unterwegs sind, sondern fest verankert in einem deutschen Alltag, der Bundesliga heißt, der überdreht ist, überschätzt und selbstgerecht – und zur Nationalmannschaft, so wie sie Klinsmann ausgerichtet hat, eine seltsam distanzierte Haltung pflegt. Der Kern der ‚Problemchen‘, die Klinsmann süßsauer einräumte, als gehörten sie zum Konzept, liegt nicht in seinem Wohnsitz Huntington Beach, nicht im Umgang mit von ihm geringgeschätzten Profis wie Christian Wörns oder im Stallgeruch eines Sportdirektors. Das Problem ist die Qualität der höchsten deutschen Spielklasse und der für die Nationalelf in Frage kommenden Akteure. Wer sich wundert, dass eine deutsche Elf seit Oktober 2000 gegen keine große Fußball-Nation mehr gewinnen konnte, muss sich nur die Rolle anschauen, die Klinsmanns Eleven in dieser Liga spielen. Der Nationalelf fehlt zudem der demografische Mittelbau, Spieler im Alter von Ende zwanzig, auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit – Ballack und Frings sind die Einzigen aus dieser Teil-Generation, um deren Förderung sich die Bundesligaclubs in den sorglosen Neunzigern nicht gekümmert haben. (…) Angesichts dieses eklatanten Mangels an Klasse und internationaler Erfahrung mehrt sich die Zahl der Bundesliga-Coachs, die Klinsmanns Vorwärtsstil für ein übermäßiges Risiko halten. Die wenigsten wollen kurz vor der WM dem Bundestrainer in den Rücken fallen, aber die Tendenz in der Bewertung ist klar: Klinsmann überfordert seine Spieler.“

Ichbezogen

Roland Zorn (FAZ) kritisiert den Bundestrainer des Gastgeberlandes dafür, daß er nicht am Fifa-Workshop teilnimmt: „Eine ‚lange, zähe Veranstaltung‘ hat Oliver Bierhoff den WM-Workshop genannt. Eine erstaunliche Aussage für einen vor vier Jahren noch aktiven Fußballer, der nie bei einem solchen Seminar zugegen war. Vielleicht gewinnt Bierhoff, der sich die Gelegenheit zumindest nicht entgehen läßt, am Ende doch ein paar neue Erkenntnisse über den organisatorisch-technischen Ablauf des Weltereignisses. Klinsmann, nach dem 1:4-Debakel auf Heimat-Erholung in Kalifornien, meidet das Seminar, bei dem es, anders als Bierhoff glauben machen wollte, nicht nur um Nichtigkeiten wie die Abfahrtszeiten der Busse für die WM-Turniermannschaften geht. Daß Klinsmann durch Abwesenheit glänzt, hat in Kreisen der Fifa, aber auch beim DFB nicht überall begeisterte Zustimmung gefunden. Man ist ja nur Gastgeber der WM – und übernimmt damit auch, so sollte man zumindest meinen, gewisse Präsenzpflichten. Was soll nur Franz Beckenbauer über einen derart ichbezogenen Bundestrainer denken, der sich dünn macht, während er die ganze Welt bereist hat, um mit seinem Charme und Charisma für ein freundliches Deutschland zu werben? Während der ‚Kaiser‘ lieber schwieg, schluckte Theo Zwanziger seinen Ärger herunter, äußerte Verständnis und fand schließlich den merkwürdigen Satz: ‚Klinsmann ist nicht unser gesellschaftlicher Botschafter.‘ Wirklich? (…) Die Zusammenkunft signalisiert allen, die daran interessiert sind, daß nun die Phase der intensiven Beschäftigung mit den kleinsten Details rund um die WM begonnen hat. Für sie interessiert sich auch mancher Nationalcoach, der seinen Trainerjob von der Pike auf gelernt hat, aus vielen guten Gründen.“

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